Rz. 63

Das Gesetz hat die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 2 der Zins- und Lizenzrichtlinie in einer gesonderten Vorschrift umgesetzt, die neben die Regelung des Abs. 2 (Rz. 31ff.) tritt. Danach kann den Beteiligten einer Transaktion, deren hauptsächlicher Beweggrund oder, bei mehreren hauptsächlichen Beweggründen, einer der hauptsächlichen Beweggründe Steuervermeidung oder Missbrauch ist, die Steuerbefreiung verweigert werden. Diese Vorschrift geht insofern weiter als § 42 AO, als nicht jeder wirtschaftliche Grund für die Transaktion fehlen muss. Es genügt für die Verweigerung der Steuerbefreiung, wenn zwar wirtschaftliche Gründe wesentliche Beweggründe für die Transaktion waren, daneben aber als weiterer wesentlicher Beweggrund die Steuervermeidung tritt. Der Beweggrund der Steuervermeidung oder des Missbrauchs braucht also nicht der einzige wesentliche Beweggrund zu sein. Auffällig ist, dass der Missbrauchstatbestand des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie sehr viel weiter ist als der allgemeine europarechtliche Missbrauchsbegriff. Missbräuchlich nach dem allgemeinen europarechtlichen Missbrauchsbegriff sind nur Verhaltensweisen, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der normalerweise entstehenden Steuer zu entgehen.[1] Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie muss nur ein Hauptbeweggrund unter mehreren anderen missbräuchlich i. d. S. sein. Da somit auch wirtschaftlich beachtliche Beweggründe vorliegen können, ist die Gestaltung nicht "rein künstlich, jeder wirtschaftlichen Realität bar". Es handelt sich somit um eine richtlinienspezifische Missbrauchsdefinition, die nicht über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinauswirkt.

 

Rz. 64

Neben der Missbrauchsvorschrift des Abs. 4 ist § 50d Abs. 3 EStG anzuwenden. Die Vorschrift enthält andere Tatbestandsmerkmale als Abs. 4, wird durch diese Vorschrift daher nicht verdrängt. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie enthält insoweit eine ausreichende europarechtliche Berechtigung für diese nationale Regelung.

 

Rz. 65

Dagegen ist zweifelhaft, ob neben § 50g Abs. 4 EStG noch § 42 AO anwendbar ist. Da Abs. 4 mit der Regelung der Steuervermeidung und des Missbrauchs auf dieselben Tatbestandsmerkmale zurückgreift wie § 42 AO und in seinem Anwendungsbereich weiter ist, dürfte für die Anwendung des § 42 AO neben § 50g Abs. 4 EStG kein Platz sein.

 

Rz. 66

Die Vorschrift setzt Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie fast wortgetreu um. Insbesondere das Abstellen auf die Beweggründe, also subjektive Merkmale, und das Abstellen auf einen der hauptsächlichen Beweggründe, also die Annahme des Missbrauchs, wenn auch nicht missbräuchliche Beweggründe vorliegen, entspricht der Richtlinie. Abweichend ist lediglich die Verwendung des Begriffs "Steuervermeidung" anstelle des in der Richtlinie verwendeten Begriffs "Steuerumgehung". Wenn auch die Verwendung des in der Richtlinie gebrauchten Begriffs besser gewesen wäre, lässt sich der Begriff der "Steuervermeidung" doch europarechtskonform i. S. d. Richtlinie als "Steuerumgehung" auslegen. § 50g Abs. 4 EStG ist daher richtlinienkonform.[2]

 

Rz. 67

Die Vorschrift verwendet die unbestimmten Rechtsbegriffe "Steuervermeidung" und "Missbrauch" als Alternativen. Unter Steuervermeidung kann nicht jede Gestaltung verstanden werden, die der Minderung der Steuerbelastung dient, da der Stpfl. seine Verhältnisse so gestalten kann, dass seine Steuerlast möglichst gering ist. Es muss sich vielmehr um eine missbräuchliche Steuervermeidung handeln. Daher können die beiden Begriffe nicht isoliert voneinander gesehen werden, obwohl der Gesetzestext sie mit dem Wort "oder" verbindet.[3] Eine missbräuchliche Steuervermeidung liegt danach vor, wenn der Stpfl. die Steuer durch eine ungewöhnliche Gestaltung vermeiden will, während die Steuer bei einer üblichen Gestaltung entstanden wäre.[4]

 

Rz. 68

Gestaltungen, bei denen Darlehen oder Lizenzen von einer nach § 50g EStG berechtigter Person gewährt werden anstelle einer nicht berechtigten Person, sind weder eine missbräuchliche Steuervermeidung noch ein Missbrauch. Diese Gestaltungen werden bereits durch den Begriff des Nutzungsberechtigten (Rz. 40) erfasst, sodass insoweit die allgemeinen Missbrauchsvorschriften nicht mehr anwendbar sind.

 

Rz. 69

Für die Anwendung der Missbrauchsklausel des § 50g Abs. 4 EStG ist auf die "Beweggründe", also subjektive Merkmale, abzustellen. Diese müssen sich aus objektiv nachprüfbaren Indizien ergeben, aus denen auf die Beweggründe zurückgeschlossen werden kann. Nach allgemeinen europarechtlichen Grundsätzen kann der Stpfl. nachweisen, dass keiner seiner Beweggründe auf Steuervermeidung oder Missbrauch gerichtet war.[5]

[2] Die von Hahn, IStR 2010, 638, 639 geäußerten Bedenken werden daher nicht geteilt.
[3] Zur Problematik auch Hahn, IStR 2010, 638.

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