6.4.3.1 Begriff der Drohverlustrückstellung

 

Rz. 442

Nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind auch Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden. Zur bilanziellen Behandlung der schwebenden Geschäfte vgl. Rz. 79. Leistung und Gegenleistung, die in synallagmatischer Beziehung zueinander stehen, sind danach nicht zu erfassen, solange für sie die Vermutung der gegenseitigen Ausgewogenheit gilt. Der Grundsatz der Nichtbilanzierbarkeit gilt dagegen nicht mehr, wenn die Vermutung der Ausgewogenheit widerlegt ist. Der dann bestehende Verpflichtungsüberhang der einen Partei ist durch eine Rückstellung zu berücksichtigen. Aus einem schwebenden Geschäft können sich zwei Arten von Rückstellungen ergeben:

  • Aus einem schwebenden Geschäft können sich einzelne Verbindlichkeiten ergeben, die nach den Grundsätzen der Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zurückzustellen sind. Dies ist z. B. der Fall bei Verpflichtungen, die außerhalb des Synallagmas des schwebenden Geschäfts stehen; sie sind als ungewisse Verbindlichkeiten zurückzustellen, auch wenn sie ihren Grund in dem schwebenden Geschäft haben (z. B. Abriss- und Rekultivierungsverpflichtungen). Ebenfalls als Verbindlichkeit zurückzustellen sind aus dem Geschäft erhaltene Anzahlungen und Erfüllungsrückstände (Rz. 449ff.).
  • Drohverlustrückstellungen sind dagegen zu bilden, wenn die Gesamtheit der Verpflichtungen aus dem schwebenden Geschäft einen höheren Wert hat als die Gesamtheit der Forderungen aus dem Geschäft (Verpflichtungsüberschuss im Gegensatz zum Erfüllungsrückstand). Zurückgestellt wird also nicht eine (einzelne) Verpflichtung, die aus dem schwebenden Geschäft fließt, sondern ein zu erwartender Verlust. Drohverlustrückstellungen sind daher wirtschaftlich erst in der Zukunft verursacht; dies unterscheidet sie von den Verbindlichkeitsrückstellungen. Handelsrechtlich und, bis 1996 auch steuerlich, besteht Passivierungspflicht.[1]
 

Rz. 443

Voraussetzung für die Bildung der Rückstellung ist, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Verlust droht. Ein Verlust droht, wenn und soweit der Wert der dem Kaufmann im schwebenden Geschäft zu erbringenden Leistung den Wert der von ihm zu beanspruchenden Gegenleistung überwiegt. Es muss daher ein "Verpflichtungsüberschuss" bestehen.[2]

 

Rz. 443a

Die subjektive Einschätzung des Kaufmanns ohne Vorliegen konkreter, objektiver Anhaltspunkte reicht nicht aus. Es müssen also objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Verlust im konkreten Fall ernsthaft bevorsteht. Dabei muss der Eintritt des Verlusts nicht mit Sicherheit feststehen; es genügt, dass der vorsichtige Kaufmann sich aufgrund der objektiven Anzeichen genötigt sieht, mit einem (möglicherweise eintretenden) Verlust zu rechnen und sich vorsorglich hierauf einzustellen. Der drohende Verlust muss sich aus tatsächlichen oder konkret zu erwartenden wirtschaftlichen Gegebenheiten des Schuldners, die seine Bonität beeinträchtigen, ergeben.[3]

 

Rz. 443b

Maßgebend ist, ob der Wert der eigenen Verpflichtung aus dem Schuldverhältnis den Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung übersteigt – Verpflichtungsüberhang.[4] Dieser Verlust ist durch eine Saldierung von Leistung und Gegenleistung des schwebenden Geschäfts im Ganzen festzustellen.

 

Rz. 444

Bei Einkaufsgeschäften kann sich der drohende Verlust aus schwebenden Geschäften aus zwei unterschiedlichen Aspekten ergeben: dem Sinken der Wiederbeschaffungspreise und den fehlenden Absatzmöglichkeiten.[5] Die Rückstellung kann jedoch nicht gebildet werden, wenn die Sache mit einem Preis, der höher ist als die Anschaffungskosten, weiterveräußert werden könnte.

Ein besonderes Risiko droht z. B., wenn wegen der Menge der bestellten Ware und der Länge der Lieferzeit bei dem Modewechsel unterworfener Ware zu befürchten ist, dass die Ware bis zum Wandel des Modegeschmacks nicht mehr im Wesentlichen abgesetzt werden kann.[6]

 

Rz. 445

Bei Verkaufsgeschäften (z. B. Verkauf selbst hergestellter oder erworbener Gegenstände) ist grundsätzlich der Betrag zurückzustellen, um den nach den Verhältnissen des Bilanzstichtags die Selbstkosten (ohne den üblichen Unternehmergewinn) bzw. die Einkaufspreise zzgl. Vertriebskosten über dem Verkaufspreis liegen.[7]

 

Rz. 446

Bei einem Dauerrechtsverhältnis (Miete, Pachtvertrag, Wartungsvertrag) ist der gesamte Vertrag als Einheit zu sehen ("Ganzheitsbetrachtung"). Eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften ist daher nur zulässig, wenn gesamte Leistung und gesamte Gegenleistung nicht gleichwertig sind; es darf also nicht nur auf die noch zu erbringenden Teilleistungen abgestellt werden.[8] Bei einem Mietverhältnis ist die Rückstellung zu bilden, wenn die Gesamtheit der Mieteinnahmen die Kosten unterschreitet. Bei den Kosten ist die AfA von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu berechnen, die nicht um eine etwaige InvZulage zu vermindern ist.[9] Die Bildung einer Rückstellung ist nicht allein deshalb möglich, weil Kapitalmarkt-, Miet- oder Pachtzinsen gesunken sind und daher das entsprechende Geschäft...

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