Rz. 387

Liegen der Rückstellung eine größere Zahl von Fällen zugrunde, stellt sich die Frage, ob die Rückstellung allein deshalb zu vermindern ist, weil nach der statistischen Wahrscheinlichkeit sich das durch die Rückstellung berücksichtigte Risiko nicht in allen Fällen verwirklichen wird (Abschlag wegen des "Gesetzes der großen Zahl"); vgl. Neuberger, BB 1985, 767, 772; Kemper/Konold, DStR 2003, 1686.

Die Rspr. hat in Einzelfällen Abschläge nach dem Gesetz der großen Zahl zugelassen.[1] Als Grundlage für diesen Abschlag wurde § 253 Abs. 1 HGB angesehen. Danach können Rückstellungen nur in der Höhe des Betrags angesetzt werden, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist (vgl. Rz. 375). Wenn zu erwarten ist, dass bei einer Mehrzahl von gleichartigen Risiken sich nicht alle Risiken verwirklichen werden, soll aus dieser Vorschrift folgen, dass dann nur ein niedrigerer Betrag notwendig ist, um die Risiken abzudecken.

 

Rz. 388

Durch Gesetz v. 24.3.1999[2] ist in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a) bestimmt worden, dass bei Rückstellungen für gleichartige Verpflichtungen die aus der Erfahrung der Vergangenheit abgeleitete Wahrscheinlichkeit zu berücksichtigen ist, dass sich nur ein Teil der mit den Rückstellungen abgedeckten Risiken verwirklichen wird. Das Gesetz schreibt damit für die Bewertung der Rückstellungen einen Abschlag wegen des "Gesetzes der großen Zahl" fest.

Die Neuregelung, die regelmäßig zu niedrigeren Rückstellungen führt, ist erstmals ab Vz 1999 anzuwenden, d. h. erstmals in der Schlussbilanz desjenigen Wirtschaftsjahrs, das nach dem 31.12.1998 endet (Wirtschaftsjahr 1999 oder abweichendes Wirtschaftsjahr 1998/99). Dieser Bewertungsabschlag ist dabei auch bei Rückstellungen vorzunehmen, die in einem vor dem 1.1.1999 endenden Wirtschaftsjahr gebildet worden sind; die "Altrückstellungen" sind also auf den Schluss des ersten im Jahr 1999 endenden Wirtschaftsjahrs neu zu bewerten (§ 52 Abs. 16 S. 8). Ist dabei ein Teil der Rückstellung aufzulösen, kann der Auflösungsbetrag i. H. v. 9/10 in eine gewinnmindernde Rücklage eingestellt werden, die in den folgenden neun Wirtschaftsjahren jeweils mit mindestens 1/9 gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 52 Abs. 16 S. 10 i. V. m. S. 7); eine schnellere Auflösung ist zulässig. Die steuerliche Bildung dieser Rücklage (Sonderposten mit Rücklageanteil) ist nach § 5 Abs. 1 S. 2 ("umgekehrte Maßgeblichkeit", vgl. Rz. 53) davon abhängig, dass sie auch in der Handelsbilanz gebildet wird; dies ist nach §§ 247 Abs. 3, 273 HGB zulässig. Realisiert sich das Risiko, für das die Rückstellung und demgemäß für den Auflösungsbetrag der Sonderposten mit Rücklageanteil gebildet worden ist, bevor der Sonderposten vollständig aufgelöst worden ist, oder fällt das Risiko weg, ist die (verbliebene) Rückstellung sowie der entsprechende Sonderposten mit Rücklageanteil zum Ende des Wirtschaftsjahrs, in dem das Risiko sich verwirklicht hat oder entfallen ist, aufzulösen.

 

Rz. 389

Sachlich anwendbar ist § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a) auf "Rückstellungen für … Verpflichtungen". Der Bewertungsabschlag bezieht sich daher nur auf Verbindlichkeitsrückstellungen, d. h. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB (die dort auch genannten Drohverlustrückstellungen sind steuerlich schon dem Grunde nach nicht zu bilden, vgl. Rz. 442). Weiter ist die Vorschrift anwendbar auf die Gewährleistungsverbindlichkeiten, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden[3]; nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich auch bei dieser Rückstellung um eine Verbindlichkeitsrückstellung (vgl. Rz. 457). Dagegen gilt die Regelung nicht für Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HGB, da diese keinen Schuldcharakter haben (vgl. Rz. 453). Die im Gesetzgebungsverfahren vertretene Auffassung[4], es seien alle steuerlich zulässigen Rückstellungen nach § 249 Abs. 1 HGB erfasst, ist also nicht richtig.

 

Rz. 390

Voraussetzung der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a) ist, dass es sich um Rückstellungen für gleichartige Verpflichtungen handelt. Gleichartig ist die Verpflichtung dann, wenn die Risiken in ihrem jeweiligen Rechtsgrund (z. B. gleichartige Verträge) und in der Art vergleichbar sind; gleiche Höhe des Risikos gehört nicht zur Gleichartigkeit. Typischerweise werden für gleichartige Verpflichtungen Pauschalrückstellungen angesetzt, dies ist aber für den Begriff der gleichartigen Verpflichtung nicht erforderlich.

Gleichartig sind insbesondere Garantie- und Gewährleistungsverpflichtungen aufgrund vergleichbarer Kauf-/Garantieverträge für vergleichbare Produkte.[5] Gleichartig können auch Verpflichtungen aufgrund gleicher oder vergleichbarer Arbeitsverträge sein (z. B. Jubiläumsrückstellungen; für Pensionsverpflichtungen, die ebenfalls gleichartig sind, gilt die Sonderregelung des § 6a). Im Einzelfall kann Gleichartigkeit auch bei Risiken vorliegen, die an sich typischerweise Einzelrisiken sind (z. B. der Stpfl. hat mit der Produktion seiner Produkte eine Vielzahl vo...

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