Berechnungsmethoden für Rückstellungen

Rückstellungen können grundsätzlich nach drei Methoden berechnet und gebildet werden: Einzelrückstellung, Pauschalrückstellung, gemischte Methode.

Einzelrückstellung für jede Reklamation

Für die bis zum Tag der Bilanzaufstellung bekannt gewordenen Gewährleistungs- und Garantiefälle ist jeweils eine entsprechende Einzelrückstellung zu bilden (BFH, Urteil v. 30.6.1983, IV R 41/81, BStBl. 1984 II S. 263; H 5.7 (5) EStH ("Garantierückstellungen")). In der Regel kann die Notwendigkeit einer Einzelrückstellung anhand bereits vorliegenden Kundenreklamationen oder bereits geltend gemachten Ansprüchen belegt werden. Bei der Berechnung der Rückstellung sind alle Aufwendungen zu berücksichtigen, die zur vollständigen Erfüllung der Gewährleistung oder Garantie erforderlich sind. Die Bilanzposition "Garantierückstellung" setzt sich somit unter Umständen aus mehreren Einzelrückstellungen zusammen, z.B. aus der Gewährleistungsverpflichtung Abnehmer X, Garantie Abnehmer Y usw.

Pauschalrückstellung aufgrund von Erfahrungswerten

Sind keine konkretisierten Garantie- oder Gewährleistungsfälle bekannt, für die eine Einzelrückstellung zu bilden ist, können alternativ auch Pauschalrückstellungen gebildet werden (BFH, Urteil v. 30.6.1983, IV R 41/81, BStBl. 1984 II S. 263; EuGH, Urteil v. 14.9.1999 - Rs. C 275/97, DStR 1999, 1645). Insbesondere in der Automobil- und Baubranche sind diese Pauschalrückstellungen von großer Bedeutung, da dort erhebliche Gewährleistungsrisiken entstehen können.

Grundsätzliche Voraussetzung für die Bildung von Pauschalrückstellungen ist, dass

  • der Kaufmann aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der Inanspruchnahme von Garantieverpflichtungen rechnen muss, oder
  • sich aus der branchenmäßigen Erfahrung und der individuellen Gestaltung des Betriebs die Wahrscheinlichkeit ableiten lässt, Garantieleistungen erbringen zu müssen (BFH, Urteil v. 30.6.1983, IV R 41/81, BStBl. 1984 II S. 263; BFH, Urteil v. 24.3.1999, I R 20/98, BStBl. 2001 II S. 612).

Hierbei kommt es auf die zu erwartende tatsächliche Inanspruchnahme des zur Gewährleistung verpflichteten Kaufmanns an, nicht auf eine nach der Einschätzung der Auftraggeber mögliche Inanspruchnahme (BFH, Beschluss v. 24.8.2000, VIII B 42/00, BFH/NV 2001 S. 308, sowie BFH, Urteil v. 6.5.2003, VIII B 163/03, BFH/NV 2003 S. 1313). Bloße Vermutungen oder pessimistische Einschätzungen des Unternehmers reichen hingegen für die Bildung einer Pauschalrückstellung nicht aus.

Hinweis: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme sind in erster Linie eigene Erfahrungen aus der Vergangenheit maßgebend. Bei der Bemessung eines Vergleichszeitraums ist jedoch eine ausreichende zeitliche Dimensionierung zwingend erforderlich, um unvermeidlichen Zufallsschwankungen angemessen begegnen zu können. Weit zurückliegenden Zeiträume dürfen aber nicht mehr in dem Umfang einbezogen werden, da diese im Hinblick auf danach eingetretene neuere Entwicklungen kein reales Erfahrungsbild für die Zukunft mehr widerspiegeln und damit für die Bemessung der Höhe des Risikos nicht angemessen sind (FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.11.2002, 5 K 1468/01, EFG 2003 S. 289).

Ermittlung der Pauschalrückstellungen

Die Berechnung der Höhe einer Pauschalrückstellung kann vereinfachend über einen prozentualen Anteil von den entsprechenden Umsätzen ermittelt werden. Die heranzuziehenden Umsätze sind zu kürzen, wenn sie nicht unter einer Garantieverpflichtung stehen oder Rückgriffsrechte gegen Dritte (z.B. Vorlieferanten) bestehen. Sofern keine höheren Prozentsätze nachgewiesen werden, setzt die Finanzverwaltung in der Regel eine pauschale Gewährleistungsrückstellung in Höhe von 0,5 % des garantiebehafteten Umsatzes an (Vgl. BFH, Urteil v. 7.10.1982, IV R 38/80, BStBl. 1983 II S. 104; FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 9.3.2011, 12 K 12267/07). Der anzuwendende Prozentsatz muss jedoch den tatsächlich in der Vergangenheit eingetretenen Verhältnissen entsprechen. Unterstellte Gewährleistungszeiträume und -prozentsätze, die keinen Bezug zur tatsächlichen Inanspruchnahme haben, stehen nicht im Einklang mit geltenden Bilanzierungsgrundsätzen und werden von den Finanzämtern in der Regel nicht akzeptiert (Vgl. OFD Koblenz, Kurzinformation der Ertragsteuergruppe St 3 – Einkommensteuer – Nr. 054/04 v. 2.8.2004, S 2137 A).

Die Umsätze, für die Gewährleistungspflichten bestehen, können nach folgendem Schema ermittelt werden:

Umsätze mit Kunden aus Lieferungen und Leistungen

- abzüglich Rücksendungen der Kunden

- abzüglich gewährte Preisnachlässe an Kunden

- abzüglich Umsätze ohne Garantieverpflichtungen

- abzüglich Umsätze, für die bereits eine Einzelrückstellung gebildet wurde

= gewährleistungspflichtige Umsätze (Basis für den ermittelten Prozentwert)

Gemischte Methode

In der Praxis wird häufig die sog. gemischte Methode angewendet, d.h. es werden sowohl Einzelrückstellungen für alle bereits konkret bekannt gewordenen Garantie- und Gewährleistungsfälle gebildet als auch noch nicht gerügte Mängel mittels pauschaler Rückstellungen für (allgemeine) Gewährleistungsrisiken berücksichtigt (Vgl. BFH, Urteil v. 30.6.1983, IV R 41/81, BStBl. II 1984 S. 263; BFH, Urteil v. 17.2.1993, X R 60/89, BStBl. 1993 II S. 437).

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Schlagworte zum Thema:  Rückstellung, Handelsbilanz