Rz. 338

Zu den Wesensmerkmalen der ungewissen Verbindlichkeiten, für die Rückstellungen gebildet werden dürfen, gehört es, dass die Verbindlichkeiten Schuldcharakter aufweisen. Es muss sich also um eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten handeln; Verpflichtungen des Kaufmanns "gegen sich selbst" (etwa sein Privatvermögen) genügen nicht, da insoweit rechtliche Personenidentität vorliegt. Die betriebswirtschaftliche Trennung bestimmter Vermögensmassen kann keine Rückstellung begründen. Daher ist Aufwand, den der Kaufmann in eigenem betrieblichen Interesse erbringt, ohne hierzu einem Dritten gegenüber verpflichtet zu sein ("eigenbetrieblicher Aufwand"), nicht rückstellungsfähig.[1]

Dritter i. d. S., dem gegenüber die Verbindlichkeit besteht, kann bei Personengesellschaften auch ein Mitunternehmer bzw., wenn es um die Bilanzierung bei dem Mitunternehmer geht, auch die Personengesellschaft sein. Erforderlich ist, dass das Rechtsverhältnis, aus dem die Verbindlichkeit fließt, nicht zu dem nach § 15 EStG in die Mitunternehmerschaft einbezogenen Bereich gehört. Das ist der Fall, wenn die der (ungewissen) Verbindlichkeit entsprechende Forderung nicht zum Sonderbetriebsvermögen gehört. Steuerrechtlich gehört das Sonderbetriebsvermögen zum Bereich des Eigenkapitals des Gesellschafters, sodass sich hieraus keine Verpflichtungen zwischen Personengesellschaft und Gesellschafter ergeben können (vgl. § 15 Rz. 254ff.).

 

Rz. 339

Der Schuldcharakter ist nicht davon abhängig, dass die Schuld zu einer Erhöhung des Aufwands führt. Es genügt, dass hierdurch Betriebseinnahmen vermindert werden. Die Verbindlichkeitsrückstellung soll alle potenziell gewinnmindernden Faktoren in der Bilanz berücksichtigen; das ist sowohl bei einer Erhöhung des Aufwands als auch bei einer Verminderung der Einnahmen der Fall.[2]

 

Rz. 340

Ist die Verpflichtung rechtlich entstanden, wenn auch in der Höhe ungewiss, weist sie immer Schuldcharakter auf.[3] Ohne Bedeutung ist es, ob die Forderung fällig ist, und grundsätzlich auch, ob der Gläubiger seine Forderung kennt (vgl. zur Einschränkung dieses Grundsatzes bei Patent- und anderen Schutzrechtsverletzungen Rz. 458 "Schutzrechtsverletzungen" sowie bei Schadensersatzverpflichtungen Rz. 458 "Schadensersatzverpflichtungen").

Eine Rückstellung kann auch gebildet werden, wenn ungewiss ist, ob eine Verbindlichkeit entstanden ist. Die Rückstellung kann gebildet werden, wenn nach den am Bilanzstichtag objektiv gegebenen und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren Verhältnissen mehr Gründe für als gegen das Bestehen einer Verbindlichkeit sprechen.[4] Es genügt, dass der Kaufmann mit der Inanspruchnahme rechnen muss, auch wenn sie noch nicht sicher ist (Rz. 362). Allein die Möglichkeit des Bestehens der Verpflichtung genügt jedoch nicht.

 

Rz. 340a

Ist die Verbindlichkeit verjährt, besteht sie rechtlich trotzdem weiter, soweit es sich um eine zivilrechtliche Verbindlichkeit handelt; sie weist damit Schuldcharakter auf. Da dem Kaufmann nur ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht, kann er die verjährte Verbindlichkeit erfüllen; die Bildung einer Rückstellung ist gerechtfertigt, solange ein vorsichtiger Kaufmann mit der Möglichkeit rechnen muss, dass er die Verbindlichkeit aus betrieblichen Gründen begleichen wird (Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme, Rz. 362ff.). Demgegenüber erlöschen Steueransprüche durch Verjährung (§ 47 AO); für verjährte Steueransprüche dürfen daher keine Rückstellungen gebildet werden.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge