2.2.1 Begriff des Existenzminimums

 

Rz. 30

Die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch das JStG 1996 geht auf die Rspr. des BVerfG zurück, wonach gem. Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde), Art. 3 GG (Gleichheitssatz, Leistungsfähigkeitsprinzip), Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) dem Stpfl. sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen werden muss, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein, d. h. zur Sicherung seines Existenzminimums, benötigt wird. Der existenznotwendige Bedarf bildet die Untergrenze für den steuerlichen Zugriff. Daraus[1] folgt ferner, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muss.[2] Die Steuerfreiheit des Existenzminimums der Eltern sichert der Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 EStG. Darüber hinaus muss das Existenzminimum der Kinder durch Berücksichtigung der Unterhaltslasten bei den Eltern gewährleistet sein. Für die steuerliche Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsverpflichtungen dürfen deshalb keine realitätsfremden Grenzen gezogen werden.[3]

 

Rz. 31

Das durch die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern erhöhte Existenzminimum wurde in dem bis 1995 geltenden dualen System durch die Kinderfreibeträge und daneben durch das Kindergeld berücksichtigt (Rz. 3). Das gegenwärtige duale System gewährleistet dies durch die alternative Gewährung von Kindergeld oder Kinderfreibetrag (Rz. 5). Das BVerfG hat das duale System gebilligt.[4] Es steht dem Gesetzgeber frei, die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht (durch Abzüge von der Bemessungsgrundlage) oder im Sozialrecht (durch Gewährung von Kindergeld) zu berücksichtigen bzw. beide Möglichkeiten zu kombinieren. So ist auch nach dem ab 1996 geltenden alternativen System (Kindergeld oder Kinderfreibeträge) bei der Prüfung, ob das Kindergeld eine ausreichende steuerliche Entlastung bietet, das Kindergeld in einen fiktiven Freibetrag umzurechnen und dieser mit dem sozialrechtlichen Existenzminimum zu vergleichen.[5]

2.2.2 Höhe des Existenzminimums

 

Rz. 32

Der konkrete Maßstab, an dem die verfassungsrechtlich erforderliche Steuerfreistellung zu messen ist, wurde erst im Lauf der Jahre sukzessive entwickelt. In seiner Kindergeldentscheidung[1] hält es das BVerfG für zulässig, das Existenzminimum aus Praktikabilitätsgründen in einem einheitlichen Betrag anzusetzen, der nicht nach Altersgruppen oder Gebieten gestaffelt werden muss. Dieser Betrag kann sich nicht an dem individuellen, dem Status der einzelnen Familie entsprechenden bürgerlich-rechtlichen Unterhalt orientieren. Entscheidend sind vielmehr die verbrauchsbezogenen und regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten angepassten Sozialhilferegelsätze. Aus den ländermäßig verschiedenen und altersgestaffelten Regelsätzen ist ein Durchschnittssatz zu bilden. Diesem sind die durchschnittlich gewährten Sonderleistungen zuzuschlagen.

 

Rz. 33

Nach der Grundfreibetragsentscheidung[2] hängt das Existenzminimum von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf ab, den der Gesetzgeber einschätzen kann.[3] Soweit dieser Mindestbedarf, den der Staat bei einem mittellosen Bürger im Rahmen sozialstaatlicher Fürsorge durch Sozialleistungen zu decken hat, im Sozialhilferecht festgelegt ist, darf das steuerlich zu verschonende Existenzminimum diesen Betrag nicht unterschreiten. Dementsprechend bemisst sich die Höhe des steuerlichen Existenzminimums nach dem Sozialhilferegelsatz, zuzüglich Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie Einmalbeihilfen, einschl. des Mehrbedarfs für Erwerbstätige.[4] Bei erheblichem Preisgefälle für existenznotwendige Aufwendungen (z. B. auf dem Wohnungsmarkt) kann der einheitlich festzusetzende Betrag am unteren Wert orientiert sein, sofern zur ergänzenden Bedarfsdeckung Sozialleistungen, z. B. Wohngeld, gezahlt werden.[5]

 

Rz. 34

Da der Gesetzgeber hier auf Zukunftsprognosen und ungewisse Komponenten angewiesen ist, hielten der BFH und dem folgend das BVerfG ein Zurückbleiben der steuerlichen Entlastung gegenüber den Sozialhilfeleistungen bis zu 15 % für unschädlich und dementsprechend einen Einschätzungsrahmen in dieser Höhe für angemessen.[6] Dies sollte unabhängig davon gelten, ob der Gesetzgeber diesen Spielraum bewusst ausgenutzt hatte oder nicht.

Das BVerfG hat betr. Kinderfreibeträge hat seine Rspr. zur Anerkennung einer "Toleranzgrenze" für den Gesetzgeber aufgegeben.[7] Die sozialrechtlichen Existenzminima sind damit Mindestbeträge, die nicht unterschritten werden dürfen. Bei der Umrechnung des Kindergelds in einen Kinderfreibetrag ist vom individuellen Grenzsteuersatz ausz...

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