Rz. 100

Bezüge, die ein Gesellschafter aus einer Beteiligung an einer in- oder ausländischen Gesellschaft erzielt, die nicht in § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG aufgeführt ist, können nach dieser Vorschrift als Einkünfte aus Kapitalvermögen der Besteuerung unterliegen, da § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG insofern keine abschließende Aufzählung enthält.[1] Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG ist, dass die infrage stehende in- oder ausländische Gesellschaft mit einer der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG genannten Gesellschaften vergleichbar ist (Typenvergleich).[2] Die Gesellschaft muss bei einer Gesamtbetrachtung der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen und der getroffenen Vereinbarungen eine körperschaftliche Organisationsstruktur aufweisen und die an ihr bestehenden Mitgliedschaftsrechte einer kapitalmäßige Beteiligung vermitteln.[3] Kennzeichnend für eine körperschaftliche Organisationsstruktur und kapitalmäßige Beteiligung ist, dass

  • Geschäftsführung und Außenvertretung von fremden Dritten oder durch einen eigenständigen Ausschuss wahrgenommen werden, dem neben Gesellschaftern auch Nichtgesellschafter angehören können,
  • keiner der Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft oder Ansprüche gegen die Gesellschaft persönlich mit seinem Vermögen haftet,
  • die Mitgliedschaftsrechte ohne Zustimmung der anderen Gesellschafter derart übertragen werden können, dass der Erwerber in vollem Umfang in die Gesellschafterstellung des Veräußerers eintritt,
  • die Gesellschaft über ein satzungsmäßiges Nennkapital verfügt, das von den Gesellschaftern durch Einlagen aufgebracht werden muss,
  • die Gewinnverteilung von einem Beschluss der Gesellschafterversammlung abhängt und sich nach der Beteiligung am Nennkapital richtet,
  • die Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung nach der Höhe der in das Nennkapital geleisteten Einlagen abgestuft sind,
  • die Gesellschaft in ihrer rechtlichen Existenz vom Ausscheiden und Hinzustoßen ihrer Gesellschafter unabhängig ist und
  • zur Gründung der Gesellschaft eine Bestätigung des Gesellschaftsvertrags durch eine öffentliche Instanz erforderlich ist.[4]
 

Rz. 101

Bei einer Vorgründungsgesellschaft handelt es sich um eine Vorstufe einer Körperschaft, die zwischen der Vereinbarung der Gesellschafter, eine Körperschaft zu gründen, und dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags besteht (bloße GbR, notarieller Gesellschaftsvertrag noch nicht abgeschlossen). Eine Vorgründungsgesellschaft verfügt noch nicht über die Organisationsstruktur der späteren Körperschaft. Steuerrechtlich wird sie daher als Personengesellschaft behandelt. Einkünfte, die ein Gesellschafter aus einer Beteiligung an einer Vorgründungsgesellschaft erzielt, können daher in allen Einkunftsarten i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 7 EStG anfallen.[5]

 

Rz. 102

Eine Gründungsgesellschaft (Vorgesellschaft) ist die Vorstufe einer Körperschaft, die zwischen dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags und der Eintragung der Körperschaft ins Handelsregister besteht. Eine Gründungsgesellschaft besitzt bereits die Organisationsstruktur der späteren Körperschaft. Steuerrechtlich wird sie daher als solche behandelt. Einkünfte, die ein Gesellschafter aus einer Beteiligung an einer Gründungsgesellschaft erzielt, unterliegen folglich als Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG der Besteuerung; bei Anteilsveräußerungen kann § 17 EStG zum Tragen kommen.[6]

 

Rz. 103

Bei einem Verein bürgerlichen Rechts[7] handelt es sich um eine Personenvereinigung, die als juristische Person bei Eintragung ins Vereinsregister oder aufgrund staatlicher Verleihung über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt und für deren Verbindlichkeiten nur das Vereinsvermögen haftet. An einem Verein bürgerlichen Rechts bestehen regelmäßig keine kapitalmäßigen Beteiligungen. Einkünfte, die ein Vereinsmitglied aus einer Mitgliedschaft in einem Verein bürgerlichen Rechts erzielt, sind daher nicht als Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG zu versteuern.[8] In Betracht kommen Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG oder § 22 Nr. 1 S. 2 Hs. 2 EStG.

 

Rz. 104

Eine Stiftung bürgerlichen Rechts[9] ist ein selbstständiges Zweckvermögen, das als juristische Person bei formwirksamem Stiftungsgeschäft und landesrechtlicher Anerkennung über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt und für deren Verbindlichkeiten nur das Stiftungsvermögen haftet. Bei einer Stiftung bürgerlichen Rechts handelt es sich um keine Personenvereinigung. Sie hat keine Mitglieder, sondern lediglich Begünstigte. Einkünfte, die ein Begünstigter aus einer Stiftung bürgerlichen Rechts erzielt, unterliegen daher nicht als Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG der Besteuerung.[10] Denkbar sind Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG oder § 22 Nr. 1 S. 2 Hs. 2 EStG.

[1] BFH v. 15.11.1994, VIII R 74/93, BStBl II 1995, 315; Intemann, in H/H/R, EStG/KStG, § 20 EStG Rz. 52; Geurts, in Bordewin/Brandt, EStG, § 20 EStG Rz. 103f.

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