4.1 Erweiterung des Tatbestands des § 17 Abs. 1 EStG

4.1.1 Allgemeines und Systematik

 

Rz. 321

§ 17 Abs. 4 EStG erweitert die Anwendung der Abs. 1 bis 3 auf die Fälle der Auflösung der Kapitalgesellschaft[1], der Herabsetzung von Nennkapital und der Ausschüttung oder Rückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto , soweit die ausgekehrten Beträge die Anschaffungskosten übersteigen (zur Minderung der Anschaffungskosten vgl. Rz. 275). Auskehrungen aus dem steuerlichen Einlagekonto, die die Anschaffungskosten übersteigen, führen nach der jetzt bestehenden Rechtslage nicht zu negativen Anschaffungskosten (vgl. Rz. 348), sondern zu stpfl. Einkünften.[2]

Ebenso wie der Tatbestand des § 17 Abs. 1 EstG erfasst der Tatbestand des § 17 Abs. 4 EStG Anteile an unbeschränkt und an beschr. stpfl. Kapitalgesellschaften und, nach § 17 Abs. 7 EStG auch Anteile an Genossenschaften. Für beschr. stpfl. Kapitalgesellschaften und Genossenschaften gilt die Regelung sowohl für EU- als auch für EWR- und Drittstaatengesellschaften.

 

Rz. 322

Die Vorschrift korrespondiert mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG für Auskehrungen aus dem steuerlichen Einlagekonto und mit § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG für Bezüge aus Kapitalherabsetzung und Liquidation. Soweit die Auskehrungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG nicht zu den laufenden Einkünften gehören, werden sie der Kapitalsphäre zugeordnet und daher ebenso wie Veräußerungsgewinne durch § 17 EStG erfasst.[3] Die Regelung des § 17 Abs. 4 EStG ist gerechtfertigt, da der Inhaber der Anteile ebenso wie bei der Veräußerung auch bei der Auflösung und der Kapitalherabsetzung mit Kapitalrückzahlung bzw. Auskehrungen aus dem steuerlichen Einlagekonto sein Anrecht auf die Vermögenssubstanz der Kapitalgesellschaft realisiert.

 

Rz. 323

Ebenso wie § 17 Abs. 1 EStG die Veräußerung von Anteilen an inländischen und ausl. Kapitalgesellschaften erfasst, ist es auch bei Abs. 4 ohne Bedeutung, ob die Kapitalgesellschaft Sitz und/oder Geschäftsleitung im Inland oder im Ausland hat. Hinsichtlich des Gesellschafters, der die Bezüge aus Liquidation, Kapitalherabsetzung oder aus dem steuerlichen Einlagekonto erzielt, ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob er unbeschränkt oder beschr. stpfl. ist. Bei Vorliegen der beschr. Steuerpflicht werden die Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG erfasst, allerdings nur, wenn die Kapitalgesellschaft, die die Auskehrungen vornimmt, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat. Entsprechende Auskehrungen einer ausl. Körperschaft an einen ausl. Anteilseigner unterliegen nicht der beschr. Steuerpflicht und damit auch nicht § 17 EStG.

 

Rz. 324

§ 17 Abs. 4 EStG formulierte ursprünglich, dass in den dort genannten Fällen § 17 Abs. 1 EStG entsprechend anzuwenden sei; Abs. 4 hatte daher den Charakter eines Ersatztatbestands. Durch das Jahressteuergesetz 2007 v. 13.12.2006[4] wurde die Formulierung dahin geändert, dass Liquidation, Kapitalherabsetzung und Auskehrung aus dem steuerlichen Einlagekonto nicht mehr als Ersatztatbestände fungieren, sondern dass diese Sachverhalte durch Fiktion als Veräußerung eingestuft werden. Damit sind § 17 Abs. 13 EStG nicht mehr entsprechend aufgrund einer Verweisung, sondern unmittelbar anwendbar. Diese terminologische Änderung geht auf die Fusionsrichtlinie v. 17.2.2005[5] zurück. Nach der dort in Art. 10d enthaltenen Regelung darf der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters unter weiteren Voraussetzungen "Veräußerungen" besteuern, nicht aber Gewinne aus Ersatztatbeständen. Die Erweiterung des Begriffs der "Veräußerung" durch § 17 Abs. 4 EStG soll insoweit das Besteuerungsrecht nach der Fusionsrichtlinie eröffnen. M. E. ist aber fraglich, ob der Begriff der "Veräußerung" in der Fusionsrichtlinie unilateral ausgeweitet werden kann. M. E. muss stattdessen dieser Begriff autonom nach der Fusionsrichtlinie ausgelegt werden. Die Erweiterung des Begriffs "Veräußerung" durch § 17 Abs. 4 EStG hätte dann innerhalb der EU keine Bedeutung; eine Besteuerung wäre nur möglich bei rein innerstaatlichen Gestaltungen und bei Ansässigkeit der Kapitalgesellschaft oder des Gesellschafters in Drittstaaten.

 

Rz. 325

Bedeutung hat die Änderung der Terminologie aber für die Frage, ob auf die Vermögensmehrungen nach Abs. 4 der Freibetrag nach Abs. 3 anzuwenden ist. Unter der Formulierung der "entsprechenden Anwendung" war das umstritten.[6] Nachdem jetzt die Tatbestände des Abs. 4 als "Veräußerungen" gelten, sind die Abs. 1 – 3, und damit auch der Freibetrag, unmittelbar anzuwenden, ohne dass es einer "entsprechenden" Anwendung bedarf.

 

Rz. 326

Die Einordnung der Bezüge aus Liquidation, Kapitalherabsetzung und aus dem steuerlichen Einlagekonto haben bei Bestehen eines DBA insoweit Auswirkungen, als dadurch das deutsche Besteuerungsrecht beschränkt werden kann. Solange Abs. 4 nur Ersatztatbestände enthielt, unterlagen die Gewinne keiner Regelung der DBA. Damit war das deutsche Besteuerungsrecht nicht beschränkt, auch wenn es dadurch zu einer Doppelbesteuerung kam. Wenn jedoch § 17 Abs. 4 EStG diese Bezüge als "Veräußerungsgewinne" einordnet, gilt für sie die Regelung des A...

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