Rz. 121

Für die Besteuerung des Anteilseigners einer wegziehenden SE oder SCE enthält Abs. 1 letzter Hs. i. V. m. § 4 Abs. 1 S. 4 EStG und § 15 Abs. 1a EStG eine Sonderregelung. Diese Regelung ist nur anwendbar auf die Sitzverlegung der SE[1] bzw. auf die Sitzverlegung der SCE[2] in einen EU-Mitgliedstaat. Bei der Sitzverlegung von SE und SCE in einen Drittstaat greifen für die Besteuerung des Anteilsinhabers der SE bzw. SCE dagegen die allgemeinen Regeln des Abs. 1 ohne Milderung ein.

 

Rz. 121a

Die Verweisung auf § 15 Abs. 1a EStG[3] ist eigentlich überflüssig, da diese Vorschrift über § 8 Abs. 1 KStG ohnehin für Körperschaften gilt. § 4 Abs. 1 S. 4 EStG gilt dagegen nicht unmittelbar für Körperschaften, da diese Vorschrift an die Entnahme des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG anknüpft.

§ 4 Abs. 1 Nr. 4 EStG und § 15 Abs. 1a EStG, auf die § 12 Abs. 1 KStG verweist, beziehen sich nur auf Anteile im Betriebsvermögen. Erfasst werden damit alle Körperschaften als Gesellschafter der SE oder SCE, die nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb haben können[4], die Betriebe gewerblicher Art sowie bei anderen Körperschaften diejenigen, die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten und bei denen die Anteile zu diesem Geschäftsbetrieb gehören. Nicht erfasst werden dagegen Körperschaften, die Anteile an einer SE oder SCE außerhalb des Betriebsvermögens halten (z. B. Vereine und Stiftungen). Für diese Körperschaften gilt § 17 Abs. 5 S. 2 – 4 EStG, der eine entsprechende Regelung enthält. Auf diese Vorschrift wird zwar in § 12 Abs. 1 KStG nicht verwiesen; das ist auch überflüssig, da § 17 EStG über § 8 Abs. 1 KStG ohnehin für nicht gewerblich tätige Körperschaften gilt.

 

Rz. 122

Bei dem Wegzug einer SE oder SCE in einen EU-Staat gilt für die Anteile an diesen Gesellschaften aufgrund der Verweisung in § 12 Abs. 1 KStG auf § 4 Abs. 1 S. 4 EStG die Entstrickungsbesteuerung nach § 12 Abs. 1 KStG nicht. An dessen Stelle treten die Regelungen des § 15 Abs. 1a EStG bzw. des § 17 Abs. 5 S. 2–4 EStG. Danach darf eine Besteuerung erst bei einer späteren Veräußerung der Anteile erfolgen, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn eine Sitzverlegung der SE oder SCE nicht stattgefunden hätte. Diese Regelung geht auf Art. 12ff. FRL zurück.

 

Rz. 123

Nach den genannten Vorschriften nimmt die Bundesrepublik das Besteuerungsrecht unabhängig von den Regelungen des jeweils geltenden DBA in Anspruch, also im Wege des "treaty overrides". Besteuert wird der gesamte Veräußerungsgewinn, also nicht nur der Teil, der bis zum Zeitpunkt des Wegzugs der SE oder SCE entstanden wäre. Die Bundesrepublik besteuert damit auch stille Reserven, die erst in einer Zeit entstanden sind, zu der das deutsche Besteuerungsrecht bereits ausgeschlossen war.

 

Rz. 124

Diese Besteuerung entspricht zwar Art. 14 FRL, sie ist aber unzweckmäßig, da dadurch auf jeden Fall der Teil des Veräußerungsgewinns, der auf Wertsteigerungen in der Zeit zwischen der Sitzverlegung und der Veräußerung beruht, doppelt besteuert wird. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1a EStG bzw. § 17 Abs. 5 S. 3 EStG darf Deutschland auch diesen Gewinn besteuern, obwohl er außerhalb seiner Steuerhoheit entstanden ist. Der ausl. Staat wird auf die Besteuerung dieses Teils des Gewinns kaum verzichten wollen, und muss dies nach dem Wortlaut des Art. 14 FRL auch nicht. Es wird ein Formulierungsfehler in der FRL angenommen werden müssen, der durch eine europarechtskonforme Reduktion des § 15 Abs. 1a EStG bzw. § 17 Abs. 5 EStG bereinigt werden sollte. Die Besteuerung nach diesen Vorschriften würde dann nur den Teil des Veräußerungsgewinns erfassen, der in der Zeit bis zur Sitzverlegung entstanden ist. Erforderlichenfalls ist die Doppelbesteuerung durch ein Verständigungsverfahren bzw. ein Schiedsverfahren zu beseitigen.

 

Rz. 124a

Wird diese Reduktion nicht vorgenommen, stellt sich die Frage, ob diese Regelungen sowie Art. 14 FRL insoweit gegen die Grundfreiheiten des AEUV (Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV; Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV) verstoßen, da die Doppelbesteuerung prohibitive Ausmaße annehmen kann und bei einer Sitzverlegung innerhalb des Inlands nicht eintritt. Die Einschränkung der genannten Grundfreiheiten ist, anders als bei der Besteuerung der Körperschaft bei Sitzverlegung selbst, nicht mehr aus dem Gesellschaftsstatut der Körperschaft zu rechtfertigen, da es hier um die Besteuerung der Gesellschafter geht, nicht der wegziehenden Gesellschaft. Dies wirft die Frage des "europarechtswidrigen Europarechts" auf (Rz. 105).

 

Rz. 125

Wird – wie hier – vertreten, dass auch eine EU-Richtlinie gegen die Grundfreiheiten verstoßen kann, stellen Art. 14 FRL sowie die darauf beruhenden § 15 Abs. 1a EStG bzw. § 17 Abs. 5 S. 3 EStG eine Einschränkung der Grundfreiheiten dar. Ob diese Einschränkung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Bei dem engen Rahmen, in dem der EuGH eine Rechtfertigung der Einschränkung von Grundfreiheiten annimmt, ist kaum zu e...

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