Rz. 54

Bestanden für die Vorschrift des § 12 KStG anfänglich noch europarechtliche Bedenken[1], dürften diese durch die Rechtsprechungsentwicklung des EuGH[2] und schließlich durch den Erlass der ATAD-Richtlinie weitestgehend ausgeräumt sein. Die ATAD-Richtlinie muss sich selbst (wie alles unionsrechtliche Sekundärrecht) am Primärrecht messen lassen.[3]

Die Vorschriften der Wegzugs- und Entstrickungsbesteuerung in Art. 5 ATAD lehnen sich jedoch eng an die Rechtsprechung des EuGH zu entsprechenden mitgliedstaatlichen Vorschriften an.[4]

Die durch Art. 5 ATAD determinierte Unionsrechtskonformität der nationalen Regelung geht jedoch nur soweit, wie die Vorgaben der Richtlinie reichen. Gehen nationale Vorschriften über die Vorgaben der Richtlinie hinaus, bleiben die Mitgliedstaaten an das Primärrecht gebunden.[5]

 

Rz. 55

Die ursprüngliche Fassung des § 12 Abs. 1 KStG enthielt noch keine dem § 4g EStG entsprechende Regelung und auch keine Verweisung auf diese Vorschrift. Dies wurde durch das Jahressteuergesetz 2008[6] korrigiert, indem in § 12 Abs. 1 KStG eine Verweisung auf § 4g EStG eingefügt wurde. Danach ist § 4g EStG entspr. anzuwenden.

Die Vorschriften des UmwStG gehen der Bildung des Ausgleichspostens vor.[7] Wenn der Vorgang nach dem UmwStG steuerneutral ist, erübrigt sich die Anwendung des § 4g EStG.

 

Rz. 56

§ 4g EStG sollte ursprünglich europarechtliche Bedenken wegen der fiktiven Veräußerung nach § 4 Abs. 1 S. 3 EStG begegnen (vgl. Rz. 79). Dazu setzte die Vorschrift die bereits vom BMF[8] vertretene Konzeption der "aufgeschobenen Besteuerung" in eine gesetzliche Regelung um, veränderte sie aber auch in Einzelheiten. Soweit körperschaftsteuerpflichtige Personen betroffen sind, sind nach Art. 5 Abs. 2 bis 4 ATAD Vorschriften zur Streckung der Steuer, welche durch in der ATAD-Richtlinie näher bezeichnete Vorgänge ausgelöst wird, europarechtlich zwingend. Zur Anpassung an die Vorgaben der ATAD-Richtlinie hat der Gesetzgeber verschiedene Änderungen an § 4g EStG durch das ATADUmsG vorgenommen.[9] Ob die Vorgaben zur Steuerstreckung in Art. 5 Abs. 2 bis 4 ATAD vollständig in nationales Recht transformiert wurden, ist m. E. zweifelhaft. Die deutsche Fassung der ATAD-Richtlinie lässt darauf schließen, dass als europarechtliche Rechtsfolge vorgesehen ist, "die Zahlung einer Steuer (...) aufzuschieben". Auch die englische ("the right to defer the payment of an exit tax") und niederländische ("het recht toegekend de betaling van een exitheffing") Sprachfassung lassen darauf schließen, dass die konkret bestimmte (Entstrickungs-)Steuer über einen Fünfjahreszeitraum zu entrichten ist (Ebene der Steuererhebung). § 4g EStG gestattet jedoch auf Ebene der Gewinnermittlung die Bildung eines Ausgleichspostens. Insoweit ist eine weitergehende Analyse der von der ATAD-Richtlinie statuierten Vorgaben erforderlich, welche unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte, den verschiedenen Sprachfassungen , der Zielrichtung – die in den Erwägungsgründen und in Art. 3 ATAD zum Ausdruck kommt – den konkreten Umsetzungsauftrag beschreibt. Insoweit könnte sich ergeben (wofür m. E. viel spricht), dass die Änderungen in § 4g EStG die ATAD-Richtlinie nicht hinreichend umgesetzt haben und deshalb weiterer Umsetzungsbedarf besteht.

Für körperschaftsteuerpflichtige Personen (Art. 1 Abs. 1 ATAD) ist seit Geltung der ATAD-Richtlinie europarechtlich vorgegeben, unter welchen Voraussetzungen (Art. 5 Abs. 2 ATAD), unter welchen Bedingungen (Art. 5 Abs. 3 ATAD) und unter welchen vorzeitigen Beendigungsgründen (Art. 5 Abs. 4 ATAD) der Stpfl. die durch eine Entstrickung ausgelöste Steuer durch Teilzahlungen, die über 5 Jahre erfolgen, aufschieben kann. Die europarechtliche Vorgabe erfasst – bezogen auf § 12 KStG – die Konstellation der Übertragung eines Wirtschaftsguts. Eine Nutzungsüberlassung ist nicht Regelungsgegenstand der ATAD-Richtlinie. Demgemäß besteht auch insoweit keine Möglichkeit, die durch die Nutzungsüberlassung an eine ausländische Betriebsstätte ausgelöste Steuer aufzuschieben. Da insoweit keine über Jahre gebildeten stillen Reserven aufgedeckt werden, ist dies auch sachgerecht.

 

Rz. 57

§ 4g Abs. 1 EStG ermöglicht es einem Stpfl., den durch § 12 Abs. 1 KStG entstandenen Gewinn – soweit er nicht aus einer Nutzungsüberlassung stammt – in einen passiven Ausgleichsposten einzustellen und damit diesen Gewinn zu neutralisieren. Die Bildung des Ausgleichspostens gilt seit Änderung des § 4g EStG durch das ATADUmsG sowohl für Wirtschaftsgüter des Anlage- und Umlaufvermögens. Ebenso können beschränkt Stpfl. nach der Änderung durch das ATADUmsG bei einer Übertragung des Wirtschaftsguts von einer inländischen Betriebsstätte zum ausländischen Stammhaus einen Ausgleichsposten bilden. Die Bildung des Ausgleichspostens setzt jedoch voraus, dass das deutsche Besteuerungsrecht dadurch ausgeschlossen oder beschränkt worden ist, dass das Wirtschaftsgut einer Betriebsstätte in einem EU-Staat oder einem EWR-Staat (Verweis auf die Staaten i. S. d. § 36 Abs. 5 ...

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