Rz. 58

[Autor/Stand] Ggf. verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Die Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG entfaltet grundsätzlich unbeschränkte (echte[2]) Rückwirkung auf alle offenen Fälle (s. zum zeitlichen Anwendungsbereich ausf. Rz. 77 ff.). Das gerät in offenen Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Verbot belastender (echter) Rückwirkung von Gesetzen. Um diesen Konflikt zu vermeiden, sieht die Anwendungsbestimmung des § 52 Abs. 47b EStG vor (abgedruckt in Rz. 84), dass die Neufassung keine Rückwirkung entfalten soll, wenn die bisher anzuwendende Altfassung dem geltend gemachten Entlastungsanspruch nicht entgegenstand (d.h. für den Steuerpflichtigen günstiger war). Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Rückwirkung nur auf die Fälle begrenzt werden, in denen die Neufassung nicht belastend wirkt, d.h. den Steuerpflichtigen (zumindest) nicht "schlechter stellt"[3]. Dieses Ziel wird aber durch den Wortlaut des § 52 Abs. 47b EStG nur unzureichend erreicht, da er nicht ausdrücklich den Fall erfasst, in dem die Altfassung dem Entlastungsanspruch zwar auch entgegenstand, dies aber nur in einem betragsmäßig geringeren Umfang (vgl. ausf. Rz. 96). Um dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen und einen Verfassungsverstoß zu vermeiden, ist daher eine verfassungskonforme Auslegung des § 52 Abs. 47b EStG dergestalt geboten, dass auch bei einer betragsmäßig geringeren (günstigeren) Versagungsrechtsfolge nach der Altfassung die Neufassung nicht rückwirkend anzuwenden ist. Die Günstigerprüfung ist demnach im Wege eines Rechtsfolgenvergleichs zwischen Alt- und Neufassung vorzunehmen (vgl. Rz. 96 mit Beispiel). Eine solche verfassungskonforme Auslegung dürfte u.E. noch methodisch vertretbar sein. Sollte sie aufgrund des klaren Wortlauts aber nicht in Betracht kommen, wäre die belastende (echte) rückwirkende Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG (vorbehaltlich der Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens[4]) verfassungswidrig.

[Autor/Stand] Autor: Schönfeld/Erdem, Stand: 01.03.2022
[2] Sofern § 50d Abs 3 EStG die (abgeltende) Kapitalertragsteuer und Abzugsteuer nach § 50a EStG betrifft, entsteht der Steueranspruch (anders als bei veranlagten Steuern) im Zeitpunkt des Zuflusses. Damit ist jede Rückwirkung auf vor dem Inkrafttreten zugeflossene Erträge eine (grundsätzlich unzulässige) echte Rückwirkung.
[3] RegE-AbzStEntModG, BT-Drucks. 19/27632, vgl. § 50d Abs. 3 EStG Anh. 1 Rz. 29.
[4] Das dürfte nach neuerer Rechtsprechung des BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303, Rz. 150 ff. mit der Zuleitung des Regierungsentwurfs an den Bundesrat am 22.1.2021 eingetreten sein.

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