Rz. 32

§ 6 Abs. 2 S. 3–5 ErbStG regelt die Besteuerung von Erwerbsvorgängen, in denen mit dem Tod des Vorerben nicht nur das Sondervermögen aus der durch den Erblasser angeordneten Vor- und Nacherbfolge übergeht, sondern zusätzlich auch sog. freies Vermögen des Vorerben. Unabhängig davon, ob es der Nacherbe bei einer Versteuerung der Nacherbfolge nach der Grundregel des § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG – d. h. Erwerb als vom Vorerben stammend – belässt oder nach § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG eine Versteuerung im Verhältnis zur Person des Erblassers wählt, verwirklicht der Nacherbe einen einheitlichen Erwerb von Todes wegen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.[1]

[1] RFH v. 16.7.1942, III 13/42, RStBl 1942, 935.

3.3.1 Steuerklasse

 

Rz. 33

Beantragt der Nacherbe eine Versteuerung der Nacherbschaft im Verhältnis zum Erblasser, wird der einheitliche Erwerb nach § 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG insoweit aufgeteilt, als beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln sind. Dies bedeutet, dass sowohl das Sondervermögen aus der angeordneten Vor- und Nacherbfolge, als auch das übergegangene freie Vermögen des Vorerben auf den Zeitpunkt des Eintritts der Nacherbfolge[1] getrennt ermittelt und bewertet werden müssen.[2]

[2] Gottschalk, in T/G/J/G, ErbStG, § 6 Rz. 104.

3.3.2 Freibetrag

 

Rz. 34

Da es sich beim gleichzeitigen Erwerb von Sondervermögen aus der Vor- und Nacherbschaft und freiem Vermögen des Vorerben grds. um einen einheitlichen Erwerb handelt, kann nach § 6 Abs. 2 S. 4 ErbStG für das freie Vermögen des Vorerben ein Freibetrag nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht ausgeschöpft ist. Bedeutung hat diese Vorschrift in den Fällen, in denen der Nacherbe eine Besteuerung der Nacherbfolge im Verhältnis zum Erblasser gem. § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG beantragt. Der persönliche Freibetrag nach § 16 Abs. 1 ErbStG bzw. ein möglicher Versorgungsfreibetrag nach § 17 ErbStG, der dem Nacherben nach seinem Verhältnis zur Person des Erblassers zusteht, ist zunächst vom Wert der Nacherbschaft abzuziehen. Bezüglich des übergegangenen freien Vermögens des Vorerben ist der Freibetrag, der sich aus dem Verhältnis zum Vorerben ergibt, nur in dem Umfang zu berücksichtigen, in dem der Freibetrag bezüglich der Nacherbschaft im Verhältnis zur Person des Erblassers noch nicht verbraucht ist.[1]

 
Praxis-Beispiel

Eine Erblasserin setzt ihre Tochter zur Vorerbin und ihren Sohn zum Nacherben ein. Der Sohn ist alleiniger Erbe seiner Schwester. Bei Eintritt des Nacherbfalls beantragt der Sohn die Besteuerung der Nacherbschaft im Verhältnis zur Erblasserin gem. § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG. Die Nacherbschaft hat einen Steuerwert i. H. v. 390.000 EUR, das freie Vermögen der Vorerbin einen Steuerwert i. H. v. 50.000 EUR. Im Rahmen der Besteuerung der Nacherbschaft gilt aufgrund der Steuerklasse I im Verhältnis zur Erblasserin ein Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG i. H. v. 400.000 EUR, der bei einer Nacherbschaft von 390.000 EUR i. H. v. 10.000 EUR noch nicht ausgeschöpft ist (= Restfreibetrag). Die Besteuerung des freien Vermögens der Vorerbin erfolgt nach der Steuerklasse II, womit diesbezüglich gem. § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG grds. ein Freibetrag i. H. v. 20.000 EUR zur Anwendung kommt. Da dieser Freibetrag jedoch über dem noch nicht verbrauchten Restfreibetrag aus der Versteuerung der Nacherbschaft im Verhältnis zur Erblasserin i. H. v. 10.000 EUR liegt, kann im Rahmen der Besteuerung des freien Vermögens der Vorerbin i. H. v. 50.000 EUR nach § 6 Abs. 2 S. 4 ErbStG lediglich der noch nicht verbrauchte Restfreibetrag aus der Versteuerung der Nacherbschaft i. H. v. 10.000 EUR in Anspruch genommen werden.

[1] BFH v. 2.12.1998, II R 43/97, BStBl II 1999, 235; gl. A. Gottschalk, in T/G/J/G, ErbStG, § 6 Rz. 105; a. A. Moench, DVR 1988, 2.

3.3.3 Steuersatz

 

Rz. 35

Nach einem entsprechenden Abzug auf der Ebene des Freibetrags ist nach § 6 Abs. 2 S. 5 ErbStG die Steuer für den Erwerb der Nacherbschaft und den Erwerb des freien Vermögens des Vorerben jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde – die Anknüpfung an den Steuersatz auf den Gesamterwerb wirkt wie ein Progressionsvorbehalt und ist gesetzestechnisch erforderlich, um eine ungerechtfertigte Begünstigung durch die Aufspaltung in 2 einzelne Erwerbe nach dem Verhältnis zum Erblasser einerseits und dem Verhältnis zum Vorerben andererseits zu vermeiden.[1] Für jeden der beiden Erwerbe gilt nicht nur § 14 ErbStG mit der Berücksichtigung früherer Erwerbe im Verhältnis zum Erblasser bzw. zum Vorerben, sondern auch der Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG.[2]

 
Praxis-Beispiel

Eine Erblasserin setzt ihre Tochter zur Vorerbin und ihren Sohn zum Nacherben ein. Der Sohn ist alleiniger Erbe seiner Schwester. Bei Eintritt des Nacherbfalls beantragt der Sohn die Besteuerung der Nacherbschaft im Verhältnis zur Erblasserin gem. § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG. Die Nacherbschaft hat einen Steuerwert i. H. v. 500.000 EUR, das freie Vermögen der Vorerbin einen Ste...

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