Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträglich rückwirkende Anlaufhemmung bei erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellten Antrag auf Günstigerprüfung von Kapitalerträgen. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VI R 17/23)

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellter Antrag gemäß § 32d Abs. 6 EStG auf Günstigerprüfung von Kapitalerträgen führt nicht zu einer nachträglichen rückwirkenden Anlaufhemmung, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung bereits vor Eintritt der Festsetzungsverjährung gegeben waren.

 

Normenkette

EStG § 32d Abs. 6; AO § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; FGO § 155 S. 1; ZPO § 251

 

Tatbestand

Streitig ist, ob für die Jahre 2014 und 2015 eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen ist.

Die Kläger sind zu je ½ die Gesamtrechtsnachfolger nach der am 30.03.2018 verstorbenen A (im Folgenden: Erblasserin).

Sie reichten am 30.12.2020 die Einkommensteuererklärungen für 2014 und 2015 für die Erblasserin ein. Sie erklärten darin jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge) i.H.v. 32.628 €, die dem inländischen Lohnsteuerabzug unterlegen hatten.

Außerdem wurden Kapitalerträge i.H.v. 4.543 € (2014) bzw. 1.476 € (2015) erklärt, die dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, sowie für 2015 ausländische Kapitalerträge i.H.v. 2.683 €, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben. Die Kläger beantragten in beiden Streitjahren die Günstigerprüfung.

Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 21.01.2021 die Einkommensteuerveranlagungen für 2014 und 2015 ab, da die Festsetzungsfrist abgelaufen sei und keine Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen bestanden habe.

Hiergegen legten die Kläger durch den Prozessbevollmächtigten am 28.01.2021 Einspruch ein.

Zur Begründung führten sie (unter inhaltlichem Bezug auf das gleichgelagerte Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2012) aus, dass gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Veranlagung durchzuführen sei, da die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, jeweils mehr als 410 € betragen habe. Die Regelung in § 2 Abs. 5b EStG stehe der Einbeziehung der Kapitalerträge in die Prüfung der 410 €-Grenze nicht entgegen, wenn ein Antrag auf Günstigerprüfung gestellt werde, da die Kapitalerträge damit zwingend Bestandteil der Steuerfestsetzung und gerade nicht mehr außerhalb derselben durch den Steuereinbehalt abgegolten seien. Der BFH habe im Urteil vom 28.07.2021 (X R 35/20, BFH/NV 2022, 1) die strittige Rechtsfrage nicht entschieden.

Mit Einspruchsentscheidung vom 31.08.2022 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.

Es führte zur Begründung aus, dass die Veranlagungen für die Streitjahre wegen der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung zu Recht abgelehnt worden seien.

Bei den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre handele es sich jeweils um eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG. Die Festsetzungsfrist beginne daher gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden sei. Sie habe für den Veranlagungszeitraum 2014 mit Ablauf des 31.12.2018 und für den Veranlagungszeitraum 2015 mit Ablauf des 31.12.2019 geendet.

Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO greife nicht, wenn keine Steuererklärung einzureichen sei. Ein Pflichtveranlagungsfall sei vorliegend nicht gegeben, denn bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2018 bzw. 2019 habe kein Veranlagungstatbestand gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG vorgelegen.

Die nach Ablauf der jeweiligen Festsetzungsfrist eingereichten Einkommensteuererklärungen könnten nicht nachträglich eine rückwirkende Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bewirken.

Zwar führe der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG dazu, dass die durch den Kapitalertragsteuerabzug abgeltend besteuerten Kapitalerträge (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) aufgrund des Veranlagungswahlrechts nunmehr nach den allgemeinen Regelungen zu besteuern seien. Daraus folge, dass die Kapitalerträge abweichend von der Norm des § 2 Abs. 5b EStG den übrigen tariflich besteuerten Einkünften hinzuzurechnen seien, wenn die sich daraus ergebende Einkommensteuer niedriger sei als die Einkommensteuerfestsetzung zum gesonderten Tarif nach § 32d Abs. 1 EStG. Andernfalls gelte der Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG als nicht gestellt.

So wie jedoch eine behördliche Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung den Anlauf der Festsetzungsfrist dann nicht mehr hemme, wenn sie dem Steuerpflichtigen erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO zugehe, könne der Steuerpflichtige eine solche Pflicht durch seinen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. V. m. § 32d Abs. 6 EStG nicht herbeiführen.

Zudem habe der BFH zuletzt ausgeführt (vgl. Urteil vom 21.08.2019 X R 16/17, BStBl II 2020, 99), dass der Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG kein rückwirkendes Ereignis da...

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