Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld trotz bestandskräftig festgestellten Verlust des Freizügigkeitsrechts. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: III R 36/23)

 

Leitsatz (redaktionell)

1.) Die Gewährung von Kindergeld ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts bestandskräftig festgestellt hat.

2.) Für Zwecke des Kindergeldrechts steht der Famlienkasse eine eigene Prüfungskompetenz zu.

 

Normenkette

EStG §§ 63, 62 Abs. 1a; Freizügigkeitsgesetz/EU § 2; EStG § 62

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Kindergeldfestsetzung für die Kinder Q. und D. für den Zeitraum Dezember 2021 bis einschließlich März 2022 hat.

Die Klägerin ist rumänische Staatsangehörige. Sie wohnt seit dem 00. April 2019 in Deutschland. Ihre in Deutschland geborenen Kinder Q. (*00. Dezember 2019) und D. (*00. September 2021) wohnen mit ihr in einem Haushalt. Ab dem 00. November 2021 war die Klägerin bei der Firma „S. GmbH” als Retourenbucherin beschäftigt. Sie erhielt einen Stundenlohn von 10,45 EUR zuzüglich einer stündlichen Zulage in Höhe von 0,35 EUR. Das Nettogehalt stieg von 42,12 EUR anteilig für November 2021 über 426,34 EUR im Dezember 2021, 606,85 EUR im Januar 2022, 956,26 EUR im Februar bis auf 1.158,20 EUR im März 2022 an. Den Lohnabrechnungen ist zu entnehmen, dass die Klägerin zudem im November 2021 insgesamt 21 Stunden und im Dezember 2021 insgesamt 56 Stunden – unbezahlt – als Ungeimpfte in Quarantäne war. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Arbeitsvertrag und die Lohnabrechnungen Bezug genommen.

Die Beklagte setzte mit Bescheiden vom 6. Februar 2020 und 3. November 2021 Kindergeld für die beiden Kinder der Klägerin, Q. und D., fest.

Mit Bescheid vom 00. November 2021 stellte die Stadt C. – Ausländerbehörde – den Verlust des Rechts auf Freizügigkeit der Klägerin und ihrer beiden Kinder gem. § 5 Abs. 4 FreizügG/EU fest. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Klägerin sich weniger als 5 Jahre in der BRD aufhalte und keine Erwerbstätigkeit ausübe. Die Stadt C. – Ausländerbehörde – ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Die Stadt C. – Ausländerbehörde – erstattete der Beklagten gem. § 18f AZRG Meldung, dass bei der Klägerin der Verlust der Rechte gespeichert wurde, woraufhin die Beklagte eine Rückfrage an die Stadt richtete, ob ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, was mit Mitteilung vom 00. Januar 2022 verneint wurde. Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 27. Januar 2022 die Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder Q. und D. mit Wirkung ab Dezember 2021 auf. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen des § 62 EStG nicht vorliegen würden.

Innerhalb der Einspruchsfrist reichte die Klägerin verschiedene Unterlagen bei der Beklagten ein, was die Beklagte als Einspruch gegen den Bescheid auslegte.

Mit Bescheid vom 00. April 2022 hob die Stadt C. – Ausländerbehörde – die Verlustfeststellungen mit Wirkung zum 00. April 2022 wieder auf. Mit Schreiben vom selben Tage ordnete die Stadt C. – Ausländerbehörde – die Klägerin der Personengruppe des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und die Kinder der Personengruppe des § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU zu.

Mit Änderungsbescheid vom 5. Mai 2022 bewilligte die Beklagte daraufhin Kindergeld für beide Kinder ab April 2022. Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Mai 2022 wurde der Einspruch für den verbleibenden Zeitraum Dezember 2021 bis März 2022 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass für den Streitzeitraum die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 FreizügG/EU nicht vorliegen würden. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Am 20. Juni 2022 hat die Klägerin Klage erhoben.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Beklagte gem. § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG in eigener Zuständigkeit zu prüfen habe, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1a Sätze 2 und 3 EStG erfüllt seien. Da die Klägerin im Streitzeitraum durchgehend eine Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ausgeübt habe, habe sie auch einen Anspruch auf Kindergeld. Die Entscheidung der Stadt C. – Ausländerbehörde – habe keine Tatbestandswirkung.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Januar 2022 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5. Mai 2022 und der Einspruchsentscheidung vom 18. Mai 2022 zu verpflichten, der Klägerin Kindergeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit Dezember 2021 bis März 2022 für die Kinder Q., geb. am 00. Dezember 2019 und D., geboren am 00. September 2021, zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Stadt C. – Ausländerbehörde – habe den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU zum 00. November 2021 festgestellt und erst zum 00. April 2022 mit Wirkung für die Zukunft wieder aufgehoben. Die Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1a EStG seien damit für den...

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