rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ein schwerbehindertes Kind. Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bei Merkzeichen „H”. grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Umständen, die einen Anspruch auf Kindergeld begründen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Behinderung ist ursächlich für das Außerstandesein des Kindes, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG), wenn im Schwerbehindertenausweis das Merkmal „H” eingetragen ist.

2. Grobes Verschulden des Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden der Umstände, die einen Kindergeldanspruch begründen, ist anhand seiner individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten zu beurteilen. Angesichts der Kompliziertheit des Steuerrechts ist ein großzügiger Maßstab anzulegen.

3. Einem steuerlich nicht beratenen Kindergeldberechtigten kann es nicht als grobes Verschulden angelastet werden, dass er gegen einen Bescheid, der die Bewilligung von Kindergeld bezogen auf einen – tatsächlich nicht vorliegenden – Berücksichtigungstatbestand (hier: Berufsausbildung) ablehnt, keinen Einspruch mit der Begründung einlegt, es liege ein anderer Berücksichtigungstatbestand (Behinderung des Kindes) vor.

 

Normenkette

EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 63 Abs. 1 S. 2; AO § 173 Abs. 1 Nr. 1

 

Tenor

1. Unter Änderung des Bescheids vom 1. August 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. November 2012 wird die Beklagte verpflichtet, Kindergeld für den Zeitraum Januar 2008 bis August 2009 für die Tochter M festzusetzen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 3/7 und die Beklagte zu 4/7.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Klägerin bezog für ihre am 2. Juni 1988 geborene Tochter M Kindergeld. Für die Zeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres von M legte die Klägerin im September 2006 bei der Familienkasse eine Schulbescheinigung der Berufsfachschule für … vor, wonach sie diese bis voraussichtlich 07/09 besuchen wird. Mit Schreiben vom 14. Mai 2009 teilte die Klägerin der Familienkasse mit, dass sich M seit September 2007 in keiner Ausbildung mehr befinde und sie auch keiner Arbeit nachgehe. Sie habe im Herbst 2008 das Angebot des Fernstudiums an der … in … angenommen, um in drei Jahren das Abitur erreichen zu können. Gleichzeitig legte sie eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen des Kindes vor, in dem erklärt wurde, dass das Kind keinerlei Einkünfte oder sonstige Bezüge erhält. Die Familienkasse forderte von der Klägerin daraufhin einen Nachweis über den Abbruch der Schulausbildung, eine Anmeldebescheinigung der … und eine Studienbescheinigung der …. Die Anmeldebescheinigung und die Studienbescheinigung wurden vorgelegt, Nachweise über die abgebrochene Schulausbildung konnten jedoch nicht vorgelegt werden. Die Klägerin teilte mit, dass M die Berufsfachschule von September 2006 bis Juli 2007 besucht und dann abgebrochen hat. Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 forderte die Familienkasse von der Klägerin weitere Nachweise hinsichtlich des Fernstudiums (Anzahl der Wochenstunden für Vor- und Nacharbeit usw.). Die Klägerin teilte der Familienkasse daraufhin mit Schreiben vom 23. Juli 2009 mit, dass sie und ihre Tochter sich entschieden haben, auf ihren Anspruch auf Kindergeld zu verzichten, da sie ihre Fragen nur unzureichend beantworten könnten. Insbesondere könnten sie nicht sagen, wie viele Stunden in der Woche M für den Fernunterricht aufwendet und in welchen Zeiträumen die Leistungskontrollen regelmäßig stattfinden. Mit Bescheid vom 27. August 2009 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für M ab Oktober 2006 auf (Zeitpunkt der letzten Schulbescheinigung) und forderte das für den Zeitraum Oktober 2006 bis Mai 2009 überzahlte Kindergeld in Höhe von 5.078 EUR zurück. In einem weiteren Schreiben der Familienkasse vom 27. August 2009 wurde der Klägerin darüber hinaus ein Bußgeldverfahren und eventuelles Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung angedroht, falls sie den Rückforderungsbetrag nicht fristgerecht begleiche. In einem weiteren Bescheid vom 27. August 2009 wurde der formlose Kindergeldantrag der Klägerin vom 14. Mai 2009 abgelehnt, da die erforderlichen Unterlagen hinsichtlich des Fernstudiums nicht vorgelegt wurden.

Am 29. Mai 2012 ging bei der Familienkasse ein neuer Kindergeldantrag der Klägerin für das Kind M ein. Vorgelegt wurden erstmals ein Schwerbehindertenausweis für M, ausgestellt am 6. Juni 2007 mit einem GdB von 80 und den Merkzeichen „H” (hilflos), „RF” und „Gl” (gehörlos), gültig bis März 2012 sowie ein Schwerbehindertenausweis, ausgestellt am 19. Dezember 2011, mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100, gültig ab 1.1.2007 unbefristet, in dem das Merkzeichen „RF” und „Gl” angebracht war. Nachde...

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