rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Stromsteuerentlastung nach §§ 9b, 10 StromStG für Unternehmen in Schwierigkeiten wegen des Durchführungsverbots gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Steuerbegünstigungen der §§ 9b, 10 StromStG (hier: im Jahr 2016 für ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 StromStG) sind Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV.

2. Für ein „Unternehmen in Schwierigkeiten” im Sinne des Art. 2 Abs. 18 VO (EU) Nr. 651/2014 der Kommission der Europäischen Union vom 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung von Art.107 AEUV (AGVO) und Art. 108 AEUV (AGVO) war eine Entlastung nach den §§ 9b, 10 StromStG im Jahr 2016 aufgrund des Durchführungsverbots gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV unzulässig.

3. Für Unternehmen in Schwierigkeiten bestand im Jahr 2016 auch keine Genehmigung und Freistellung von der Anmeldung nach § 108 Abs. 3 AEUV aufgrund der AGVO.

4. Beihilfen, die nicht nach der AGVO von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Absatz 3 AEUV freigestellt sind, werden von der Kommission anhand der einschlägigen Rahmen, Leitlinien, Mitteilungen und Bekanntmachungen geprüft (Art. 58 Abs. 2 AGVO). Ohne rechtliche Bedeutung ist demnach, wenn die Kommission lediglich eine unzutreffend nach der AGVO als genehmigt angemeldete Beihilfe nicht aufgreift. Für solche gilt weiterhin das Verfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV.

4. Es kommt für ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der AGVO nicht darauf an, ob eine positive Fortführungsprognose besteht. Denn eine solche Einschränkung ist in Art. 2 Abs. 18 Buchst. a AGVO nicht enthalten und würde eine detaillierte Untersuchung der besonderen Umstände des Unternehmens verlangen. Unerheblich ist, ob es nach den UiS-Leitlinien auf eine Sanierbarkeit ankommt.

 

Normenkette

StromStG 2016 § 2 Nr. 3, §§ 9b, 10; AEUV Art. 107 Abs. 1-3, Art. 108 Abs. 1, 3 Sätze 1-3, Abs. 4; AGVO Art. 3, 1 Abs. 4 Buchst. c, Art. 58, 2 Abs. 18 Buchst. a S. 1; VerfO Art. 2 Abs. 1 S. 1, Art. 3, 1 Buchst. b; VO (EU) Nr. 651/2014 Art. 3, 1 Abs. 4 Buchst. c, Art. 58, 2 Abs. 18 Buchst. a S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 19.01.2022; Aktenzeichen VII R 28/19)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin ist eine im Jahr 2008 mit einem Stammkapital von 100.000 EUR gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH).

Ihr nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag belief sich auf 1.746.204 EUR in 2015 und auf 2.220.370 EUR in 2016. Sie erzielte Verluste in Höhe von 1.233.378 EUR in 2015 und in Höhe von 474.166 EUR in 2016. Nach der Stellungnahme der RAin Y zur wirtschaftlichen Situation der Klägerin unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten vom 27. Februar 2015 und deren Fortschreibung vom 17. Juli 2015 war die Klägerin bereits zum 31. Dezember 2014 überschuldet. Stille Reserven seien nicht vorhanden. Es bestehe aber eine positive Fortführungsprognose.

Für das 1. Halbjahr gewährte der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA –) der Klägerin die Steuerermäßigung nach § 9b des Stromsteuergesetzes in der Fassung des Jahres 2016 (StromStG).

Am 21. Dezember 2017 stellte sie Anträge auf Steuerentlastungen nach § 9b StromStG für das 2. Halbjahr 2016 und nach § 10 StromStG für das gesamte Jahr 2016.

Diese Anträge lehnte das HZA mit Bescheiden vom 24. April 2018 ab, weil die Klägerin ein sogenanntes Unternehmen in Schwierigkeiten sei und daher aus Gründen des unionsrechtlichen Beihilfenrechts die beantragten Entlastungen nicht gewährt werden dürften.

Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidungen vom 23. Oktober 2018). Das HZA führte aus, die Steuerentlastungen der §§ 9b, 10 StromStG seien Beihilfen gemäß Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), welche der Genehmigung bedürften. Die Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission der Europäischen Union (Kommission) vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Art.107 und 108 AEUV (AGVO, ABl. L 320 vom 26. Juni 2014, S. 22) regele dies für bestimmte Gruppen von Beihilfen. Sie sei aber auf Unternehmen in Schwierigkeiten nicht anwendbar. Die Beihilfen des §§ 9b, 10 StromStG seien auf Basis der AGVO bei der Kommission angemeldet worden. Für Unternehmen in Schwierigkeiten bestehe mangels Anwendbarkeit der AGVO kein Anspruch auf diese Steuerentlastungen.

Am 21. November 2018 erhob die Klägerin Klage. Die Anwendbarkeit der §§ 9b, 10 StromStG hänge nicht davon ab, ob sie ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne des europäischen Beihilfenrechts sei. Aus der AGVO ergebe sich nicht, dass eine Steuerentlastung gemäß §§ 9b, 10 StromStG für solche Unternehmen nicht gewährt werden dürfe. Vielmehr sei die Verordnung auf solche Unternehmen gar nicht anwendbar. Dies bedeute lediglich, dass diese Unternehmen die Privilegie...

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