Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung des Verlustvortrags. Verfassungswidrigkeit des § 10d Abs. 4 Satz 6 i.d.F. des JStG 2007

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der verbleibende Verlustvortrag zum 31.12. eines Veranlagungszeitraums kann auch dann noch gesondert festgestellt werden, wenn die Einkommensteuer für diesen VZ bereits der Festsetzungsverjährung unterliegt.

2. Dass diese Feststellung nach § 10d Abs. 4 Satz 6 2. Halbsatz EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 für alle noch offenen Fälle nur noch dann anwendbar sein soll, wenn die Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat, unterliegt nach den Grundsätzen der verbotenen Rückwirkung und des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlichen Zweifeln.

 

Normenkette

EStG § 10d Abs. 4 S. 6 2. Halbs.; AO § 181 Abs. 3

 

Tenor

1. Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 2001, 2003 bis 2005, jeweils vom 12.09.2005, und die diesbezüglichen Einspruchsentscheidungen werden in folgender Höhe ausgesetzt:

  • Einkommensteuer 2001 in Höhe von 11.920,26 Euro;
  • Einkommensteuer 2003 in Höhe von 9.966,00 Euro;
  • Einkommensteuer 2004 in Höhe von 10.288 Euro;
  • Einkommensteuer 2005 in Höhe von 17.381,00 Euro.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 13%, der Antragsgegner zu 87%.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist im Einspruchsverfahren bezüglich der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlusts zum 31.12.1996, ob für den Antragsteller Verluste in einer Höhe festzustellen sind, die zum Wegfall der festgesetzten Einkommensteuer 1997, 2001 und 2003 bis 2005 führen.

Der Antragsteller hatte für 1996 keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Die Einkommensteuer 1996 war zunächst im Wege der öffentlichen Bekanntgabe festgesetzt worden. Der Antragsgegner, das Finanzamt München IV, räumt aber inzwischen ein, dass die Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntgabe nicht gegeben waren, ohne dass es inzwischen den Einkommensteuerbescheid 1996 aufgehoben hätte. Im Einkommensteuerbescheid 1996 vom 13.02.1998 ist eine Einkommensteuerzahllast von 4.964 DM ausgewiesen. Das Finanzamt hat eine Veranlagung anhand der vom Antragsteller am 16.09.2005 eingereichten Einkommensteuererklärung 1996 wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung abgelehnt. Der Ast. trägt vor, dass die Einkommensteuern 1997, 2001 sowie 2003 bis 2005 wegfallen würden, wenn der Ag. den verbleibenden Verlust aus gewerblichen Einkünften zum 31.12.1996 wie beantragt mit 2.177.921,28 DM feststellt. Der Ag. hat eine entsprechende Feststellung mit Bescheid vom 09.10.2005 abgelehnt, der Ast. hat hiergegen Einspruch erhoben.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidungen, die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragt, die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide

1997 in Höhe von 7.451,06 EUR,

2001 in Höhe von 11.920,26 EUR,

2003 in Höhe von 9.966,00 EUR,

2004 in Höhe von 10.288,00 EUR,

2005 in Höhe von 17.381,00 EUR

wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen.

Der Antragsgegner (Finanzamt) beantragt, den Antrag abzulehnen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Über den Verlustabzug ist bindend erst im Rahmen des Verlustabzugsjahres zu entscheiden (Bundesfinanzhof – BFH-Beschluss vom 23.02.2007 VIII B 106/06, BFH/NV 2007, 1164). Deshalb ist der Antragsteller nicht auf Rechtsmittel bzw. den einstweiligen Rechtsschutz wegen der Verlustfeststellung zum 31.12.1996 zu verweisen.

Der Antrag ist für Einkommensteuer 1997 unbegründet, im Übrigen aber begründet.

1. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des aktenkundigen Sachverhalts treten hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide 2001, 2003 bis 2005 neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Streitsache in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bewirken (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994; vom 24. Februar 2000 IV B 83/99, BStBl II 2000, 298).

Dies gilt auch für ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15.12.2000 IX B 128/99, BFHE 194, 157, BStBl II 2001, 411). An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen, als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (BFH-Beschluss vom 10.02.1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454).

2. Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlust ist gesondert festzustellen, § 10 d Abs. 4 Satz 1 EStG. Ein erstmaliger Feststellungsbescheid nach § 10 d EStG kann auch dann noch ergeh...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge