Entscheidungsstichwort (Thema)

Missbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

1) § 50d Abs. 3 EStG verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV und die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV.

2) Im Wege geltungserhaltender Reduktion des § 50d Abs. 3 EStG ist im Einzelfall ein Gegenbeweis über einen mangelnden Rechtsmissbrauch im Einzelfall zu eröffnen.

3) Bei Steuerbeträge, die unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden sind, besteht ein Anspruch auf Erstattung der erhobenen Beträge zuzüglich Zinsen unmittelbar aus Unionsrecht.

 

Normenkette

EStG §§ 43b, 20 Abs. 1 Nr. 1; AEUV Art. 49, 63; AO §§ 236, 238; EStG § 50d

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 09.06.2021; Aktenzeichen I B 60/20)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Antrag der Klägerin auf Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG und ihrem Antrag auf Freistellung gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG die Missbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG entgegensteht. Außerdem ist streitig, ob der Klägerin auf eine vermeintliche Erstattung Zinsen zustehen würden.

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in den Niederlanden in der Rechtsform einer B.V. Sie wurde 19… gegründet und ist seit 2000 zu 100 % an der A GmbH (damals firmierenden als A3 Deutschland GmbH) mit Sitz in G (Deutschland) beteiligt. Bis zum 20. Dezember 2015 (s. Schaubild 01) waren an der Klägerin zu jeweils 50 % die in Frankreich ansässigen Gesellschaften A1 S.A.S. (im Folgenden: A1) und A2 S.A.S. (im Folgenden: A2) beteiligt. Die A1 war unmittelbar und die A2 mittelbar 100%ige Tochter- bzw. Enkelgesellschaften der französischen Konzernobergesellschaft A S.A. Die A S.A. ist ein börsennotiertes Unternehmen im Sinne des § 50d Abs. 3 Satz 5 EStG. Für diese Beteiligungsstruktur erteilte der Beklagte der Klägerin im Hinblick auf die mittelbare Anteilseignerin A S.A. wegen der sog. Börsenklausel des § 50d Abs. 3 Satz 5 EStG eine 100%ige Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG für die der Klägerin von der A GmbH geschuldeten Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Schaubild 01:

Nach einer konzerninternen Umstrukturierung sind ab dem 21. Dezember 2015 (s. Schaubild 02) an der Klägerin zu 49 % die A1 und zu 51 % die niederländische A4 C.V. (im Folgenden: CV), eine vermögensverwaltende Personengesellschaft niederländischen Rechts, beteiligt. Gesellschafter der nach sowohl niederländischen als auch deutschem Recht transparenten CV sind zu 0,01 % die französische B S.A.S. (im Folgenden: B S.A.S.), die eine 100%ige Tochtergesellschaft der A S.A. ist, und zu 99,99 % die deutsche A3 GmbH (im Folgenden: A3), die eine 100%ige Tochtergesellschaft der A2 ist. B S.A.S. und A3 sind hiernach ab dem 21. Dezember 2015 mittelbar zu 0,0051 % (B S.A.S.) und 50,9949 % (A3) an der BV beteiligt.

Schaubild 02:

Die Klägerin verfügt über zwei Geschäftsführer (Herrn X und Herrn Z). Daneben ist kein weiteres Personal bei ihr angestellt. Der Geschäftsbetrieb der Klägerin besteht in der Beteiligungsverwaltung. Die Klägerin verfügt über keine relevanten über ihr Beteiligungsvermögen hinausgehenden Vermögensgegenstände.

Am 27. August 2015 (Posteingangsdatum) beantragte die Klägerin beim Beklagten die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG. Mit Bescheid vom 6. April 2016 lehnte der Beklagte dies im Hinblick auf § 50d Abs. 3 EStG unter Hinweis auf die ab Dezember 2015 gegebene Beteiligungsstruktur der Klägerin ab. Hiergegen legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein. Daraufhin erließ der Beklagte am 9. November 2016 einen Änderungsbescheid für die Zeit vom 27. August 2015 bis zum 20. Dezember 2015. In diesem Zeitraum war die A GmbH als Schuldnerin der Kapitalerträge berechtigt, den Steuerabzug i.H.v. 0 % vorzunehmen. Am 9. November 2016 erließ der Beklagte zudem einen weiteren Änderungsbescheid für die Zeit vom 21. Dezember 2015 bis zum 31. Juli 2018. Hiernach war die A GmbH als Schuldnerin berechtigt, den Steuerabzug für die näher bezeichneten Kapitalerträge i.H.v. 15 % vorzunehmen. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass die Freistellung i.H.v. 49 % gemäß § 43b EStG gewährt und i.H.v. 51 % aufgrund fehlender Antragsvoraussetzungen abgelehnt werde. Es ergebe sich ein Steuersatz i.H.v. 13,45 %. Der Einspruch der Klägerin wurde, soweit dem nicht abgeholfen worden war, mit Einspruchsentscheidung vom 19. November 2017 (versendet am 19. Dezember 2017) als unbegründet zurückgewiesen.

Aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom …2015 schüttete die A GmbH am 31. März 2016 einen Betrag i.H.v. … € an die Klägerin aus. Da im Zeitpunkt der Zahlung der Dividende keine Freistellungsbescheinigung zu Gunsten der Klägerin vorlag, behielt die A GmbH von der Ausschüttung Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt … € ein und führte diese an das Finanzamt P ab.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten gemäß § 50d Abs. 1 EStG die Erstattung dieser Kapitalertra...

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