Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für behindertes Kind bei Erwerbstätigkeit des Kinds

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein gehörloses Kind mit einem GdE von 100, welches mit 25 bis 30 Wochenstunden im gelernten Beruf der Beiköchin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig ist, ist nicht i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG außerstande sich selbst zu unterhalten, so dass kein Kindergeldanspruch besteht.

2. Dies gilt auch dann, wenn der Bruttoarbeitslohn allenfalls knapp genügt, um den Lebensbedarf des Kindes zu decken (hier: Erwerbseinkünfte unterhalb der Summe aus Grenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und Behindertenpauschbetrag gem. § 33b Abs. 3 Satz 2 EStG).

3. Entscheidend ist, dass der relativ geringe Lohn des Kinds seine Ursache nicht in der Behinderung des Kinds hat, sondern darin, dass auf dem Arbeitsmarkt in dem Beruf der Beiköchin keine höheren Löhne gezahlt werden.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2, § 33b Abs. 3 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.03.2012; Aktenzeichen III R 29/09)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Kindergeld für das im September 1980 geborene, seit seiner Geburt gehörlose Kind M.

Das Kind M. besuchte zunächst eine Gehörlosenschule und erlernte im Anschluss hieran vom 01. September 1997 bis zum 31. August 2000 den Beruf der Beiköchin. Nach dieser Ausbildung war sie zunächst arbeitslos und dann vom 11. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2001 als Köchin tätig. Ab Januar 2002 bezog sie zwei Monate Insolvenzgeld und bis zum 04. August 2002 Arbeitslosengeld. Seit dem 05. August 2002 arbeitet sie als Küchenhilfe in einer Fleischerei.

Nach dem vorgelegten Schwerbehindertenausweis ist für das Kind mit Wirkung ab dem 20. Januar 1993 ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt worden. Außerdem ist in dem Schwerbehinderausweis ab dem 20. Januar 1993 das Merkzeichen „RF” (Befreiung von der Zahlung von Rundfunk- und Fernsehgebühren) und – allerdings nur für den Zeitraum vom 20. Januar 1993 bis zum 31. Oktober 2000 – das Merkzeichen „H” (Hilflosigkeit im Sinne von § 33 b des Einkommensteuergesetzes) angebracht. Die Feststellung des Merkzeichens „H” ist nach dem Bescheid des Amtes für Versorgung und Soziales vom 18. Oktober 2000 aufgehoben worden, weil nach Abschluss der Gehörlosenschule und der Ausbildung die Voraussetzungen hierfür insoweit nicht mehr vorlägen. Seit dem 01. Juli 2001 ist das Merkzeichen „GL” (Gehörlosigkeit im Sinne des § 145 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) eingetragen.

Die Klägerin beantragte unter dem 21. April 2003 bei den Kreiskliniken A.-S. Kindergeld für ihre Tochter M. und gab hierzu an, dass ihre Tochter einen eigenen Haushalt in D. unterhalte, weil sie dort als Beiköchin tätig sei. Die Arbeitszeit betrage 25 Wochenstunden. Nach der von den Kreiskliniken A.-S. eingeholten Stellungnahme der Reha/SB-Stelle bei dem Arbeitsamt P. vom 06. Oktober 2003 ist die Tochter der Klägerin in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Die Kreiskliniken A.-S. lehnten daraufhin den Antrag der Klägerin auf Festsetzung des Kindergeldes mit Bescheid vom 21. Oktober 2003 für den Zeitraum vom 01. Februar 2001 bis zum 31. Dezember 2003 ab mit der Begründung, dass die Behinderung des Kindes nicht Ursache für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bzw. für Teilzeit-Arbeitsverträge sei.

Zur Begründung ihres dagegen gerichteten Einspruchs wies die Klägerin auf das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (Aktenzeichen: II 370/98) vom 14. Januar 1999 und den Beschluss des Bundesfinanzhofes (Aktenzeichen: XI B 143/00) vom 29. Juni 2001 hin. Die Klägerin führte aus, dass ihre Tochter aufgrund ihrer Gehörlosigkeit nicht mit Menschen kommunizieren könne, die keine entsprechenden Kenntnisse (Gebärdensprache) hätten, so dass schon unter diesem Gesichtspunkt eine Erwerbstätigkeit unter üblichen Bedingungen ausgeschlossen sei. Dies sei auch daran ablesbar, dass die Gebärdensprache zum 01. Juli 2001 als Amtsprache eingeführt worden sei (§ 19 Abs. 1 SGB X). Die Kreiskliniken A.-S. wiesen den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2004 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 03. März 2004 Klage erhoben.

Sie macht geltend, schon die Ausbildung ihrer Tochter sei nicht unter den normalen Bedingungen des Arbeitsmarktes erfolgt, sondern in einem Bildungswerk für Hör- und Sprachgeschädigte. Sie sei von ihrem derzeitigen Arbeitgeber nur deshalb eingestellt worden, weil dieser aus Mitteln des … Arbeitsmarktprogramms zum Abbau der Arbeitslosigkeit einen Eingliederungszuschuss für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen erhalte.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Kreiskliniken A.-S. vom 21. Oktober 2003 und deren Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für den Zeitraum ab Februar 2001 für i...

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