Kindergeld für ein seelisch behindertes Kind

Das FG Bremen entschied zu den Voraussetzungen für eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG eines volljährigen, stark verhaltensauffälligen, Drogen konsumierenden Kindes.

Danach kann ein volljähriges Kind kann auch dann für das Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG infolge einer seelischen Behinderung zu berücksichtigen sein, wenn kein Grad der Behinderung (GdB) festgestellt wurde, aber starke psychische Auffälligkeiten (u.a. paranoide Schizophrenie) im Zusammenhang mit regelmäßigem Cannabiskonsum attestiert sowie eine stationäre Langzeittherapie empfohlen worden ist und das Kind aufgrund einer psychischen Erkrankung ausbildungs- und arbeitsunfähig war.

Ausbildungsabbruch aufgrund psychischer Erkrankung

Vor dem FG Bremen wurde folgender Fall verhandelt: Für den Sohn der Klägerin wurde zunächst Kindergeld gewährt, da dieser sich in Ausbildung befand. Da auf Nachfrage der Familienkasse die Klägerin mitgeteilt hat, dass der Sohn seine Ausbildung aufgrund von Krankheit im Jahr 2018 abgebrochen habe, hat die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes ab April 2018 aufgehoben. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren trug die Klägerin im Klageverfahren erstmals vor, dass der Sohn aufgrund seiner psychischen Erkrankung an der Durchführung einer Ausbildung gehindert gewesen sei.

Kindergeld ist zu gewähren

Das FG hat entschieden, dass die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für den Sohn für den Zeitraum Juli 2019 bis Januar 2020 zu Unrecht aufgehoben hat, weil der Sohn wegen einer Behinderung außerstande gewesen sei sich selbst zu unterhalten. In Abgrenzung zu den einer Prüfung des Unterhaltsbedarfs unterworfenen Fällen eines Kindergeldanspruchs für ein behindertes Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG komme eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nach der neueren Rechtsprechung des BFH nur in Betracht, wenn es sich um eine vorübergehende Erkrankung handelt.

Für die Frage des Vorliegens einer Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG sei auf die in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX enthaltene Legaldefinition zurückzugreifen. Ob im Einzelfall eine Behinderung vorliege, habe das FG aufgrund der Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen. Nach Auffassung des FG war der Sohn der Klägerin im Streitzeitraum aufgrund einer psychischen Erkrankung ausbildungs- und arbeitsunfähig und auch außerstande sich selbst zu unterhalten.

Feststellung der Behinderung

Aus dem Urteil ergibt sich, dass die Feststellung einer Behinderung als Voraussetzung für die Bewilligung von Kindergeld für ein behindertes Kind eine von der Behörde bzw. dem Gericht zu entscheidende Rechtsfrage ist. Die Feststellung eines GdB durch das Versorgungsamt bzw. das Vorliegen der Bescheinigung eines Arztes oder Gutachters ist daher für das Kindergeld keine formelle Voraussetzung für die Feststellung der Behinderung durch die Behörde oder das Gericht.

FG Bremen, Urteil v. 10.11.2022, 2 K 37/20 (3)

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