Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurechnung von Goldlieferungen eines Strohmanns. postalische Erreichbarkeit des Rechnungsausstellers unter der in der Rechnung angegebenen Adresse ausreichend für Vorsteuerabzug. Vorsteuerabzug aus Gutschriften und Rechnungen für Altgoldlieferungen bei Einbezug der Lieferanten in einen Mehrwertsteuerbetrug

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Selbst wenn der Steuerpflichtige bei der Lieferung von Gold als Strohmann – und damit im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung – gehandelt haben sollte, wären diese Umsätze nur dann nicht ihm zuzurechnen, wenn sowohl er als auch die Leistungsempfänger einverständlich oder stillschweigend davon ausgegangen wären, dass die Rechtswirkungen der Geschäfte gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen den Leistungsempfängern und den „Hintermännern” des Steuerpflichtigen hätten eintreten sollen.

2. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist [vgl. BFH, Urteile v. 21.6.2018, V R 25/15, BFH/NV 2018 S. 1053 und V R 28/16, BFH/NV 2018 S. 1055 im Anschluss an EuGH, Urteil v. 15.11.2017 C-374/16 (Geissel) und C-375/16 (Butin)].

3. Dem Unternehmer steht der Vorsteuerabzug aus für den Ankauf von Altgold von ihm erstellten Gutschriften nicht zu, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. Unter solchen Umständen ist der betreffende Steuerpflichtige für die Zwecke der MwStSystRL als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen, und zwar unabhängig davon, ob er im Rahmen seiner besteuerten Ausgangsumsätze aus dem Weiterverkauf der Gegenstände oder der Verwendung der Dienstleistungen einen Gewinn erzielt (EuGH, Urteil v. 22.10.2015, C-277/14 (PPUH Stehcemp), BFH/NV 2015 S. 2787).

4. Haben sich die Anlieferungen von Altgold durch in einen Mehrwertsteuerbetrug einbezogene Lieferanten gegenüber früheren Zeiträumen plötzlich vervielfacht, sind Bonitätsprüfungen zu diesen Lieferanten teils negativ ausgefallen bzw. hätten sie teils Anlass zu Zweifeln geben müssen (u. a. Zugehörigkeit des Unternehmens zu ganz anderer Branche, Informationen zu Insolvenzverfahren der für die Unternehmen handelnden Personen, mehrfache Sitzverlegungen und Umfirmierungen usw.), haben die teils weit entfernten Lieferanten unter Inkaufnahme weiter Anfahrten ohne jegliche Sicherheiten erhebliche Goldmengen an den im Wesentlichen mittellosen Unternehmer und nicht an solvente Scheideanstalten in ihrer räumlichen Nähe geliefert, so hätte der Unternehmer „den Kopf nicht in den Sand steckten” dürfen, sondern seine – schon aufgrund allgemein bekannter Erfahrungen – durchaus begründete Sorge, in – ggf. mit einem Mehrwertsteuerbetrug verbundene – Geldwäschegeschäfte verwickelt zu werden oder Hehlerei zu begehen, hätte ihn im Ergebnis von vornherein davon abhalten müssen, sich in solche Geschäfte einbinden zu lassen. Jedenfalls aber hätte der Unternehmer angesichts dieser Umstände erkennen können und daher wissen müssen, dass er mit seinen Goldankäufen an Umsätzen teilnahm, die jeweils in einen Mehrwertsteuerbetrug einbezogen waren.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 1 S. 1, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sätze 1-2, § 14 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 1; MwStSystRL Art. 168 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 03.07.2019; Aktenzeichen XI B 17/19)

 

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 25. August 2014 wird dahingehend geändert, dass eine Umsatzsteuer für 2010 i.H. von xxx Euro festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 99,37%, der Beklagte zu 0,63%.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des durch Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Erstattungsbetrags Sicherheit leistet. Ist durch Kostenfestsetzungsbeschluss ein Erstattungsbetrag von insgesamt mehr als 1.500 Euro festgesetzt, hat der Kläger in Höhe des durch Kostenfestsetzungsbeschluss insgesamt festgesetzten Erstattungsbetrags Sicherheit zu leisten.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistands für das Vorverfahren war notwendig.

 

Tatbestand

Streitig ist der Vorsteuerabzug aus Gutschriften und Rechnungen für Altgoldlieferungen im Jahr 2010 (Streitjahr).

1. Der Kläger betreibt seit November 2008 einen Großhandel mit Schmuck, Textilien und Kosmetik. Seine Umsätze berechnet er nach vereinnahmten Entgelten (vgl. Genehmigung vom 25. Februar 2009, USt-Akte, Bl. 1 f.); seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung.

Der Kläger führt aus, dass er zunächst von 2000 bis 2010 bei der Firma A GmbH & Co. KG – Schmuckfabrik, X (nachfolgend: A-KG) als Sachbearbeiter angestellt...

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