Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Übt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Gemeinde, die aufgrund einer kommunalen Satzung von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten (Kurgäste), für die Bereitstellung von Kureinrichtungen (z.B. Kurpark, Kurhaus, Wege) eine "Kurtaxe" (in Höhe eines bestimmten Betrages pro Aufenthaltstag) erhebt, mit der Bereitstellung der Kureinrichtungen an die Kurgäste gegen Kurtaxe auch dann eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL aus, wenn die Kureinrichtungen ohnehin für jedermann (und daher z.B. auch für nicht kurtaxepflichtige Einwohner oder andere nicht kurtaxepflichtige Personen) frei zugänglich sind?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Ist unter den o.g. Umständen des Ausgangsverfahrens bei der Prüfung, ob die Behandlung der Gemeinde als Nicht-Steuerpflichtige zu "größeren Wettbewerbsverzerrungen" i.S. des Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL führen würde, der räumlich relevante Markt nur das Gemeindegebiet?

 

Normenkette

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 9 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 168 Buchst. a EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 und 3, § 12 Abs. 2 Nr. 9, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin, ein staatlich anerkannter heilklimatischer Luftkurort, unterhält einen Kurbetrieb. Zur Finanzierung ihres Aufwands für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen (z.B. Kurpark, Kurhaus, Wege) erhebt sie eine Kurtaxe. Diese Einrichtungen sind für jedermann frei zugänglich; eine Kurkarte wird zum Eintritt nicht benötigt.

Im Rahmen der USt-Erklärungen sah die Klägerin die Kurtaxe als Entgelt für eine umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit an und begehrte den Vorsteuerabzug aus allen Eingangsleistungen, die mit dem Fremdenverkehr zusammenhingen.

Das FA nahm aber umfangreiche Kürzungen beim Vorsteuerabzug vor. Vorsteuerbeträge, die das Kurhaus betrafen, wurden nur insoweit berücksichtigt, als das Kurhaus entgeltlich verpachtet wurde. Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen für Wege, Loipen und andere Einrichtungen außerhalb des Kurparks wurden vom Prüfer nicht zum Vorsteuerabzug zugelassen.

Das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.2018, 1 K 1458/18, Haufe-Index 12446398) wies die Klage ab. Es vertrat die Ansicht, die Klägerin habe gegenüber den Kurgästen keine Leistungen als Unternehmerin erbracht; denn eine Behandlung der Klägerin als Nichtsteuerpflichtige führe nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen. Die Leistungen in ihrer Gesamtheit könnten nicht von privaten Anbietern erbracht werden, da solche nicht in der Lage seien, das gleiche Bedürfnis der Kurgäste zu befriedigen.

Hilfsweise führte das FG aus, selbst wenn die Klägerin durch den "Betrieb der Kureinrichtungen" gegen eine Kurtaxe unternehmerisch tätig gewesen sein sollte, würde der begehrte (weitere) Vorsteuerabzug jedenfalls am fehlenden Zusammenhang zwischen den Kosten für die Errichtung, die Unterhaltung und den Betrieb der Anlagen und ihrer (unterstellten) wirtschaftlichen Tätigkeit ("Kurbetrieb") scheitern.

 

Entscheidung

Der BFH legte die im Tenor genannten Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Hinweis

1. Mit dem BFH-Urteil vom 3.8.2017, V R 62/16 (BFH/NV 2018, 301; Haufe-Index 11373725; BStBl II 2021, 109) und dessen (teilweise) Anwendung durch die Finanzverwaltung (BMF, Schreiben vom 18.1.2021, III C 2 – S 7300/19/10002:002, BStBl I 2021, 121; BMF, Schreiben vom 25.5.2022, III C 2 – S 7300/19/10002:002) hat erhebliche Unruhe bei der Umsatzbesteuerung der "Kurorte" eingesetzt. Die eigentliche Kernfrage lautet seither: Ist die Erbringung von Kurleistungen gegen Kurtaxe überhaupt noch eine wirtschaftliche Tätigkeit einer Unternehmerin, die sie vom Vorsteuerabzug aus ihren Eingangsleistungen berechtigt?

2. Der zu besprechende Vorlagebeschluss des BFH gibt nun dem EuGH Gelegenheit, zu zwei bzw. Teilaspekten dieser Frage Stellung zu nehmen:

a) Erhält der Kurgast bzw. Tourist überhaupt einen verbrauchsfähigen Vorteil, wenn er für seine Kurtaxe nur solche Einrichtungen nutzen darf, die alle anderen Personen, die sich im Ort aufhalten, auch nutzen dürfen?

b) Spielt dafür ggf. eine Rolle, ob die Kurtaxe die Betriebskosten des Kurbetriebs deckt?

c) Ist bei der Prüfung, ob Wettbewerbsverzerrungen drohen, nur auf den Kurort selbst abzustellen oder sind auch Nachbargemeinden, das Bundesland oder das ganze Bundesgebiet mit in den Blick zu nehmen?

3. Das Aktenzeichen beim EuGH ist noch nicht bekannt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, EuGH-Vorlage vom 15.12.2021, XI R 30/19

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