Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesellschaftsteuer, Aktienausgabe, Kapitalerhöhung, Stamp Duty, Großbritannien, Stempelsteuer auf Aktienübertragung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Art. 10 und 11 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital sind dahin auszulegen, dass sie der Besteuerung einer Übertragung von Aktien wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, mit der das formelle Eigentumsrecht an den gesamten Aktien eines Unternehmens allein zum Zweck ihrer Notierung an einer Börse auf einen Abrechnungsdienst übertragen wurde, ohne dass damit eine Änderung des wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien verbunden war.

2. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital ist dahin auszulegen, dass er der Besteuerung einer Übertragung von Aktien wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, mit der das formelle Eigentumsrecht an Aktien, die im Rahmen einer Kapitalerhöhung neu ausgegeben wurden, allein zu dem Zweck auf einen Abrechnungsdienst übertragen wurde, diese neuen Aktien zum Kauf anzubieten.

3. Die Antwort auf die erste und die zweite Frage fällt nicht anders aus, wenn Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren fraglichen es dem Betreiber eines Abrechnungsdiensts, vorbehaltlich der Zustimmung der Steuerbehörde, gestatten, eine Option auszuüben, wonach bei der ersten Übertragung von Aktien auf den Abrechnungsdienst keine Stempelsteuer fällig wird, aber stattdessen auf jeden nachfolgenden Aktienverkauf eine die Stempelsteuer ergänzende Steuer erhoben wird.

 

Normenkette

EWGRL 335/69 Art. 10-11; EGRL 7/2008 Art. 5 Abs. 1 Buchst. c

 

Beteiligte

Air Berlin

Air Berlin plc & Co. Luftverkehrs KG

Commissioners for HM Revenue & Customs

 

Verfahrensgang

High Court of Justice (Vereinigtes Königreich) (Beschluss vom 20.10.2016; Abl.EU 2017, Nr. C 22/16)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Indirekte Steuern ‐ Ansammlung von Kapital ‐ Erhebung einer Steuer in Höhe von 1,5 % auf die Übertragung neu ausgegebener Aktien oder von Aktien, die an einer Börse eines Mitgliedstaats notiert werden sollen, auf einen Abrechnungsdienst (clearance service)“

In der Rechtssache C-573/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Hoher Gerichtshof [England & Wales], Abteilung Chancery, Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 20. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 14. November 2016, in dem Verfahren

Air Berlin plc

gegen

Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas (Berichterstatter) sowie der Richterinnen A. Prechal und C. Toader,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Air Berlin plc, vertreten durch S. Grodzinski, QC, und M. Jones, Barrister, durch M. Whitehouse sowie durch D. Pickstone und M. Greene, Solicitors,

‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch D. Robertson als Bevollmächtigten im Beistand von R. Baldry, QC,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und W. Roels als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 10 und 11 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. 1969, L 249, S. 25), der Art. 4 und 5 der Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. 2008, L 46, S. 11) sowie der Art. 12, 43, 48, 49 oder 56 des EG-Vertrags (jetzt Art. 18, 49, 54, 56 und 63 AEUV).

Rz. 2

Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Air Berlin plc und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs (Steuer- und Zollbehörde des Vereinigten Königreichs, im Folgenden: HMRC) wegen der Erhebung einer Steuer gemäß Section 70 des Finance Act 1986 (Finanzgesetz von 1986, im Folgenden: FA 1986) auf bestimmte Übertragungen von Aktien in den Jahren 2006 und 2009.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 69/335

Rz. 3

Nach ihrem ersten Erwägungsgrund soll die Richtlinie 69/335 den freien Kapitalverkehr im Hinblick auf die Schaffung einer Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt fördern. Zu diesem Zweck soll sie, wie aus ihren Erwägungsgründen 6 bis 8 hervorgeht, die Steuer, die auf die Ansammlung von Kapital von Gesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft erhoben wird, durch die Einführung einer einheitlichen Steuer auf die Ansammlung von Kapital, die innerhalb des Gemeinsamen Marktes nur einmal erhoben werden kann, und durch die Aufhebung aller anderen indirekten ...

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