Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Kapitalverkehr. Dividenden aus Streubesitzanteilen. Erstattung der von einer gebietsfremden Gesellschaft entrichteten Kapitalertragsteuer. Voraussetzungen. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

 

Normenkette

AEUV Art. 63

 

Beteiligte

ACC Silicones

ACC Silicones Ltd

Bundeszentralamt für Steuern

 

Verfahrensgang

FG Köln (Beschluss vom 20.05.2020; Aktenzeichen 2 K 283/16; EFG 2021, 123)

 

Tenor

Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung in der Steuergesetzgebung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden, die aus unterhalb der – von der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 geänderten Fassung vorgesehenen – Schwellenwerte liegenden Beteiligungen stammen und an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden, von dem Nachweis abhängig macht, dass die Steuer bei dieser Gesellschaft oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder abgezogen werden kann, während eine solche Bedingung für die Erstattung der Kapitalertragsteuer, die eine gebietsansässige Gesellschaft, die Einkünfte gleicher Art bezieht, entrichtet, nicht vorgesehen ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 3. November 2020, in dem Verfahren

ACC Silicones Ltd

gegen

Bundeszentralamt für Steuern

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richter S. Rodin und J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richterinnen L. S. Rossi und O. Spineanu-Matei,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der ACC Silicones Ltd., vertreten durch Rechtsanwalt B. Pignot und Steuerberater A. Linn,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und V. Uher als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Januar 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ACC Silicones Ltd und dem Bundeszentralamt für Steuern (Deutschland) über die Erstattung der Kapitalertragsteuer, die für die Jahre 2006 bis 2008 auf die Dividenden einbehalten wurde, die von der Ambratec GmbH, einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft, an sie ausgeschüttet wurden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 1990, L 225, S. 6) in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 (ABl. 2004, L 7, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 90/435) galt diese Richtlinie für Muttergesellschaften, die einen Mindestanteil von 20 % am Kapital ihrer Tochtergesellschaften halten, wobei dieser Mindestanteil ab dem 1. Januar 2007 auf 15 % und ab dem 1. Januar 2009 auf 10 % herabgesetzt wurde. Die Richtlinie 90/435 wurde durch die Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 2011, L 345, S. 8) aufgehoben.

Deutsches Recht

Rz. 4

In § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: EStG) ist vorgesehen, dass Gewinnanteile (Dividenden) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören.

Rz. 5

§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bestimmt, dass u. a. bei Kapitalerträgen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG „die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben” wird.

Rz. 6

Nach § 8b Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: KStG), der Beteiligungen an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen betrifft, bleiben Bezüge im Sinne u. a. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz und unterliegen somit nicht der Körperschaftsteuer.

Rz. 7

Hinsichtlich der Besteuerung von Dividenden, die an eine in Deutschland ansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden, ergibt sich aus § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG in Verbindung mit § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG, dass die als Quellensteuer einbehaltene Kapitalertragsteuer vollständig auf die von dieser Gesellschaft geschuldete Körperschaftsteuer angerechnet wird und ihr gegebenenfalls erstattet werden kann. Die Anrechnung und gegebe...

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