Leitsatz

Die Beteiligung am Nachlass nach einem verstorbenen Elternteil führt nicht zu einem Bezug des Kindes i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Satz 2, § 2 Abs. 2 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater von S und C, die sich 2006 in Ausbildung befanden. Im Mai 2006 verstarb die Mutter der Söhne, die frühere Ehefrau des Klägers. Zu ihrem Nachlass, an dem die Söhne zu je 3/8 beteiligt waren, gehörten zwei Eigentumswohnungen, Wertpapiere (ca. 140.000 EUR), Bausparguthaben (ca. 42.000 EUR), Lebensversicherungen sowie Guthaben bei Kreditinstituten (ca. 31.000 EUR).

Die Familienkasse versagte das Kindergeld für 2006, da die jeweiligen Einkünfte und Bezüge von S und C unter Berücksichtigung der Erbschaft den Jahresgrenzbetrag überschritten hätten. Die Eigentumswohnungen sowie Wertpapiere, Lebensversicherungen und Bausparverträge seien zwar außer Betracht zu lassen, da diese als Kapitalanlage bzw. der Altersvorsorge dienten und nicht für den Lebensunterhalt bestimmt seien. Die kurzfristig verfügbaren Mittel auf Konten und Sparbüchern von jeweils mehr als 10.000 EUR seien dagegen zur Bestreitung des Unterhalts geeignet.

Das FG hat der Klage stattgegeben (Niedersächsisches FG, Urteil vom 4.3.2010, 10 K 128/08, Haufe-Index 2330164, EFG 2010, 1136) und …

 

Entscheidung

... der BFH die Revision der Familienkasse als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmte oder geeignete "Einkünfte und Bezüge" des volljährigen Kindes, die den (anteiligen) Grenzbetrag überschreiten, schließen dessen Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG bis einschließlich 2011 aus. Ab 2012 sind sie dagegen für Kinderfreibetrag/Kindergeld wie für den Ausbildungsfreibetrag ohne Bedeutung. Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person verringern aber auch weiterhin den Abzug von Unterhaltsleistungen (§ 33a Abs. 1 EStG); dieser ist jedoch bei einem nicht geringen Vermögen ausgeschlossen.

2. Einkünfte sind in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definiert. Unter Bezügen versteht die Rechtsprechung alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden. Dazu gehören z.B. Lohnersatzleistungen, als Zuschuss gezahltes BAföG, Waisenrenten, das Taschengeld für eine Au-pair-Tätigkeit, ein Lottogewinn und das Entlassungsgeld der Wehr- und Zivildienstleistenden. Steuerfreie Einkünfte sind begrifflich keine Bezüge, werden aber teilweise durch § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG einbezogen (ab 2012: § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG).

3. Unterhaltsleistungen, über die gesetzliche Unterhaltspflicht hinausgehende freiwillige Leistungen der Eltern sowie Vermögensübertragungen eines Elternteils auf das Kind sind schon aus teleologischen Gründen nicht als dessen Bezüge anzusetzen. In Betracht kommen lediglich Zuflüsse "von außen", sofern sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet oder bestimmt sind.

4. Die Besprechungsentscheidung nimmt auch Erbschaften des Kindes von einem Elternteil aus und begründet dies mit der Parallele zu lebzeitigen Schenkungen der Eltern sowie der Vermeidung praktischer Schwierigkeiten, die z.B. auftreten, wenn der Nachlass nur geringe liquide Mittel enthält, die sich für die Finanzierung des Unterhalts und der Ausbildung eignen.

5. Unter welchen Voraussetzungen Schenkungen und Erbschaften von anderen Personen als den Eltern (z.B. von Großeltern, Tante, Patenonkel) zu den Bezügen gehören, hat der BFH dogmatisch noch nicht geklärt. In Einzelfällen blieben illiquide Vermögensgegenstände (z.B. Immobilien) sowie zweckgebundene Zuflüsse unberücksichtigt. Unter dem Gesichtspunkt der Zweckgebundenheit sind dann (Gestaltung!) Zuwendungen für den laufenden Unterhalt oder die Kosten der Ausbildung Bezüge, nicht aber Zuwendungen zur Kapitalanlage oder als Starthilfe in das Berufsleben nach dem Ausbildungsabschluss (BFH, Urteil vom 28.1.2004, III R 21/02, BFH/NV 2004, 713).

Das überzeugt allenfalls im Ergebnis, nicht aber in der Begründung. Denn Kinder können zugewendete Mittel regelmäßig unter Verstoß gegen eine Zweckbestimmung nach freiem Belieben verwenden, ohne eine Rückforderung befürchten zu müssen (erst eine Auflage i.S.v. § 525f. BGB wäre verpflichtend), und zugewandte Sachwerte wie Eigentumswohnungen, Goldbarren oder Kunstgegenstände zu Geld machen und dieses für Unterhalt und Ausbildung verbrauchen.

Als "Radikallösung" böte sich an, Schenkungen generell nicht als Bezüge anzusehen. Damit entfielen die Probleme der Gestaltungsanfälligkeit, der Vollzugsdefizite (die Verwaltung fragt in ihrem Formular "Erklärung zu den Einkünften und Bezügen …" nicht in nachvollziehbarer Weise nach Schenkungen, und Verwandtenschenkungen dürften kaum lückenlos zu erfassen sein) sowie der Gleichbehandlung (Zuwendung von Geld ist schädlich, die Eigentumswohnung nicht). Für eine Gleichstellung von Erbschaften und Vermächtnissen mit Schenkungen spricht, dass diese dem Kind dieselbe Leistungsfähigkeit vermitteln.

 

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