Leitsatz

1. Der Steuerpflichtige ist durch die Einkommensteuerfestsetzung beschwert, auch wenn er nach Abzug des in fiktive Kinderfreibeträge umzurechnenden Kindergelds im wirtschaftlichen Ergebnis nicht mit Einkommensteuer belastet ist.

2. Aus der Festsetzung von Einkommensteuer, obwohl der Steuerpflichtige wegen seiner geringen Einkünfte Anspruch auf Sozialhilfe für sich und seine Kinder hat, kann nicht geschlossen werden, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Kinder sei nicht ausreichend von der Einkommensteuer freigestellt.

3. Da die Freistellung eines Einkommensbetrags i.H.d. Existenzminimums der Kinder durch Freibeträge oder Kindergeld bewirkt wird und bei geringen Einkünften das Kindergeld regelmäßig zu einer höheren Entlastung als die Steuerersparnis durch die Freibeträge führt, ist das gezahlte Kindergeld in fiktive Freibeträge umzurechnen. Ergibt sich nach Abzug der fiktiven Freibeträge ein zu versteuerndes Einkommen unterhalb des Eingangssatzes des Tarifs, ist der Steuerpflichtige wirtschaftlich nicht mit Einkommensteuer belastet, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Kinder also von der Besteuerung ausgenommen.

 

Normenkette

§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst a EStG , § 10 Abs. 3 EStG , § 31 EStG , § 32 EStG , § 32a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG , § 66 Abs. 1 EStG , Art. 1 Abs. 1 GG , Art. 6 Abs. 1 GG , Art. 20 GG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist ledig und hat zwei minderjährige – 1982 und 1989 geborene – Söhne. In den Streitjahren 1996 und 1997 erzielte sie im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, daneben geringfügige – negative – Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Das FA setzte entsprechend den eingereichten Erklärungen die Einkommensteuer im Jahr 1996 auf 1.802 DM und im Jahr 1997 auf 1.846 DM fest. Im Rahmen der Günstigerprüfung ergab sich, dass die gebotene steuerliche Freistellung der Existenzminima für beide Kinder durch das ausgezahlte Kindergeld i.H.v. 4.800 DM für 1996 und von 5.280 DM für 1997 bewirkt worden ist, so dass bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens keine Kinderfreibeträge angesetzt wurden.

Mit ihren Einsprüchen gegen die Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 brachte die Klägerin vor, die Besteuerung verstoße gegen Entscheidungen des BVerfG. Danach dürfe nur das über das Existenzminimum hinausgehende Einkommen der Besteuerung unterworfen werden. Ihr nach dem Bundessozialhilfegesetz anzurechnendes Einkommen betrage 24.078 DM (1996) und 24.364 DM (1997). Hiervon müsse sie noch die Belastung durch die Einkommensteuer tragen, obwohl der Sozialhilfebedarf für sie und ihre beiden Kinder nach den Richtlinien der Sozialhilfe mit 28.759 DM (1996) und 30.728 DM (1997) jeweils darüber liege. Darüber hinaus habe sie noch nicht einmal die Sozialversicherungsbeiträge in vollem Umfang abziehen können. Der neben dem beschränkten Abzug der Sonderausgaben gewährte Haushaltsfreibetrag und der Kinderfreibetrag reichten nicht aus, um das Einkommen von der Einkommensteuer freizustellen.

Klage und Revision blieben erfolglos.

 

Entscheidung

Das in Kinderfreibeträge umgerechnete Kindergeld ergäbe eine Freistellung je Kind von 8.856 DM für 1996 und von 9.741 DM für 1997. Diese Beträge überstiegen die für 1996 und 1997 ermittelten Existenzminima für Kinder, so dass die Klägerin steuerlich offensichtlich hinreichend entlastet werde. Dass sie ihre Vorsorgeaufwendungen nicht in voller Höhe steuerlich abziehen könne, sei für die Streitjahre unbedenklich, denn das BVerfG habe angeordnet, dass die bisherige Regelung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung weiter anzuwenden sei.

 

Hinweis

Der existenznotwendige Bedarf des Steuerpflichtigen und seiner Familienangehörigen muss bekanntlich von Verfassungs wegen steuerfrei bleiben. Hierfür bildet der sozialhilferechtlich anerkannte Mindestbedarf die Untergrenze. Allerdings kann der Gesetzgeber statt der steuerlichen Freistellung des Kindesunterhalts Kindergeld gewähren. Für die Prüfung, ob das Kindergeld seiner steuerlichen Entlastungsfiktion gerecht wird, ist es in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen.

Das EStG gewährt einen Kinderfreibetrag, dessen Höhe der BFH für das Jahr 1996 schon in mehreren Urteilen als verfassungsgemäß beurteilt hat. Statt eines Freibetrags wird Kindergeld gewährt, wenn dies für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Da bei niedrigen Einkommen Kindergeld vorteilhafter als der Kinderfreibetrag ist, kann dies dazu führen, dass selbst unter Einrechnung des Kindergelds der Steuerpflichtige weniger als das sozialhilferechtliche Existenzminimum hat und gleichwohl Einkommensteuer zahlen muss.

Dieses auf den ersten Blick befremdende Ergebnis ist verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit das in Kinderfreibeträge umgerechnete Kindergeld das Existenzminimum hinreichend entlastet. Es handelt sich um eine Folge des Dualismus von Kindergeld und Kinderfreibetrag. Rechnet man das Kindergeld in einen Kinderfreibetrag um, ergäbe sich nämlich keine Steuerschuld. Die Steuerfestsetzung erklärt sich nur dadurch, dass infolge de...

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