Kann passive Entstrickung überhaupt zu Ausschluss bzw. Beschränkung des Besteuerungsrechtes führen? Im Anschluss hatte das FG zu der Frage zu entscheiden, ob eine passive Entstrickung tatsächlich zu einem Ausschluss respektive einer Beschränkung des Besteuerungsrechtes der Bundesrepublik Deutschland führen könne.

Systematische Erwägungen = aktive Entnahmehandlung des Steuerpflichtigen fehlt: Aus dem systematischen Zusammenhang des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG im Normengefüge des § 4 Abs. 1 EStG leitete das FG Münster ab, dass der Tatbestand des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG schon deshalb nicht erfüllt sei, weil es an einer aktiven Handlung des Steuerpflichtigen fehle. Nach Auffassung des FG Münster sei die Entstrickung einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 EStG gleichzusetzen, für die es einer entsprechende Entnahmehandlung bedürfe. Die Änderung der Rechtslage in Gestalt des Neuabschlusses des DBA Spanien

  • sei jedoch ausschließlich auf die durch die Bundesrepublik Deutschland veranlasste Neuordnung des Besteuerungsrechts durch völkerrechtliche Verträge zurückzuführen und
  • könne dem Steuerpflichtigen somit nicht zugerechnet werden.

Gesetzeshistorische Erwägungen: Für die Begründung des hier diskutierten Urteils bedient sich das FG darüber hinaus an der Gesetzeshistorie. So wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG die durch die Rechtsprechung[42] entwickelte Theorie der finalen Entnahme gesetzlich regeln.[43] Nach dieser Theorie sah der BFH in der Überführung von Einzelwirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte stets eine gewinnverwirklichende Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 3 EStG – und somit die Notwendigkeit einer aktiven eigenen Handlung des Steuerpflichtigen.

Kein abweichender gesetzgeberischer Wille im Regelbeispiel des § 4 Abs. 1 S. 4 EStG erkennbar: Ein abweichender Wille des Gesetzgebers könne schließlich auch nicht aus dem Regelbeispiel des § 4 Abs. 1 S. 4 EStG abgeleitet werden: nach dessen Wortlaut liege ein Ausschluss bzw. eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts insbesondere in Fällen der aktiven Entstrickung vor. Beachten Sie: Auch die Verwendung des Wortes "insbesondere" lasse nicht die Annahme zu, dass der Gesetzgeber eine passive Enstrickung gleichermaßen habe erfassen wollen.

Daran soll nach Auffassung des FG Münster auch die Begründung des Gesetzesentwurfs für das ATADUmsG[44]nichts ändern. Diese enthält einen Passus zum Ausgleichsposten des § 4g Abs. 1 EStG, der "[...] auch in Fällen einer sog. passiven Entstrickung gebildet werden [...]"könne.[45] Es handele sich hierbei zwar um eine "Klarstellung" des Gesetzgebers zur Erfassung der passiven Entstrickung, jedoch könne diese bei der Entstehung des ATADUmsG gefasste Intention nicht auf die im Streitjahr anzuwendende gesetzeshistorische Auslegung des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG zurückwirken.

Europarechtswidrigkeit bei Subsumtion der passiven Entstrickung unter § 4 Abs. 1 S. 3 EStG: Abschließend wies der beurteilende Senat darauf hin, dass eine Subsumtion der passiven Entstrickung unter § 4 Abs. 1 S. 3 EStG

  • gegen Unionsrecht verstoßen würde und
  • folglich europarechtswidrig wäre.

Grundlage hierfür ist das zur Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV ergangene Urteil des EuGH in der Rechtssache Verder LabTec[46]. Danach können Regelungen eines Mitgliedstaates, die für die Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern auf eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat die sofortige Besteuerung der stillen Reserven vorsehen, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen.

Eine solche Beschränkung sei laut EuGH nur dann verhältnismäßig, wenn dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen

  • der sofortigen Zahlung der Steuer oder
  • dem Aufschub[47] der Zahlung

eingeräumt werde. Von einer solchen Möglichkeit könne der Steuerpflichtige jedoch erstmalig i.R.d. § 4g EStG i.d.F. des ATADUmsG v. 25.6.2021 Gebrauch machen. In der vorherigen Fassung konnte ein Ausgleichsposten – und somit eine gestaffelte Steuererhebung nach § 4g EStG a.F. – lediglich im Falle einer aktiven Entstrickung in Anspruch genommen werden. Fazit: Die sofortige Besteuerung als Folge der passiven Entstrickung wäre im Streitjahr vor ATADUmsG somit unverhältnismäßig und europarechtswidrig.

Keine Heilung der Europarechtswidrigkeit durch Neufassung des § 4g EStG i.R.d. ATADUmsG: Insbesondere könne durch die Neufassung des § 4g EStG i.R.d. ATADUmsG keine Heilung der Europarechtswidrigkeit angenommen werden, da es insoweit zu einer grundsätzlich steuerlich unzulässigen sog. echten Rückwirkung kommen würde; eine solche liegt vor, soweit der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert.[48]Beachten Sie: Dieser Frage wurde seitens des FG Münster jedoch nicht weiter nachgegangen, da bereits eine passive Entstrickung über § 4 Abs. 1 S. 3 EStG verneint wurde.

Der weiteren Argumentationslinie aus der Literatur[49] über den Tatbestand der Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Maßgabe d...

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