Formen des vorläufigen Rechtsschutzes, Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 AO

[Ohne Titel]

RDin Ann-Erika Jörißen, LL.M Köln-Paris[*]

Gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 1 des Grundgesetzes steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Garantiert wird nicht nur, dass der Rechtsweg überhaupt gegeben ist, sondern auch, dass der Rechtsschutz effektiv ist. Daher ergibt sich die Notwendigkeit des vorläufigen (einstweiligen) Rechtsschutzes. Dieser hat für den Steuerpflichtigen manchmal sogar eine existenzielle Bedeutung, wenn er nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um den Ausgang eines langwierigen Gerichtsverfahrens abzuwarten.

Der Gesetzgeber hat die konkrete Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb der jeweiligen Verfahrensordnungen unterschiedlich festgelegt, um den Besonderheiten des jeweils angesprochenen Rechtsgebietes und der betroffenen schutzwürdigen Rechtsgüter Rechnung zu tragen. Im steuerrechtlichen Bereich wurden die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes insb. durch die Antragsverfahren nach § 361 AO und § 69 FGO geschaffen. Hiernach ist die Vollziehung steuerlicher Verwaltungsakte auszusetzen, wenn ernsthafte Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung des streitigen Verwaltungsaktes für den Betroffenen eine unbillige Härte bedeuten würde. Daneben besteht gem. § 114 FGO die Möglichkeit, eine einstweilige Anordnung zu beantragen.

[*] Die Autorin ist im Höheren Dienst der Finanzverwaltung NRW tätig. Der Beitrag spiegelt ihre private Auffassung wider.

I. Formen des vorläufigen Rechtsschutzes

Aussetzung der Vollziehung/einstweilige Anordnung: Der vorläufige Rechtsschutz wird durch zwei voneinander unabhängige Rechtsinstitute gewährt: die Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 AO bzw. § 69 FGO und die einstweilige Anordnung gem. § 114 FGO.

(Grafik: Jörißen in Schmider/Wagner/Loritz, Handbuch der Bauinvestitionen und Immobilienkapitalanlagen (HdB), Fach 1714 m.w.A.)

Beide Rechtsinstitute stehen bezüglich ihrer Voraussetzungen in einem grundsätzlichen Ausschließlichkeitsverhältnis. § 114 FGO gilt nicht für die Fälle, die von § 69 FGO erfasst werden (§ 114 Abs. 5 FGO).

Abgrenzung: Grundsätzlich wird unterschieden, ob die Behörde bereits bestehende Rechtspositionen des Steuerpflichtigen durch einen belastenden oder feststellenden Verwaltungsakt beeinträchtigt – dann sind §§ 361 AO, 69 FGO vorrangig anwendbar – oder ob sie eine Besserstellung hinsichtlich der bestehenden Rechtsposition, beispielsweise durch Ablehnung des Erlasses eines begünstigenden Verwaltungsaktes oder durch andere Maßnahmen als den Erlass eines Verwaltungsaktes verweigert – dann findet § 114 FGO Anwendung. Die Aussetzung der Vollziehung vermeidet also Nachteile, die durch die vorzeitige Durchsetzung angefochtener vollziehbarer Verwaltungsakte entstehen können, während die einstweilige Anordnung solche Nachteile vermeidet, die durch Veränderung der bestehenden Rechtslage oder in anderer Weise noch entstehen können.

Die Rspr. orientiert sich bei der Abgrenzung zwischen der Aussetzung (bzw. Aufhebung) der Vollziehung und der einstweiligen Anordnung primär an der Klageart im Hauptsacheverfahren. Bei Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage wird der vorläufige Rechtsschutz durch die Aussetzung (bzw. Aufhebung) der Vollziehung gewährt; bei Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklagen ist demgegenüber die einstweilige Anordnung gegeben (BFH v. 23.4.2012 – III B 183, 11, BFH/NV 2012, 1173; v. 21.12.2012 – III B 41/12, BFH/NV 2013, 549; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 90). Allerdings gilt die Abgrenzung nach der Klageart nicht ausnahmslos; zwei Fallgruppen sollten als Ausnahmen verinnerlicht werden:

  • Bei Ablehnung einer vom Steuerpflichtigen begehrten Grundlagenentscheidung durch die Finanzbehörde ist im einstweiligen Verfahren die Aussetzung der Vollziehung statthaft (Beispiel: negative Feststellungsbescheide; BFH GrS v. 14.4.1987 – GrS 2/85, BStBl. II 1987, 637).
  • Bei Ablehnung eines Leistungsbegehrens des Steuerpflichtigen ist im einstweiligen Rechtsschutz die einstweilige Anordnung das Mittel der Wahl (Beispiel: ein beantragter (Kinder)Geldbescheid wird nach einer materiell-rechtlichen Prüfung abgelehnt; Meinert, DStZ 2015, 599; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 40 FGO Rz. 11).

Während § 361 AO die Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens regelt, ist § 69 FGO einschlägig, wenn die zugrunde liegende Hauptsache bereits beim FG anhängig ist. Nach § 69 Abs. 2 FGO kann während des Klageverfahrens die Finanzbehörde, nach § 69 Abs. 3, 4, 6 und 7 FGO das FG die Vollziehung aussetzen. Die Vorschriften gelten nebeneinander, so dass der Steuerpflichtige einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Finanzbehörde stellen und bei Ablehnung das Rechtsmittel des Einspruchs einlegen kann. Gegen die Einspruchsentscheidung kann er keine finanzgerichtliche Klage erheben (§ 361 Abs. 5 AO), aber das...

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