Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer der Notare in Baden-Württemberg. Verfassungsbeschwerde gegen ausgelaufenes Recht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde gegen eine zwischenzeitlich vom Gesetzgeber geänderte Regelung.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat der Gesetzgeber etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bisherige Ungleichbehandlung durch eine gesetzliche Neuregelung für die Zukunft Rechnung getragen, verbleiben für die künftige steuerrechtliche Praxis keine verfassungsrechtlichen Zweifel mehr, die im Rahmen eines anhängigen Verfahrens zu klären wären (hier: unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung der früheren, im wesentlichen gleichartigen Leistungen der Amtsgerichte und der Notare).

2. Die Verfassungsbeschwerde betreffend das Streitjahr 1968 wurde nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Gesetzgeber das UStG mit Änderungsgesetz vom 26.11.1979 (BGBl I S. 1953) mit Wirkung vom 1.1.1980 geändert hat und weil dem Gesetzgeber zur Beseitigung des ursprünglichen Zustandes ein zeitlicher Spielraum zustand und dem Steuerpflichtigen keine schweren und unabwendbaren Nachteile entstanden waren (wird ausgeführt).

 

Normenkette

UStG 1980 § 2 Abs. 3 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12; BVerfGG § 93a

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 10.11.1977; Aktenzeichen V R 115/74)

 

Gründe

I.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde beanstandet der beschwerdeführende Anwaltsnotar, daß die Gebühreneinnahmen der freiberuflichen und der beamteten Notare in Baden-Württemberg umsatzsteuerrechtlich verschieden behandelt wurden.

1. Der in Baden-Württemberg ansässige Beschwerdeführer hatte gegen seine Umsatzbesteuerung für den Veranlagungszeitraum 1968 den Rechtsweg beschritten und beantragt, seine Umsatzsteuer um 2.804,74 DM für die auf seine Notariatstätigkeit entfallenden Umsätze zu ermäßigen. Seine Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Der Bundesfinanzhof hielt in der angegriffenen Entscheidung vom 10. November 1977 (BStBl II 1978 S. 80) an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, daß die Umsätze der freiberuflichen Notare der Umsatzsteuer unterliegen. Die daraus folgende wettbewerbliche Benachteiligung im Verhältnis zu den beamteten Notaren sei im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Treffe es zu, daß auch die beamteten Notare entgegen der bisherigen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung (vgl. Gutachten des Reichsfinanzhofs, RStBl I 1942 S. 1057; BFH, BStBl III 1953 S. 123) im Rahmen ihrer beurkundenden und beglaubigenden Tätigkeit als freiberufliche Unternehmer zu behandeln seien, beruhe ihre Freistellung von der Umsatzsteuer auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung; eine rechtsverletzende Gleichbehandlung könne aber der Beschwerdeführer nicht verlangen.

2. Gegen dieses Urteil hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde eingelegt und die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG gerügt. Er hält die unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung der freiberuflichen und der beamteten Notare um so weniger für gerechtfertigt, als die beamteten Notare infolge ihrer sonstigen Zuständigkeiten ohnehin schon im Wettbewerb begünstigt seien.

Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist der Bundesminister der Finanzen um eine Stellungnahme gebeten worden. Er hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet beurteilt, jedoch darauf hingewiesen, daß die aus der unterschiedlichen Behandlung folgende Wettbewerbsverzerrung im Einvernehmen mit dem Land Baden-Württemberg durch die Neufassung des Umsatzsteuergesetzes beseitigt werden solle (BTDrucks. 8/1779 S 29f).

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil weder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten ist noch dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entsteht (§ 93a Abs. 4 BVerfGG).

1. Die auf der Auslegung der früheren umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften beruhende unterschiedliche Behandlung der freiberuflichen und beamteten Notare und die daraus folgende, vom Beschwerdeführer beanstandete Wettbewerbsverzerrung hat der Gesetzgeber durch das am 1. Januar 1980 in Kraft getretene Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26. November 1979 (BGBl I S. 1953) ausgeräumt. Denn die Neufassung des Umsatzsteuergesetzes bestimmt nunmehr:

§ 2

(3) Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art … gewerblich oder beruflich tätig. Auch wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht gegeben sind, gelten als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne dieses Gesetzes

  1. die Tätigkeit der Notare im Landesdienst und der Ratschreiber in Baden-Württemberg, soweit Leistungen ausgeführt werden, für die nach der Bundesnotarordnung die Notare zuständig sind,

Durch diese gesetzliche Neuregelung hat der Gesetzgeber etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bisherige Ungleichbehandlung für die Zukunft Rechnung getragen. Daher verbleiben für die künftige steuerrechtliche Praxis keine verfassungsrechtlichen Zweifel mehr, die im Rahmen des anhängigen Verfahrens zu klären wären (vgl. BVerfGE 37, 305 (310); 38, 206 (211); 40, 233 (236); vgl. ferner den unveröffentlichten Beschluß vom 4. Juli 1978 – 1 BvR 135/71 – zur unterschiedlichen umsatzsteuerlichen Behandlung der früheren, im wesentlichen gleichartigen Leistungen der Amtsgerichte und der Notare).

2. Dem Beschwerdeführer entstehen dadurch, daß eine verfassungsrechtliche Überprüfung der vom Bundesfinanzhof für den Veranlagungszeitraum 1968 angewandten früheren gesetzlichen Regelung unterbleibt, auch keine schweren und unabwendbaren Nachteile.

Selbst wenn zugunsten des Beschwerdeführers davon ausgegangen wird, daß die beanstandete Wettbewerbsverzerrung verfassungsrechtlich auf die Dauer nicht tragbar erschien, so stand dem Gesetzgeber doch zur Beseitigung dieses Zustandes ein zeitlicher Spielraum zu (vgl BVerfGE 33, 171 (189f); 43, 291 (321); 45, 187 (252)), zumal nach Einführung des Mehrwertsteuersystems ein Teil der Mandanten der freiberuflichen Notare vorsteuerabzugsberechtigt geworden war und das baden-württembergische Justizministerium noch im Jahre 1973 bei einer Gegenüberstellung der Umsätze der Bezirksnotare und der anderen Notare keine Anhaltspunkte für eine Benachteiligung der freiberuflichen Notare hatte feststellen können. Da während einer solchen Frist der bisherige Zustand noch als rechtmäßig hinzunehmen ist, stellt sich jedenfalls für den strittigen Veranlagungszeitraum nicht die Frage, ob die Umsatzbesteuerung des Beschwerdeführers als schwerer Nachteil zu beurteilen wäre. Davon abgesehen ist zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer die von ihm geschuldete Umsatzsteuer bereits auf seinen Mandanten abgewälzt hatte und daß demgemäß sein Nachteil nicht in der Zahlung dieser Steuer, sondern nur in den durch die beanstandete Wettbewerbsverzerrung möglicherweise entgangenen Gebühreneinnahmen bestehen könnte. Dieser Nachteil ließe sich aber durch eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht rückwirkend ausräumen. Darüber hinaus konnte der Gesetzgeber die Wettbewerbsverzerrung auch dadurch beseitigen, daß er – wie das durch die Neufassung des Umsatzsteuergesetzes geschehen ist – die beamteten Notare ihrerseits in die Steuerpflicht einbezog, statt die freiberuflichen Notare von der Pflicht zur Zahlung der im Ausgangsverfahren strittigen Steuern zu befreien.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1611044

BVerfGE 53, 362

BVerfGE, 362

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