Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Pflicht des Gerichts von sich aus die mitwirkenden Richter bekanntzugeben

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aufgrund des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter, ist im Verfahrensrecht Vorsorge dafür getroffen, daß im Einzelfall ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann.

2. Art. 101 Abs. 1 S. 2 i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG sind nicht verletzt, wenn ein Gericht gleichzeitig über das Ablehnungsgesuch bezogen auf einen Richter sowie abschließend über die Sache entscheidet, auch wenn es dadurch der unterlegenen Partei erschwert wird, ihrerseits den ersetzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 42, 48

 

Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 01.12.1993; Aktenzeichen IV ZR 57/93)

OLG Düsseldorf (Urteil vom 27.01.1993; Aktenzeichen 9 U 109/92)

LG Düsseldorf (Urteil vom 11.03.1992; Aktenzeichen 8 O 75/91)

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft unter anderem Fragen der Richterablehnung im Zivilprozeß.

I.

1. Der Beschwerdeführer trat in einem Zivilrechtsstreit dem Kläger als Streithelfer bei und legte, nachdem die Klage in zwei Instanzen keinen Erfolg hatte, gegen das Berufungsurteil Revision zum Bundesgerichtshof ein. Im Revisionsverfahren teilte der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats den Parteien mit, der nach den senatsinternen Grundsätzen zur Mitwirkung berufene Richter T. habe angezeigt, daß er mit dem Beschwerdeführer seit längerem bekannt sei und mit ihm – wenn auch unregelmäßig – freundschaftlichen Kontakt unterhalte; um die Jahreswende 1992/93 habe ihn der Beschwerdeführer über das damals noch laufende Berufungsverfahren unterrichtet und mit ihm über die Erfolgsaussichten der Klage diskutiert. Die Revisionsbeklagte lehnte daraufhin den Richter T. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Eine Fertigung des Ablehnungsgesuchs wurde an den Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers versandt und war ihm, wie seine Gegenäußerung ergibt, spätestens am 22. Oktober 1993 zugegangen.

Mit Beschluß vom 1. Dezember 1993 erklärte der Bundesgerichtshof das Ablehnungsgesuch für begründet und stellte fest, daß anstelle des abgelehnten Richters T. der Richter S. mitwirke; zugleich nahm der Bundesgerichtshof in dem Beschluß die Revision des Beschwerdeführers nicht an. An dem Beschluß wirkte anstelle des abgelehnten Richters T. der (ebenfalls dem entscheidenden Zivilsenat angehörende) Richter S. mit.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die instanzgerichtlichen Urteile und den Beschluß des Bundesgerichtshofs an. Hinsichtlich dieses Beschlusses macht er geltend, der Bundesgerichtshof habe ihn in seinen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, daß er ihm die Entscheidung über die Befangenheit von Richter T. nicht vor der abschließenden Entscheidung über die Revision mitgeteilt habe. Er habe dadurch keine Möglichkeit gehabt, den Richter S. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Dies hätte er getan, wenn er von dessen Nachrücken rechtzeitig erfahren hätte. Er habe mit S. im Spätherbst 1992 über den Fall gesprochen. Dabei habe S. erklärt, es sei im Hinblick auf ein faires Verfahren fragwürdig, daß eine Beweisaufnahme nur in erster Instanz und noch dazu nur vor einem Einzelrichter stattgefunden habe und daß das Oberlandesgericht Beweisangebote, die es selbst für erheblich erachtet habe, im Wege einer vorweggenommenen Beweiswürdigung übergangen habe; er (S.) könne und wolle sich aber der restriktiven Nichtannahme-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entziehen. Im übrigen macht der Beschwerdeführer ohne nähere Begründung geltend, die Geschäftsverteilung des erkennenden Senats des Bundesgerichtshofs sei ebenso problematisch wie diejenige anderer Senate, derentwegen schon Verfassungsbeschwerden anhängig seien.

Hinsichtlich der vorausgegangenen Urteile der Instanzgerichte rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 103 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip und – hinsichtlich des landgerichtlichen Urteils – eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß und die vorausgegangene Verfahrensweise des Bundesgerichtshofs richtet, wirft sie keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG); die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist insoweit auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben könnte.

a) Soweit der Beschwerdeführer die Geschäftsverteilung innerhalb des erkennenden Senats des Bundesgerichtshofs beanstandet, genügt sein Vorbringen nicht den Begründungsanforderungen nach § 92 BVerfGG. Er hat nicht dargelegt, wie diese interne Regelung beschaffen ist. Damit fehlt es an einer Darlegung, daß und inwiefern sie gegen Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte verstoßen könnte.

b) Die Rüge des Beschwerdeführers, der Bundesgerichtshof hätte ihn vor der abschließenden Entscheidung über die Revision von der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch und das Nachrücken von Richter S. unterrichten müssen, wirft ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen auf und läßt die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt erscheinen; denn diese Rüge erweist sich schon anhand der vom Bundesverfassungsgericht bereits entwickelten Maßstäbe (vgl. zu diesem Kriterium BVerfGE 90, 22 ≪24≫) als unbegründet.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter, daß die Parteien nicht vor einem Richter stehen müssen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪145 f.≫; 89, 28 ≪36≫). Deshalb muß im Verfahrensrecht Vorsorge dafür getroffen werden, daß im Einzelfall ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪146≫). Daraus folgt aber nicht, daß die Gerichte allgemein von sich aus die Verfahrensbeteiligten vor einer Entscheidung darüber unterrichten müssen, welche Richter daran mitwirken werden. Eine solche Verpflichtung würde zwar den Parteien die Ausübung eines etwaigen Ablehnungsrechts erleichtern, weil ihnen die Erkundigungslast abgenommen würde. Sie besteht jedoch weder nach der einfachrechtlichen Gesetzeslage und Rechtsprechungspraxis noch ist sie von Verfassungs wegen geboten. Nach den dargelegten Maßstäben muß der Gesetzgeber nur die Möglichkeit der Richterablehnung schaffen. Soweit es in diesem Zusammenhang auf die Kenntnis von der Zusammensetzung des erkennenden Spruchkörpers ankommt, genügt es, wenn sich die Verfahrensbeteiligten diese Kenntnis in zumutbarer Weise verschaffen können (vgl. auch BVerfGE 93, 99 ≪108≫ zur Frage der Rechtsmittelbelehrung). Insoweit können keine anderen Maßstäbe gelten als für die Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes allgemein (vgl. dazu BVerfGE 88, 118 ≪124 f.≫).

Über die reguläre Besetzung der Richterbank können sich die Verfahrensbeteiligten unschwer Kenntnis durch Einsichtnahme in die Geschäftsverteilungspläne und die im Senat geltenden Grundsätze über die Mitwirkung der Richter in überbesetzten Senaten Aufklärung verschaffen. Soweit diese Geschäftsverteilungsregelungen nicht veröffentlicht sind, können sich die Parteien beim Gericht danach erkundigen. Eine solche Erkundigungspflicht liegt ebenso wie etwa die Erkundigung nach den Rechtsmittelvoraussetzungen (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪109≫) im Rahmen des Zumutbaren. Demgegenüber würde es einen ins Gewicht fallenden Aufwand bedeuten und könnte auch zu einer Verzögerung der Verfahren führen, wenn die Gerichte ganz allgemein vor jeder Entscheidung zu einem Hinweis auf die mitwirkenden Richter verpflichtet wären. Zu berücksichtigen ist dabei auch, daß nur in seltenen Fällen Ablehnungsgründe in Frage stehen und deshalb ein solcher Hinweis für die Verfahrensbeteiligten meist ohne sachliche Bedeutung wäre.

Ob Ausnahmefälle denkbar sind, in denen es aufgrund besonderer Umstände von Verfassungs wegen geboten sein könnte, abweichend von der Regel einen gerichtlichen Hinweis auf die Besetzung des Spruchkörpers zu geben, bedarf keiner Prüfung, weil eine solche Ausnahmelage hier nicht in Betracht kommt. Der Beschwerdeführer kannte den von ihm als Befangenheitsgrund angesehenen Sachverhalt und wußte nach seinem eigenen Vortrag auch, daß der davon Betroffene Richter am Bundesgerichtshof war. Der Beschwerdeführer hat nicht vorgetragen, daß er über die Besetzungsregeln des Senats für die Spruchkörper informiert war. Er mußte daher von vornherein damit rechnen, daß der betroffene Richter Mitglied des Spruchkörpers war. Auch soweit ihm die reguläre Besetzung des Spruchkörpers bekannt gewesen sein sollte, mußte er aufgrund der Selbstablehnung des Richters T. und des gegen diesen gerichteten Ablehnungsgesuchs der Revisionsbeklagten auch damit rechnen, daß Richter T. möglicherweise durch einen anderen Richter ersetzt werden konnte. Schließlich mußte der Beschwerdeführer damit rechnen, daß die Entscheidung über die Nichtannahme der Revision durch Beschluß getroffen werden konnte (§ 554 b Abs. 3 ZPO). Der Beschwerdeführer hatte daher Anlaß, sich nach der Besetzung des zuständigen Spruchkörpers und der möglichen Vertretung ausfallender Mitglieder dieses Spruchkörpers zu erkundigen, wenn er den Richter S., falls dieser zur Mitwirkung berufen sein sollte, wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen wollte. Er durfte auch nicht etwa darauf vertrauen, daß Richter S. das mit dem Beschwerdeführer geführte Gespräch über den Fall, aus dem der Beschwerdeführer einen Ablehnungsgrund herleitet, von sich aus als Grund für eine Selbstablehnung nach § 48 ZPO ansehen werde. Nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung kann die Äußerung einer Rechtsansicht zu einem Fall für sich allein noch nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. etwa Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 20. Aufl. 1997, § 42 Rn. 26, 33 m.w.N.). Besondere Umstände, die – wie etwa eine feindliche Einstellung des Richters S. gegenüber dem Beschwerdeführer oder ein freundschaftliches Verhältnis zur Gegenpartei – Zweifel an der Neutralität des Richters hätten begründen können, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Möglichkeit, daß Richter S. das Gespräch mit dem Beschwerdeführer als Grund für eine Selbstablehnung ansehen würde, lag danach fern.

2. Auch soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die instanzgerichtlichen Urteile richtet, hat sie weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch Aussicht auf Erfolg. Von näheren Ausführungen hierzu wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

NJW 1998, 369

MDR 1998, 362

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