Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Regelaltersrente. Hinweispflicht des Rentenversicherungsträgers auf Dreimonatsfrist. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Rentenversicherungsträger haben die betroffenen Versicherten im Rahmen ihrer Hinweispflicht gemäß § 115 Abs 6 SGB 6 auch darauf aufmerksam zu machen, daß ein Antrag auf Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres innerhalb der Dreimonatsfrist des § 99 Abs 1 S 1 SGB 6 gestellt werden muß, um den frühest möglichen Rentenbeginn zu erreichen.

2. Ist ein solcher Hinweis unterblieben, kann dies zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch des Versicherten führen.

 

Orientierungssatz

Nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese davon tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Die Unkenntnis von Rechten, deren befristete Ausübung im Gesetz selbst ausdrücklich geregelt ist, kann eine Wiedereinsetzung daher grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl BSG vom 21.5.1996 - 12 RK 43/95 = SozR 3-5070 § 21 Nr 3).

 

Normenkette

SGB VI §§ 35, 99 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 6; SGB X § 27; SGB I §§ 13-15

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 18.10.1994; Aktenzeichen L 5 Ar 348/94)

SG Landshut (Entscheidung vom 23.03.1994; Aktenzeichen S 4 Ar 436/93)

 

Tatbestand

Streitig ist der Beginn der Regelaltersrente der Klägerin wegen Vollendung des 65. Lebensjahres; umstritten ist insbesondere, ob die Klägerin im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs einen früheren Rentenbeginn erreichen kann.

Die am 30. Dezember 1927 geborene Klägerin legte von 1942 bis 1959 Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zurück. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1987 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf der Klägerin fest und wies dabei ua auf die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit für ein Altersruhegeld sowie die Notwendigkeit der Antragstellung für den Anspruch auf Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres hin.

Am 26. April 1993 beantragte die Klägerin Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres "ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt". Die Beklagte bewilligte diese Leistung in Höhe von monatlich 447, 46 DM und setzte den Rentenbeginn auf den 1. April 1993 fest (Bescheid vom 30. April 1993). Zur Begründung führte sie aus, die Anspruchsvoraussetzungen für die Regelaltersrente seien mit der Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin am 29. Dezember 1992 erfüllt gewesen; da der Rentenantrag erst am 26. April 1993, also nach Ablauf des dritten Kalendermonats seit Dezember 1992, gestellt worden sei, könne die Rente gemäß § 99 Abs 1 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) erst ab Beginn des Antragsmonats (April 1993) geleistet werden.

Hiergegen legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein (Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1993). Das Sozialgericht (SG) Landshut hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin eine Regelaltersrente ab 1. Januar 1993 zu zahlen (Urteil vom 23. März 1994). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen der Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 115 Abs 6 SGB VI durch die Beklagte so zu stellen, als habe sie den Antrag auf Regelaltersrente bis zum 31. März 1993 gestellt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Sein Urteil vom 18. Oktober 1994 ist auf folgende Erwägungen gestützt:

Einen Anspruch auf Zahlung von Rente für die Zeit vor dem 1. Februar 1993 habe die Klägerin schon deshalb nicht, weil sie im Widerspruchs- und Klageverfahren den Bescheid vom 30. April 1993 nur insoweit angegriffen habe, als darin eine Rentenbewilligung ab 1. Februar 1993 abgelehnt werde. Als sie dann in der mündlichen Verhandlung vor dem SG ihren Klageantrag auf die Zeit ab 1. Januar 1993 erweitert habe, seien Widerspruchs- und Klagefrist bereits abgelaufen gewesen, so daß insoweit Teilbestandskraft des angefochtenen Bescheides eingetreten sei. Auch sonst habe die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente für die Zeit vor dem 1. April 1993. Bis zum Ablauf der Dreimonatsfrist in § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI am 31. März 1993 habe sie keinen Rentenantrag gestellt, so daß die Rente gemäß § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI vom Antragsmonat an, also ab 1. April 1993 zu leisten sei.

Eine Verschiebung des Versicherungsfalles, wie sie die Klägerin beanspruche, um in den Genuß der Dreimonatsregelung des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI zu gelangen, sei im SGB VI im Gegensatz zum früheren Recht (§ 1248 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) nicht vorgesehen. Auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs könne die Klägerin nicht so gestellt werden, als habe sie den Rentenantrag früher gestellt. Es fehle bereits an einer Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin auf ihre Anspruchsberechtigung und die Notwendigkeit der Antragstellung hinzuweisen. Eine derartige Verpflichtung ergebe sich aus § 115 SGB VI nicht, denn der Gesetzgeber habe gerade nicht festlegen wollen, in welchen Fällen eine Hinweispflicht bestehen solle, sondern dies den Trägern der Rentenversicherung überlassen. Selbst wenn man davon ausgehe, daß § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI der Versicherten einen Hinweisanspruch gebe, seien hier gleichwohl die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht erfüllt. Anläßlich der Vollendung des 65. Lebensjahres einer Versicherten bestehe keine Hinweispflicht, weil dies kein geeigneter Fall iS des § 115 Abs 6 SGB VI sei. Zum einen sei gerade bei der elektronisch gesteuerten Verknüpfung persönlicher Daten durch Träger staatlicher Verwaltung Zurückhaltung angezeigt, wenn den Versicherten nicht jegliche Eigenverantwortung abgenommen und ein Übermaß fürsorglicher Hinweise zur rationalen eigenen Lebensgestaltung aufgenötigt werden solle. Zum anderen sei es wohl allgemein bekannt, daß man mit 65 Jahren "in die Rente gehen" könne.

Selbst bei Annahme einer Hinweispflicht im Falle der Erfüllung der Voraussetzungen für die Regelaltersrente habe eine solche gegenüber der Klägerin nicht bestanden. Da § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI als Sollbestimmung ausgestaltet sei, bestehe bei Vorliegen eines atypischen Falles nämlich keine Hinweispflicht. Ein solcher liege indes vor, weil die Klägerin im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens im Jahre 1987 ausdrücklich auf die Voraussetzungen des Altersruhegeldes und die Notwendigkeit einer Rentenantragstellung hingewiesen worden sei.

Auch könne die Ursächlichkeit einer Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 115 Abs 6 SGB VI für die verspätete Rentenantragstellung mangels entsprechender Darlegungen der Klägerin oder des SG nicht festgestellt werden. Die Klägerin habe nie behauptet, die Voraussetzungen für die Regelaltersrente nicht gekannt bzw von der Notwendigkeit einer Antragstellung nichts gewußt zu haben. Ein solcher Vortrag wäre auch unglaubhaft, denn die Klägerin habe sich bereits am 17. September 1992 Ausfertigungen ihrer Heiratsurkunde und der Geburtsurkunde ihres Sohnes "für Rentenzwecke" ausstellen lassen. Nach ihrem Vorbringen habe die Klägerin lediglich gemeint, das "Dreimonatsprivileg" lasse sich auch im neuen Recht durch Verschiebung des Versicherungsfalles des Alters erhalten; sie habe jedoch nicht vorgetragen, die Beklagte habe sie vom Wegfall der ehemals aus § 1248 Abs 6 RVO resultierenden Möglichkeiten informieren müssen. Zu einer derartigen Aufklärung sei die Beklagte auch weder aus § 115 Abs 6 SGB VI noch aus den §§ 14, 15 SGB VI verpflichtet gewesen.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 77, 157 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), des § 115 Abs 6 SGB VI und des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI: Zu Unrecht habe das LSG eine Teilbindungswirkung für Zeiten vor dem 1. Februar 1993 angenommen. Sie habe den Streitgegenstand nicht auf den Zeitraum ab 1. Februar 1993 beschränkt, sondern dieses Datum lediglich als nach ihrer Rechtsauffassung frühestmöglichen Zeitpunkt vorgetragen.

§ 115 Abs 6 SGB VI normiere nicht nur eine allgemeine Aufklärungspflicht, sondern einen Rechtsanspruch der Versicherten auf Information. Da die bloße Übersendung allgemeiner Informationsmaterialien für die Erfüllung dieser Verpflichtung nicht ausreichend sei, spiele es auch keine Rolle, ob hier ein atypischer Fall vorliege. Die Informationspflicht umfasse auch Hinweise darüber, wann der Rentenantrag gestellt sein müsse, um die Rente zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erhalten. Denn hierüber bestehe seit der Rentenreform gesteigerte Rechtsunsicherheit und Unkenntnis. Diese umfassende Informationspflicht sei den Rentenversicherungsträgern angesichts der Möglichkeiten der Computertechnik auch zumutbar. Die Bedenken, den Versicherten könne so ihre Eigenverantwortung genommen werden, seien nicht begründet, denn erst eine ausreichende Information versetze sie in die Lage, überhaupt eigenverantwortlich handeln zu können.

Soweit das LSG die Auffassung vertreten habe, hinsichtlich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs seien noch weitere Tatsachen darzulegen gewesen, sei § 157 SGG verletzt. Denn das LSG hätte aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes insoweit eine Sachaufklärung herbeiführen oder einen entsprechenden richterlichen Hinweis geben müssen. Hilfsweise werde eine Verletzung des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI gerügt. Aus der Möglichkeit der Versicherten, den Leistungsbeginn der Regelaltersrente bestimmen zu können, folge, daß erst recht der Versicherungsfall bestimmbar sein müsse, damit die Rentnerin sich noch drei Monate Rentenzahlung sichern könne. Eine entsprechende Regelung finde sich in § 115 Abs 3 SGB VI für die Bezieher von Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (BU/EU). Damit komme hier eine Rentenzahlung ab 1. Februar 1993 in Betracht, die hilfsweise begehrt werde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 18. Oktober 1994 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Landshut vom 23. März 1994 zurückzuweisen,

hilfsweise,

insoweit das Urteil des Bayerischen LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, als die Rentengewährung für den Zeitraum vom 1. Februar 1993 bis zum 31. März 1993 abgelehnt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Die Klägerin habe lediglich Anspruch auf Regelaltersrente ab 1. April 1993, weil sie innerhalb der Dreimonatsfrist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI keinen Rentenantrag gestellt habe. Eine mit § 1248 Abs 6 RVO vergleichbare Regelung könne es schon deswegen im neuen Recht nicht geben, weil das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) das "Versicherungsfallprinzip" durch das "Rentenbeginnsprinzip" ersetzt habe.

Aus § 115 Abs 6 SGB VI resultiere zwar ein subjektiv öffentlich-rechtlicher Anspruch der Versicherten auf Information, dies freilich nur in "geeigneten Fällen", nämlich wenn bei der Bearbeitung eines Geschäftsvorgangs zu erkennen sei, daß eine Versicherte in Kürze die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rentenleistung erfüllen werde. Zu Recht habe das LSG darauf hingewiesen, daß sonst die Stellung der Versicherten als mündige Bürgerin beeinträchtigt würde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet, soweit die Klägerin Regelaltersrente für Januar 1993 begehrt. Im übrigen ist sie im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die festgestellten Tatsachen lassen insoweit eine abschließende Entscheidung nicht zu. Es sind noch Ermittlungen zur Frage der Ursächlichkeit einer Verletzung der Hinweispflicht aus § 115 Abs 6 SGB VI für die verspätete Rentenantragstellung der Klägerin erforderlich.

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil insoweit zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen, als darin die Beklagte zur Gewährung einer Regelaltersrente für Januar 1993 verurteilt worden ist. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 23. März 1994 erweiterte Klage war zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der Rentengewährung für den Monat Januar 1993 unzulässig, weil der Bescheid vom 30. April 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1993 insoweit bereits bindend geworden war. Gegenstand des Klageverfahrens - wie auch bereits des Widerspruchsverfahrens - bis zur mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz war ausschließlich die Rentengewährung für die Zeit ab 1. Februar 1993. Sowohl die bis dahin von der anwaltlich vertretenen Klägerin gestellten Sachanträge als auch ihr gesamter Vortrag zeigen, daß sie eine Regelaltersrente erst für die Zeit ab 1. Februar 1993 anstrebte. Während sie im Rentenantrag noch Rente "ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt" geltend machte, begehrte die Klägerin bereits mit dem Widerspruch nur die Abänderung des Bescheides vom 30. April 1993 und Zahlung der Rente ab 1. Februar 1993. In der Klagebegründungsschrift verlangte sie ausdrücklich die Gewährung von Regelaltersrente ab 1. Februar 1993 und stellte einen entsprechenden Klageantrag. Ein Wille der Klägerin, Regelaltersrente auch für Januar 1993 zu beanspruchen, war jedenfalls nicht erkennbar. Der angefochtene Bescheid war mithin am Tage der mündlichen Verhandlung vor dem SG (23. März 1994) wegen der inzwischen abgelaufenen Klagefrist (§ 87 Abs 2 SGG) hinsichtlich dieses abtrennbaren Teils des Streitgegenstandes gemäß § 77 SGG bestandskräftig geworden.

Ob die Klägerin einen Anspruch auf Regelaltersrente für die Monate Februar und März 1993 hat, kann mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht abschließend entschieden werden.

Nach der gesetzlichen Regelung über den Rentenbeginn kann die Klägerin allerdings - wie das LSG insoweit zutreffend erkannt hat - Regelaltersrente erst ab April 1993 beanspruchen. Gemäß § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Anspruchsvoraussetzungen der von der Klägerin beanspruchten Regelaltersrente gemäß § 35 SGB VI lagen erstmals im Dezember 1992 vor, weil sie in diesem Monat das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB VI) erfüllt hatte. Der dritte Kalendermonat nach Ablauf dieses Monats war der März 1993 (vgl § 26 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫ iVm § 187 Abs 1, § 188 Abs 2 1. Alt und § 192 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ≪BGB≫). Bis Ende März 1993 hat die Klägerin jedoch keine Rente beantragt.

Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung nach § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird, hier also im Hinblick auf den Rentenantrag vom 26. April 1993 ab April 1993. Eine andere Auslegung läßt der Wortlaut des § 99 Abs 1 SGB VI nicht zu, denn es wird eindeutig und klar zwischen einer Antragstellung bis zum Ablauf der Dreimonatsfrist und einer Antragstellung danach unterschieden, und es werden diesen Alternativen jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen zugeordnet. Die Erfüllung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen der Rente aus eigener Versicherung ist ein objektiver Tatbestand, der nicht der Disposition der einzelnen Versicherten unterliegt. Etwas anderes gilt allenfalls bei späterer Beitragsnachentrichtung zur Erfüllung der Wartezeit (vgl VerbandsKomm, RdNr 6 zu § 99 SGB VI).

Bei dem Eintritt des Versicherungsfalles, an den der Rentenbeginn ua geknüpft ist, handelt es sich grundsätzlich um ein vom Willen der Betroffenen unabhängiges Geschehen, das von ihr also weder willkürlich bestimmt noch durch die Rentenantragstellung verschoben werden kann (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd IV, S 666r mwN). Ein Recht der Versicherten auf Verschiebung des Versicherungsfalles ergab sich daher bereits nach dem Recht der RVO nicht von selbst, sondern mußte gesondert vorgesehen werden, wie es in § 1248 Abs 6 RVO geschehen ist. Diese Regelung sollte der Versicherten die Möglichkeit geben, weitere Beiträge für die Erfüllung einer Wartezeit oder zur Verbesserung der Rentenhöhe zu entrichten (vgl Amtliche Begründung in: BT-Drucks IV/2572 S 24 zu Nr 6).

Im SGB VI fehlt eine dem § 1248 Abs 6 RVO entsprechende Regelung. Dies hat seinen Grund darin, daß dort vom Versicherungsfallprinzip der RVO auf das Rentenbeginnsprinzip übergegangen wurde (vgl Stix, Mitt LVA Oberfr 1991, 45, 57 f). Die Systematik des SGB VI ist für alle Rentenarten auf den Rentenbeginn, dessen Regelung vereinheitlicht werden sollte, ausgerichtet worden (vgl Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ≪RRG 1992≫ vom 7. März 1989, BT-Drucks 11/4124, S 175 f zu § 98). Anstelle der Möglichkeit, den Zahlungsbeginn einer Rente durch die Verschiebung des Versicherungsfalls zu beeinflussen, haben die Versicherten im Recht des SGB VI nunmehr Einfluß auf Beginn und Höhe der Rente durch die Wahl des Zeitpunktes der Antragstellung (vgl §§ 75, 77 SGB VI). Dabei hat der Gesetzgeber auch bewußt die Folgen einer späteren Antragstellung geregelt (vgl Niederschrift über die 521. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 7. April 1989, S 29 f - nicht veröffentlicht ). Im Gesetzgebungsverfahren wurde ausdrücklich hinsichtlich der Hinterbliebenenrenten die Möglichkeit einer längeren Rückwirkung der Antragstellung erörtert (vgl Kurzprotokoll der 94. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 22. Juni 1989, S 94, 32 f; Begründung für die einheitliche Regelung der Folgen des Zeitpunktes der Rentenantragstellung in der Beantwortung einer Anfrage des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung durch den damaligen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ≪BMA≫ Seehofer, Ausschuß-Drucks 11. Wahlperiode 1303, S 52 f und 55 f; Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 3. November 1989 in: BT-Drucks 11/5530, S 45 zu § 98).

Durch die Wahl des Antragszeitpunktes sollte der Versicherten vom Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung her nicht nur Einfluß auf den Rentenbeginn, sondern über die §§ 75 und 77 SGB VI auch auf die Rentenhöhe zuteil werden. Es würde der Versicherten keinen zusätzlichen Vorteil bringen, wenn ihr darüber hinaus eine Möglichkeit eingeräumt würde, den Versicherungsfall zu verlegen; denn einen früheren Rentenbeginn könnte sie immer auch durch frühere Rentenantragstellung erreichen. Für eine solche Regelung besteht mithin kein Bedarf. Überdies würde eine derartige Möglichkeit das Rentenbewilligungsverfahren unnötig erschweren.

Die Regelung des § 115 Abs 3 SGB VI, wonach eine Bezieherin von Rente wegen EU oder BU bestimmen kann, daß ihre Rente nicht ab Vollendung des 65. Lebensjahres als Regelaltersrente weiter geleistet wird, kann nicht mit der nach der RVO gegebenen Möglichkeit zur Verschiebung des Versicherungsfalles in Zusammenhang gebracht werden. Dadurch wird lediglich die EU- oder BU-Rentnerin einer Versicherten gleichgestellt, die Regelaltersrente ohne entsprechenden Vorrentenbezug beantragt; ihr wird so eine (ausschließlich auf einen späteren Rentenbeginn gerichtete) Dispositionsmöglichkeit eingeräumt, damit auch bei ihr nach der Vollendung des 65. Lebensjahres zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten für die Regelaltersrente berücksichtigt werden können.

Da mithin im SGB VI keine entsprechende planwidrige Lücke zu erkennen ist, kommt auch die Zubilligung eines Anspruchs auf Verschiebung des Versicherungsfalles im Wege richterlicher Rechtsfortbildung (vgl dazu etwa BSG SozR 2200 § 1251 Nr 65) nicht in Betracht. Daß der Versicherten nach früherem, nicht mehr geltendem Recht eine entsprechende Möglichkeit eingeräumt war, kann für die Auslegung des geltenden Rechts nicht ausschlaggebend sein.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Abs 1 Satz 1 SGB X wegen Versäumung der Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI kann der Klägerin nicht zugebilligt werden. Zwar ist eine Wiedereinsetzung grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts zulässig, wenn die betreffende Regelung dieses ausdrücklich bestimmt oder ihre Auslegung dies ergibt (vgl BSG SozR 3-5070 § 21 Nr 3 mwN). Ob danach eine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Dreimonatsfrist des § 99 Abs 1 SGB VI überhaupt zulässig wäre, kann indes offenbleiben. Die Klägerin war nämlich nicht iS des § 27 Abs 1 SGB X ohne ihr Verschulden gehindert, diese Frist einzuhalten. Mit ihrem Vortrag, sie sei von der Fortgeltung des "Dreimonatsprivilegs" der RVO ausgegangen, bringt sie zugleich zum Ausdruck, ihr seien die Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI und die Folgen des Anspruchsverlusts bei deren Versäumung nicht bekannt gewesen. Dies stellt indes keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese davon tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung im Gesetz selbst ausdrücklich geregelt ist, kann eine Wiedereinsetzung daher grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl BSG SozR 3-5070 § 21 Nr 3 mwN).

Ob die Klägerin aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln ist, als hätte sie den Rentenantrag früher gestellt (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 19), läßt sich auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses der Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (st Rspr, vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 mwN; SozR 3-3200 § 86a Nr 2). Voraussetzung ist, daß die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber der Versicherten oblag, dieser also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muß zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil der Versicherten bewirkt haben. Schließlich muß die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, die Betroffene gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (Schutzzweckzusammenhang).

Aus einer - hier in Betracht kommenden - unterbliebenen oder ungenügenden Aufklärung der Allgemeinheit, zu der ein Versicherungsträger gemäß § 13 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet gewesen wäre, kann allerdings kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch resultieren (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 mwN). Etwas anderes gilt nur bei einer - hier nicht vorliegenden - unrichtigen oder mißverständlichen Information durch den Versicherungsträger (vgl BSGE 67, 90 = BSG SozR 3 1200 § 13 Nr 1; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12).

Eine Verletzung der Beratungs- und Auskunftspflicht nach den §§ 14, 15 SGB I, die sich die Beklagte zurechnen lassen müßte, liegt gleichermaßen nicht vor.

Voraussetzung für das Entstehen einer Beratungspflicht nach § 14 SGB I ist ein Beratungsbegehren oder zumindest ein konkreter Anlaß zur Beratung (vgl BSGE 66, 258, 266 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 und Nr 15). Daran mangelt es hier. Im Zeitpunkt des 1987 durchgeführten Kontenklärungsverfahrens waren die durch das RRG 1992 eingeführten, ab 1. Januar 1992 geltenden gesetzlichen Änderungen noch nicht bekannt, so daß die Beklagte damals auf die Notwendigkeit der Antragstellung innerhalb der Dreimonatsfrist nach Ablauf des Monats, in dem die Antragsvoraussetzungen erfüllt sind, nicht hinweisen konnte. Für einen späteren, nach dem Kontenklärungsverfahren und vor der Rentenantragstellung im April 1993 zwischen der Beklagten und der Klägerin erfolgten Kontakt, aus dem ein Beratungsanlaß resultiert haben könnte, gibt es keine Anhaltspunkte. Im Rahmen der Beratungspflicht nach § 14 SGB I war die Beklagte auch nicht gehalten, anläßlich der Gesetzesänderung ab 1. Januar 1992 in bezug auf alle Versicherten zu prüfen, ob sie davon betroffen sein könnten, und diese ohne konkreten Anlaß zu informieren. Eine solche Verpflichtung ist selbst bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen, wie drohendem Totalverlust eines Anspruchs allenfalls in Ausnahmefällen denkbar (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12; SozR 3-2200 § 86a Nr 2). Da der mögliche Rechtsverlust der Klägerin sich lediglich auf die Rentenzahlung für einen kurzen Zeitraum beschränkt, ist er nicht vergleichbar schwerwiegend. Im übrigen sind Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalles nicht ersichtlich. Wenn die Beklagte danach schon nicht die von der Regelung betroffenen Versicherten ermitteln und auf die Änderung durch die Einführung des SGB VI hinweisen mußte, so folgt aus § 14 SGB I erst recht nicht die Pflicht, diejenigen Versicherten zu ermitteln, die in absehbarer Zeit Anspruch auf Rente haben könnten, um sie auf die (unveränderten) Voraussetzungen der Rentengewährung hinzuweisen.

Für eine Auskunftspflicht iS des § 15 SGB I ist es ebenfalls erforderlich, daß ein entsprechender Informationsbedarf der Versicherten für den zuständigen Versicherungsträger oder eine andere auskunftspflichtige Stelle offen zu Tage tritt (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 2200 § 1324 Nr 3; SozR 3-1200 § 14 Nrn 12, 15). Dies war hier nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht der Fall.

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist indes nicht auf die Verletzung der Pflichten aus §§ 14, 15 SGB I beschränkt, sondern kommt auch bei andersartiger Fehl- oder Nichtinformation der Versicherten in Betracht (vgl Senatsurteil vom 8. November 1995 - 13 RJ 5/95 - DAngVers 1996, 183 mwN). Dies hat das BSG zB bei einer rechtswidrigen Satzung (vgl BSG SozR 5850 § 313 Nrn 6 und 7) oder bei Irreführung durch einen Bescheid in einer anderen Sache (vgl SozR 5850 § 26 Nr 2) angenommen.

Als Pflicht, deren Verletzung grundsätzlich geeignet ist, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen, kommt auch die aus § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI resultierende Hinweispflicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, daß sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Die Rentenversicherungsträger können in gemeinsamen Richtlinien bestimmen, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen (Satz 2 aaO).

Sinn und Zweck des § 115 Abs 6 SGB VI ist es, die nicht ausreichend Informierten vor Nachteilen aus dem Antragsprinzip zu bewahren (vgl Hauck/Haines, SGB VI-Komm, § 115 SGB VI RdNr 12; Koch/Hartmann-Kahl, Die Rentenversicherung, § 115 SGB VI RdNr 22; so auch Gemeinschaftskomm-SGB VI / Meyer, § 115 RdNr 4). Die Vorschrift wurde durch das RRG 1992 zugleich mit § 99 SGB VI eingeführt, in dem die Auswirkung des Antragszeitpunktes auf den Rentenbeginn bestimmt wird. Durch § 99 SGB VI werden gravierendere Folgen an die Antragstellung bzw deren Zeitpunkt geknüpft als nach dem altem Recht der RVO. Als Korrektiv hierfür ist die Regelung des § 115 Abs 6 SGB VI vorgesehen. Da die Adressaten derartiger Hinweise (anders als zB bei § 13 SGB I) bestimmbar sind und die Regelung den Schutz der einzelnen bezweckt, ist davon auszugehen, daß diesen dann auch ein subjektives Recht auf Erteilung eines Hinweises zustehen soll (ebenso Hauck/Haines, SGB VI-Komm, § 115 RdNr 13; Koch/Hartmann-Kahl, Die Rentenversicherung, § 115 SGB VI RdNr 23; aA Gemeinschaftskomm-SGB VI / Meyer, § 115 RdNr 43 f).

Die Beklagte war im vorliegenden Fall verpflichtet, der Klägerin einen Hinweis auf den bei Überschreitung der Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI eintretenden Anspruchsverlust zu erteilen.

Dem steht nicht entgegen, daß Richtlinien, in denen festgelegt wird, unter welchen Voraussetzungen derartige Hinweise erteilt werden sollen, noch nicht vorhanden sind. Der Erlaß solcher Richtlinien ist gemäß § 115 Abs 6 Satz 2 SGB VI in das Ermessen der Versicherungsträger gestellt. Daß dies nicht unabdingbare Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Regelung sein kann, ergibt sich hier bereits daraus, daß den Versicherungsträgern die Schaffung derartiger Richtlinien nicht zwingend auferlegt worden ist und die Vorschrift daher bei deren Untätigbleiben ihr Ziel nicht erreichen würde. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, die Konstituierung der Hinweispflicht der Rentenversicherungsträger selbst aus der Hand zu geben und vom Tätigwerden der Selbstverwaltung abhängig zu machen (vgl Hauck/Haines, SGB VI-Komm, § 115 RdNr 13; ähnlich Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 115 SGB VI RdNr 5). Dies gilt in ganz besonderem Maße für die hier strittige Hinweispflicht bei Regelaltersrenten, die im Gesetzgebungsverfahren als Beispiel für das Vorliegen eines "geeigneten Falles" genannt wurde (s unten).

Die Verpflichtung der Beklagten zur Hinweiserteilung scheidet auch nicht bereits deshalb aus, weil die Klägerin sich nicht rechtzeitig rat- oder auskunftsuchend an die Beklagte gewandt hätte. Hinweise sind ihrem Wortsinn nach kurze Mitteilungen, die auf etwas aufmerksam machen oder zu etwas anregen sollen (vgl Duden - Bedeutungswörterbuch und Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache sowie Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, jeweils unter dem Stichwort "Hinweis"). Demgegenüber liegt eine Auskunft (vgl zB in § 15 SGB I) vor, wenn eine erklärende oder aufklärende Mitteilung auf eine Frage hin erfolgt (Duden, aaO, sowie Brockhaus/Wahrig, aaO, zum Stichwort "Auskunft"). Daraus ergibt sich, daß für das Entstehen einer Verpflichtung des Versicherungsträgers zur Erteilung eines Hinweises eine Anfrage der Versicherten nicht erforderlich ist (im Ergebnis ebenso Gemeinschaftskomm-SGB VI / Meyer § 115 RdNr 41; einschränkend Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Komm, § 115 SGB VI RdNr 8).

Die Vollendung des 65. Lebensjahres bei einer Versicherten, die - wie die Klägerin - die allgemeine Wartezeit erfüllt, ist grundsätzlich ein geeigneter Fall iS des § 115 Abs 6 SGB VI. Der Begriff "in geeigneten Fällen" ist ein unbestimmter - gerichtlich in vollem Umfang überprüfbarer - Rechtsbegriff (ebenso Hauck/Haines, SGB VI-Komm, § 115 RdNr 13; aA Gemeinschaftskomm-SGB VI / Meyer, § 115 RdNr 43 ≪"Blankettformulierung"≫). Anhaltspunkte für die Auslegung dieses Begriffs sind den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. In den Beratungen zum RRG 1992 wurde im Hinblick auf die Möglichkeiten der automatisierten Datenverarbeitung erwogen, anzuordnen, Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung (abweichend vom Gesetzentwurf, vgl BT-Drucks 11/4124, S 178 zu § 116) von Amts wegen zu erbringen. Angesichts der vermuteten Gefahr größerer Nachzahlungen wurde dies nicht umgesetzt (vgl Kurzprotokoll der 94. Sitzung des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 22. Juni 1989, S 33, nicht veröffentlicht; vgl auch Antwort des BMA auf die diesbezügliche Anfrage des Ausschusses ≪Ausschuß-Drucks 11. Wahlperiode 1303, S 47 bis 50≫). Der BT-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung schlug dann aber vor, es solle ein entsprechender Hinweis in den Fällen erfolgen, in denen es nahe liege, daß Versicherte Leistungen in Anspruch nehmen wollten, wie zB bei der Regelaltersrente und bei der Hinterbliebenenrente; dies sei ein geeigneter Bereich zum Ausbau in eine konkrete Informationspflicht (vgl Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 11/5530, S 46 zu § 116 Abs 6).

Der Gesetzgeber ist mithin von typischen Sachverhalten ausgegangen, bei denen eine Hinweispflicht bestehen soll. Sowohl bei der Regelaltersrente als auch bei der Hinterbliebenenrente verfügt der Versicherungsträger in der Regel über alle Daten, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Rentenanspruchsvoraussetzungen festzustellen. Bei der Regelaltersrente wird im Regelfall bereits im Rahmen des für das 55. Lebensjahr vorgesehenen Kontenklärungsverfahrens festgestellt, ob die Wartezeit erfüllt ist; es wird selten vorkommen, daß eine Versicherte, die zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit noch nicht erfüllt hat, dies später noch erreicht. Gleichzeitig kann aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, daß eine Versicherte, die bisher keine Rente bezieht, jedenfalls die Regelaltersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen will. Bei der Hinterbliebenenrente stellt sich die Situation ähnlich dar. Die Bezeichnung der aufgeführten Fälle als Beispiele zeigt, daß die Aufzählung nicht abschließend sein soll. Aus den genannten Beispielen lassen sich indes Kriterien für die Annahme der Geeignetheit entnehmen, die der Gesetzgeber für maßgeblich gehalten hat (aA Gemeinschaftskomm-SGB VI / Meyer, § 115 RdNr 44). Dies sind zum einen Fälle, in denen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen vom Versicherungsträger generell aufgrund des Versichertenkontos ohne Befragung der Versicherten festgestellt werden kann. Zum anderen handelt es sich dabei um Leistungen, die von Versicherten nicht nur in bestimmten Situationen, sondern im Regelfall von allen Versicherten in Anspruch genommen werden. Welche Leistungen außer der Regelaltersrente und der Hinterbliebenenrente noch diese Kriterien erfüllen, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden (vgl Beispiele bei Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Komm, § 115 SGB VI RdNr 8).

Als Inhalt des Hinweises nennt § 115 Abs 6 SGB VI die Notwendigkeit einer Antragstellung für den Erhalt einer Leistung (vgl Kasseler Komm / Niesel, § 115 SGB VI RdNr 23). Sofern der Antrag bestimmten Erfordernissen genügen muß, die nicht völlig selbstverständlich sind, müssen auch diese angegeben werden, da ein Antrag sonst möglicherweise sein Ziel nicht erreichen würde. Eine besondere Form ist für den Antrag auf Regelaltersrente nicht vorgesehen, von Bedeutung ist jedoch die Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI. Der Hinweis des Versicherungsträgers muß deshalb auch eine Mitteilung dieser Frist umfassen, da bei Unkenntnis und Nichtbeachtung der endgültige Verlust des Anspruchs auf Rente für den zurückliegenden Zeitraum droht.

Entgegen der Auffassung des LSG ist den Rentenversicherungsträgern aus verfassungsrechtlichen Gründen keine den Umfang der Hinweispflicht einschränkende Zurückhaltung auferlegt. Eine derartige Beschränkung ist weder aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht noch aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht zu entnehmen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art 2 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫) sichert der einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem sie ihre Individualität entwickeln und wahren kann (vgl BVerfGE 79, 256, 268). Durch einen bloßen Hinweis, mit dessen Nichtbeachtung - außer dem möglichen Rechtsverlust - keine Sanktionen irgendwelcher Art verbunden sind, ist eine Einengung der Handlungsmöglichkeiten der Adressatin nicht - auch nicht lediglich faktisch - vorstellbar (vgl zur faktischen Einwirkung Jarass/Pieroth, 3. Aufl, Vorbemerkung vor Art 1 GG RdNr 21). Durch das ebenfalls aus Art 2 Abs 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird die Befugnis der einzelnen geschützt, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl BVerfGE 65, 1, 41 f; 80, 367, 373). Für die Erteilung des Hinweises werden indes weder zusätzliche Daten gesammelt noch vorhandene Daten über das Maß hinaus miteinander verknüpft, welches ohnehin im Rahmen der Aufgabenerfüllung des Rentenversicherungsträgers erforderlich ist. Eine Offenbarung solcher Daten erfolgt hier außerdem allein gegenüber der Betroffenen selbst.

Die Beklagte hat die Klägerin anläßlich der Vollendung ihres 65. Lebensjahres nicht in diesem Sinne auf die Notwendigkeit der Antragstellung und den Teilanspruchsverlust bei Nichteinhaltung der Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI hingewiesen und damit die ihr insoweit obliegende Pflicht verletzt. Die Verpflichtung war nicht wegen Vorliegens eines atypischen Falles (vgl dazu Hauck/Haines, SGB VI-Komm, § 115 RdNr 13 und Meyer, aaO, § 115 RdNr 42) ausgeschlossen. Zwar hatte die Beklagte die Klägerin im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens bereits darauf hingewiesen, daß sie die Wartezeit für die Gewährung einer Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres erfülle und bei Eintritt des Leistungsfalles einen Antrag stellen müsse. Zum einen fehlte hier indes der (nach damaligem Recht noch nicht mögliche) Hinweis auf die Zeitgebundenheit der Antragstellung, der wegen des sonst drohenden endgültigen Anspruchsverlustes für die Zeit davor von besonderer Bedeutung ist. Zum andern wäre - selbst wenn ein Hinweis möglich gewesen und erfolgt wäre - der Zeitraum von über sechs Jahren zwischen Erteilung des Hinweises und dem Eintritt des Leistungsfalles zu lang, um davon ausgehen zu können, das durch den Hinweis vermittelte Wissen sei noch aktuell.

Falls der sozialrechtlicher Nachteil, welcher der Klägerin in Gestalt des Verlustes des Rentenanspruchs für die hier noch streitigen Monate Februar und März 1990 entstanden ist, auf dieser Pflichtverletzung beruht, kann die Klägerin daher im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen, so gestellt zu werden, als hätte sie die Rente spätestens am 31. März 1993 beantragt und demgemäß für die Monate Februar und März 1990 Regelaltersrente zu erhalten. Ob das Unterbleiben eines Hinweises der Beklagten auf einen späteren Rentenbeginn bei Rentenantragstellung nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 99 Abs 1 SGB VI für den Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin kausal war, kann indes wegen insoweit unzureichender Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Zwar wird in dem Berufungsurteil hierzu ausgeführt, eine derartige Kausalität sei nicht festzustellen, weil die Klägerin nie behauptet habe, von der Notwendigkeit der Antragstellung und der Einhaltung der Dreimonatsfrist nichts gewußt zu haben; sie habe lediglich vorgetragen, sich über den Erhalt des "Dreimonatsprivilegs" durch Verschieben des Versicherungsfalls im neuen Recht geirrt zu haben, ohne dabei geltend zu machen, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie darauf hinzuweisen, daß eine dem § 1248 Abs 6 RVO entsprechende Regelung nicht mehr bestehe. Insoweit verkennt das LSG jedoch, daß - sofern man überhaupt dem Vortrag, nicht beraten worden zu sein, einen Anhalt für die Kausalität entnehmen könnte - jedenfalls in dem Vortrag der Klägerin, keine Kenntnis von der hier maßgeblichen Rechtsänderung gehabt zu haben, zugleich die Behauptung enthalten ist, nicht auf die zur Erhaltung des Rentenanspruchs für die Zeit vor der Antragstellung erforderlichen Rechtshandlungen, insbesondere die Einhaltung der Dreimonatsfrist des § 99 Abs 1 SGB VI, hingewiesen worden zu sein. Ob und inwieweit die Klägerin über die Aufklärungspflicht der Beklagten informiert war, ist für die Kausalität im übrigen unbeachtlich.

Das LSG wird daher nach Zurückverweisung noch aufzuklären haben, ob der unterbliebene Hinweis zur verspäteten Antragstellung durch die Klägerin und damit zum späteren Rentenbeginn geführt hat. Welche Bedeutung hierbei dem Einholen von Kopien verschiedener Urkunden für das Rentenverfahren bereits im Herbst 1992 beizumessen ist, ist eine Frage der Beweiswürdigung.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518841

BSGE, 168

MDR 1997, 662

SozSi 1997, 239

SozSi 1997, 352

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