Leitsatz (amtlich)

1. Arbeitslos im Sinne der AVAVG 1927 §§ 87, 87 a ist, wer nicht - oder nur im Rahmen der AVAVG 1927 §§ 75a Abs 2, 112 - tätig ist und in dem üblichen Maße dem Arbeitsmarkt subjektiv und objektiv zur Verfügung steht.

Nicht in dem üblichen Maße, sondern nur für mehr als geringfügige Beschäftigung (AVAVG § 75a Abs 2) braucht nach AVAVG 1927 § 87a Abs 2 zur Verfügung zu stehen, wer durch persönliche oder vertragliche Bindungen behindert ist.

Die Verfügbarkeit darf sich nicht auf den Beruf des Arbeitslosen beschränken, braucht aber nicht jedwede Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu umfassen. Maßgebend muß eine verständige Würdigung des Einzelfalles sein.

Die Verfügbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Arbeitsloser körperliche, geistige, seelische oder charakterliche Eigenschaften aufweist, die zwar seine Arbeitsfähigkeit nicht berühren, derentwegen er aber von Arbeitgebern oder Mitarbeitern abgelehnt wird.

Die bloße Äußerung von Wünschen hinsichtlich der Vermittlung in Arbeit berührt die Verfügbarkeit noch nicht.

Die Verfügbarkeit ist nicht davon abhängig, ob Arbeitsplätze frei sind.

Bei einer Frau begründet die Tatsache, daß sie verheiratet ist, für sich allein nicht die Vermutung, daß ihre Verfügbarkeit zu verneinen ist.

2. Hat jemand zwei unselbständige Beschäftigungen ausgeübt (Doppelbeschäftigter) und verliert er die eine, so ist Arbeitslosigkeit anzunehmen, wenn er trotz der anderen Beschäftigung dem Arbeitsmarkt zeitlich für mehr als nur geringfügige Beschäftigung (AVAVG § 75a Abs 2) zur Verfügung steht.

3. Selbständiger Gewerbetreibender im Sinne des AVAVG 1927 § 87a Abs 1 S 1 und demnach nicht als arbeitslos anzusehen ist, wer unter seinem Namen und auf seine Rechnung entweder selbst oder durch andere ein Gewerbe betreibt, das nach allgemeiner Anschauung Lebensgrundlage zu sein pflegt. Im Zweifel spricht die Vermutung dafür, daß die Lebensgrundlage gegeben ist. Auf den tatsächlichen Ertrag des Gewerbes kommt es nicht an. Eine gewisse Anlaufzeit, die unter verständiger Würdigung der Einzelumstände zu bemessen ist, kann zu berücksichtigen sein. Die Befolgung oder Nichtbefolgung von Ordnungsvorschriften (Anmeldung usw) kann als Hinweis dienen.

Ein solcher Gewerbetreibender ist selbst dann nicht als arbeitslos anzusehen, wenn er außerdem als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegt (Doppelberufler) und dem Arbeitsmarkt voll zur Verfügung steht.

Soweit ein Doppelberufler offensichtlich nicht ein volles Gewerbe selbst oder durch andere betreibt, ist für die Feststellung seiner Arbeitslosigkeit entscheidend, ob er im Sinne des AVAVG 1927 § 87a Abs 2 durch den Betrieb so weit gebunden ist, daß er keine anderen als geringfügige Beschäftigungen (AVAVG 1927 § 75a Abs 2) auszuüben vermag.

4. Entsprechendes wie für selbständige Gewerbetreibende gilt auch für andere selbständige Tätigkeiten (zB Landwirte, Versicherungsagenten und andere gleichartig tätige Angehörige freier Berufe).

5. Die Zulassung der Revision kann jedenfalls nicht in der Rechtsmittelbelehrung erfolgen.

 

Normenkette

AVAVG § 87; AVAVG 1927 § 87; AVAVG § 87a Abs. 1 S. 1; AVAVG 1927 § 87a Abs. 1 S. 1; AVAVG § 87a Abs. 2; AVAVG 1927 § 87a Abs. 2; AVAVG § 75a Abs. 2; AVAVG 1927 § 75a Abs. 2; AVAVG § 112; AVAVG 1927 § 112; SGG § 66 Fassung: 1953-09-03, § 136 Abs. 1 Nr. 7 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt vom 10. November 1954 sowie die voraufgegangenen Entscheidungen, nämlich die Verfügung des Arbeitsamts Frankfurt/Main vom 9. März 1954, der Widerspruchsbescheid vom 23. April 1954 und das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 23. August 1954, aufgehoben.

Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger Arbeitslosenunterstützung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten für die Berufstätigkeit seines Rechtsanwalts in der Revisionsinstanz zu erstatten. Diese Kosten werden auf DM 80.- festgesetzt.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I. Der im Jahre 1914 geborene Kläger ist von Beruf Motorenschlosser. Er war zuletzt vom 24. April 1951 bis zum 15. Januar 1954 bei der A-U in F beschäftigt und laut Arbeitsbescheinigung wegen Arbeitsmangels entlassen worden. Am 20. Januar 1954 meldete er sich beim Arbeitsamt Frankfurt/M. arbeitslos und beantragte am 4. März 1954 Arbeitslosenunterstützung (Alu). In dem Antragsvordruck gab er an, daß er Teilhaber eines am 20. März 1951 angemeldeten Gewerbebetriebes - eines Autoverleihunternehmens - sei und einen Gewerbeschein habe.

Mit Bescheid vom 9. März 1954 lehnte das Arbeitsamt den Antrag ab, da der Kläger nicht arbeitslos im Sinne des § 87 a des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) sei.

Sein Widerspruch wurde mit Bescheid vom 23. April 1954 abgewiesen.

Nunmehr erhob er Klage beim Sozialgericht Frankfurt/M.. In der mündlichen Verhandlung erklärte er zur Niederschrift: "Der Betrieb wird in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführt. 7 PKW sind vorhanden gegen Leihgebühr. Die ganze Finanzierung kam von meinem Teilhaber. Außer meiner üblichen Arbeitnehmertätigkeit habe ich mich in dem Betrieb in der Weise betätigt, daß ich die darin vorkommenden Dispositionen mit meinem Teilhaber und auch mit meiner Ehefrau teilte."

Durch Urteil vom 23. August 1954 wurde die Klage abgewiesen, da der Kläger als Mitunternehmer in einem gewerblichen Betrieb Gewerbetreibender im Sinne des § 87 a und deshalb nicht arbeitslos sei. Auf Umfang und Ertrag des Betriebes komme es nicht an. Die Erfüllung der Anwartschaft sei für den Anspruch auf die Unterstützung allein nicht ausreichend.

Die Berufung des Klägers wurde durch Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. November 1954 zurückgewiesen. Revision wurde nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen.

II. Der Kläger legte gegen das ihm am 7. Januar 1955 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 20. Januar 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 24. Januar - Revision ein und beantragte, das angefochtene Urteil aufzuheben. Er rügte darin zugleich Verletzung der §§ 87, 87 a AVAVG.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 28. März 1955, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Im einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

III. Die Revision ist unter Hinweis auf § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen worden, allerdings hinter den Entscheidungsgründen und in einem Absatz, in dem unmittelbar anschließend die Rechtsmittelbelehrung beginnt. In der letzteren werden aber, wie es das Wort ausdrückt, die Beteiligten darüber unterrichtet, was bei der Einlegung des Rechtsmittels zu beachten ist (§§ 66, 136 Abs. 1 Nr. 7 SGG). Die Zulassung kann deshalb, weil sie einen konstitutiven Akt darstellt, nach Auffassung des Senats jedenfalls in der Rechtsmittelbelehrung nicht gültig erfolgen. Doch ist im vorliegenden Falle der Zulassungsausspruch von der Rechtsmittelbelehrung getrennt, wenn auch nicht, was sich im Interesse der Klarheit empfohlen hätte, durch einen besonderen Absatz, wohl aber durch die eindeutige Formulierung. Unter diesen Umständen hatte der Senat keine Bedenken, die Revision als statthaft anzusehen.

Die Revision ist auch im übrigen zulässig. Sie mußte Erfolg haben.

Das Landessozialgericht stützt die Ablehnung der Alu auf § 87 a AVAVG. Es sieht den Kläger als selbständigen Gewerbetreibenden und deshalb nicht als arbeitslos an. Diese Schlußfolgerung ist jedoch unzutreffend.

Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil 7 RAr 59/55 vom 14. Dezember 1955 festgestellt hat, ist die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit im § 87 AVAVG nur programmatisch festgelegt; sie erhält ihren Inhalt erst aus dem § 87 a. Auch dort ist jedoch, wie in dem eben erwähnten Urteil dargelegt ist, der Begriff nicht umfassend erläutert. Vielmehr sind in den drei selbständigen Absätzen des Paragraphen nur Ausschnitte geregelt. Die Gesetzgeber nach 1945 haben also ebenso, wie es das AVAVG in seiner ersten Fassung vom 16. Juli 1927 (RGBl. I S. 187) getan hatte, darauf verzichtet, dem Begriff "arbeitslos" eine gesetzliche Definition zu geben. Damit besteht eine Lücke im Gesetz, die im Wege der Auslegung oder der Ausfüllung durch Rechtsfortbildung zu schließen Aufgabe der Rechtsprechung ist.

IV. In den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des AVAVG hatte das ehemalige Reichsversicherungsamt ... durch seine Rechtsprechung den Begriff der Arbeitslosigkeit zu klären versucht, bis ihm dann - und zwar in Anlehnung an den § 55 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes über Arbeitslosenversicherung (Reichstagsdrucksachen Nr. 2885, 3507 - III. Wahlperiode 1924/27) - die Novelle vom 12. Oktober 1929 (RGBl. I S. 162) in dem neuen § 89 a eine gesetzliche Erläuterung gab. Danach sollte als arbeitslos nur angesehen werden, "wer berufsmäßig überwiegend als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegt, aber vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und auch nicht den erforderlichen Lebensunterhalt durch selbständige Arbeit, insbesondere als Landwirt oder Gewerbetreibender, erwirbt oder durch Fortführung eines vorhandenen Betriebs erwerben kann oder im Betriebe des Ehegatten, der Eltern oder Voreltern oder von Abkömmlingen den gemeinsamen Lebensunterhalt miterwirbt oder miterwerben kann, falls dies den Beteiligten nach Lage der Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann".

Als bemerkenswerte und im allgemeinen nicht angefochtene Neuerung wurde damit ausdrücklich die Arbeitnehmereigenschaft in den Begriff "arbeitslos" aufgenommen. Das Gesetz gab dadurch zu erkennen, daß andere Personenkreise grundsätzlich ausgeschlossen sein sollten. Gegen die weiteren Forderungen des § 89 a wurden jedoch erhebliche Bedenken geltend gemacht, weil angenommen wurde, daß dadurch eine verschleierte Bedürftigkeitsprüfung in das Versicherungssystem hineingebracht werden sollte, die diesem widersprach. Daß der Gesetzgeber dies nicht beabsichtigte, sondern nur den Mißbrauch der Unterstützungseinrichtung durch Selbständige, Bauernsöhne usw. verhindern wollte, ist dabei weitgehend verkannt worden (vgl. dazu Schmeißer, AVAVG, Anm. 1 zu § 89 a). In der Praxis allerdings ist die Vorschrift in größerem Umfange in dieser nicht gewollten Weise ausgelegt worden.

Diese Auffassung von einer vermeintlichen Bedürftigkeitsprüfung und das Bestreben, sich zunächst möglichst wenig festzulegen, waren offenbar die Veranlassung für die Gesetzgeber nach 1945, nicht wieder eine positive Definition des Begriffs "arbeitslos" zu geben, sondern nur negativ festzustellen, welche Personengruppen jedenfalls von der Gewährung der Alu ausgeschlossen sein sollten.

V. Da es mithin an einer gesetzlichen Begriffsbestimmung fehlt, ist zu klären, welche Merkmale der Begriff "arbeitslos" nach geltendem Recht enthält. Nicht ausreichend ist, daß jemand, wie es das Wort eigentlich sagt, "ohne Arbeit" ist; dies kann auch bei Selbständigen, Rentnern usw. der Fall sein. Der Beschäftigungslose muß vielmehr außerdem bereit sein, eine neue Beschäftigung im Rahmen des § 68 AVAVG zu übernehmen. Denn der Zustand der Beschäftigungslosigkeit soll grundsätzlich ein vorübergehender sein, und nach § 131 AVAVG soll die Arbeitslosigkeit in erster Linie durch Vermittlung von Arbeit verhütet und beendigt werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Arbeitslose subjektiv sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt und ihm objektiv zur Verfügung steht. Subjektive Verfügbarkeit liegt vor, wenn der Arbeitslose willens ist, sich in eine neue Beschäftigung vermitteln zu lassen, objektive dann, wenn die Vermittlung nicht durch sachliche, vom Willen des Arbeitslosen unabhängige Umstände behindert wird. Beide Voraussetzungen müssen gleichzeitig gegeben sein; denn der Wille allein reicht nicht aus, wenn der Arbeitslose objektiv dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, wie das z.B. bei einer Hausfrau der Fall ist, die durch die Wartung von Kleinkindern an der Aufnahme von Arbeit verhindert ist, und die objektive Verfügbarkeit genügt nicht, wenn der Arbeitslose sich nicht vermitteln lassen will.

Objektive Nichtverfügbarkeit liegt auch vor, wenn der Beschäftigung oder Vermittlung gesetzliche Verbote entgegenstehen, wie z.B. im Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 24. Januar 1952 (BGBl. I S. 69).

In den jetzigen Vorschriften ist das Erfordernis der Verfügbarkeit nicht ausdrücklich enthalten. Es ist aber seit Jahrzehnten in Rechtsprechung, Schrifttum und Praxis anerkannt.

Auch das Reichsversicherungsamt hatte sich frühzeitig dafür ausgesprochen, weil sonst eine sachgemäße Arbeitsvermittlung nicht durchgeführt werden kann und dadurch die Gefahr einer mißbräuchlichen Unterstützung solcher Personen eintritt, die zwar ohne Beschäftigung sind, aber mangels Verfügbarkeit nicht vermittelt werden können.

Das Reichsversicherungsamt grenzte die Verfügbarkeit nach rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten ab. Rechtliche Bindungen nahm es an bei Werksbeurlaubten und bei entlassenen Arbeitnehmern, die verpflichtet sind, die Arbeit nach verhältnismäßig nicht zu langer Zeit bei demselben Arbeitgeber wieder aufzunehmen (Grunds. Entscheidungen Nr. 3918 und 3920 vom 7. und 21.11.1930 - AN 1930 S. 508, 510), sowie bei Maurerlehrlingen während der winterlichen Unterbrechung des Lehrverhältnisses (Nr. 3503 vom 19.6.1929 - AN 1929 S. 323), tatsächliche Bindungen bei immatrikulierten Studenten (Nr. 3202a und b vom 30.5.1928 - AN 1928 S. 239), während der Berufsausbildung allgemein (Nr. 3812 vom 9.5.1930 - AN 1930 S. 346), bei Inhaftierten (Nr. 4001 vom 23.1.1931 - AN 1931 S. 86) und bei Frauen, die nach Verlust einer unselbständigen Arbeit durch nichtversicherungspflichtige Tätigkeit im Haushalt so in Anspruch genommen werden, daß sie dadurch "dem Arbeitsmarkt entzogen" sind (Nr. 3502 vom 28.2.1929 - AN 1929 S. 322).

In seiner Grunds. Entscheidung Nr. 5258 vom 13.10.1938 (AN 1939 S. 57) vertrat dabei das Reichsversicherungsamt die Auffassung, daß es sich bei der Nichtverfügbarkeit um Gründe handeln müsse, die "außerhalb der Person des Versicherten" lägen.

Der erkennende Senat vermochte sich weder dieser Ansicht noch der Abgrenzung der Verfügbarkeit nach rechtlichen oder tatsächlichen Gründen anzuschließen. Für die Verfügbarkeit ist nicht entscheidend, ob sie durch Gründe inner- oder außerhalb der Person ausgeschlossen wird; maßgebend kann nur sein, ob sie vorhanden ist oder nicht. Dies kann aber nur nach objektiven und subjektiven Merkmalen festgestellt werden, wie oben näher dargelegt ist. Die subjektive Nichtverfügbarkeit wird dabei nicht von der Arbeitsunwilligkeit berührt; denn letztere bezieht sich - abgesehen von dem Sondertatbestand des § 93 c AVAVG - nur auf die Ablehnung einer angebotenen Einzelarbeitsstelle und kann die Verhängung einer Sperrfrist zur Folge haben. Subjektive Nichtverfügbarkeit dagegen bedeutet, daß der Betreffende sich dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht zur Verfügung stellen will und deshalb nicht als arbeitslos anzusehen ist.

Ob Verfügbarkeit vorliegt, ist nach den Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen. Voraussetzung dafür ist jedenfalls nicht, daß Arbeitnehmereigenschaft in dem Sinne vorliegt, wie sie seinerzeit § 89 a gefordert hatte. Nach dessen Wortlaut sollte arbeitslos nur sein, "wer berufsmäßig überwiegend als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegt" - eine ähnliche Fassung sieht der Entwurf der Großen Novelle zum AVAVG in § 87 a vor -. Damit wurde also Arbeitslosigkeit grundsätzlich nur bei Personen anerkannt, welche die Arbeitnehmertätigkeit als Lebensgrundlage erwählt hatten. Eine solche Begrenzung läßt sich jedoch - mindestens nach der Wandlung der Lebensbedingungen seit dem Zweiten Weltkrieg - nicht mehr rechtfertigen. Es wäre nicht verständlich, weshalb z.B. eine Ehefrau, die nach früherer Auffassung bei dem Einkommen ihres Ehemannes nicht zum Kreise der Arbeitnehmer rechnete, jetzt aber aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen gewillt ist hinzuzuverdienen, nicht als arbeitslos gelten soll, wenn bei ihr die Voraussetzungen der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt objektiv und subjektiv gegeben sind. Unter solchen Umständen ist es auch möglich, ihr, wenn sie die übrigen Voraussetzungen, insbesondere die Anwartschaft, erfüllt, Arbeitslosenunterstützung zu gewähren. Das gleiche würde z.B. für einen früheren Arbeitnehmer gelten, der einen selbständigen Gewerbebetrieb eröffnet, diesen aber wieder aufgibt und sich ernstlich dem Arbeitsmarkt erneut zur Verfügung stellt.

Von diesem Gesichtspunkt, daß Arbeitslosigkeit nicht die Arbeitnehmereigenschaft voraussetzt, ist im übrigen z.B. auch die Verordnung der Militärregierung (MRVO) Nr. 117 für die britische Zone ausgegangen, die im § 3 ihres Anhangs Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) demjenigen zubilligt, der die Anwartschaft auf Alu nicht erfüllt hat. Aber sie fordert - wenigstens programmatisch (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats 7 RAr 27/55 vom 23.11.1955) - ebenfalls, daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Entwurf des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AVAVG (2. Deutscher Bundestag Drucksache Nr. 1274), durch das bundeseinheitlich die Arbeitslosenhilfe geregelt werden soll [1] , geht noch weiter und sieht, sogar in Form einer besonderen Unterstützungsvoraussetzung, ausdrücklich vor, daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen muß.

Der Entwurf der Großen Novelle zum AVAVG will die "Arbeitnehmereigenschaft" wieder einführen, dagegen den Begriff "Verfügbarkeit" nicht übernehmen, sondern ihn unter Einbeziehung der "Arbeitsfähigkeit" (§ 88 AVAVG) zur "Vermittlungsfähigkeit" erweitern.

Bei der jetzigen Fassung des AVAVG muß das Gericht die Verfügbarkeit als ein Teilmerkmal des Begriffs "arbeitslos" ansehen. Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich, daß die Verfügbarkeit nicht, wie Dörfler in "Soziale Sicherheit" 1954 S. 107 meint, ein Sammelbegriff aus den Voraussetzungen der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit, Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit ist.

VI. Als verfügbar kann aber nur angesehen werden, wer für den Arbeitsmarkt in dem üblichen Maße bereit steht. Denn grundsätzlich muß, wer Unterstützung begehrt, allgemein und unbeschränkt für die Arbeitsvermittlung verfügbar sein, da auf der anderen Seite auch in aller Regel Vollarbeitsstellen angeboten werden, die besetzt werden sollen. Wer nur für bestimmte Zeiten oder für bestimmte Stunden am Tag bereit ist, macht die Arbeitsvermittlung weitgehend unmöglich und muß deshalb mit Versagung der Unterstützung rechnen.

Aus diesem Grunde gilt auch nach Abs. 2 des § 87 a als nicht arbeitslos, wer durch persönliche oder vertragliche Bindungen keine anderen als geringfügige Beschäftigungen im Sinne des § 75 a Abs. 2 auszuüben vermag. Aus dieser Vorschrift darf jedoch nicht im Wege des Umkehrschlusses entnommen werden, daß allgemein jeder Nichtbeschäftigte, der mehr als 24 Arbeitsstunden arbeitsbereit ist, als arbeitslos zu gelten hat. Dies wäre eine Auslegung des Abs. 2, die seinem Sinne nicht gerecht würde; denn Abs. 2 ist lediglich als Vergünstigung für diejenigen Personen zu deuten, die trotz ihrer persönlichen oder vertraglichen Bindungen sich noch zu mehr als nur geringfügiger Beschäftigung zur Verfügung stellen.

VII. Einer weiteren Prüfung bedurfte die Frage, in welchem sachlichen Umfange ein Arbeitsloser dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muß. Das Reichsversicherungsamt hat in seiner oben erwähnten Grunds. Entscheidung Nr. 3812 die Auffassung vertreten, daß "unter Arbeitsmarkt der Arbeitsmarkt der unselbständigen Arbeitnehmer schlechthin ohne Beschränkung auf den bisherigen Beruf zu verstehen" sei. Auch der erkennende Senat schließt aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen, daß der Arbeitsuchende, der Unterstützung beziehen will, - das ist schon unter VI ausgeführt - grundsätzlich in den Arbeitsstellen, wie sie normalerweise angeboten werden, ansetzbar sein muß. Doch weicht er insofern von der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts ab, als er die Bereitschaft nicht zu jedweder Beschäftigung verlangt. Der Arbeitsuchende darf sich also zwar nicht auf eine Vermittlung in seinem erlernten oder überwiegend ausgeübten Beruf versteifen, aber seine "Verfügbarkeit" wird im allgemeinen noch nicht gemindert, wenn er z.B. nicht zu Beschäftigungen bereit ist, die ihm bei sachgemäßer Durchführung der Arbeitsvermittlung nicht angeboten werden dürften. Erklärt ein Feinmechaniker bei der Arbeitslosmeldung, für Erdarbeiten könne er sich wegen der berufsschädigenden Folgen für seine Finger nicht zur Verfügung stellen, so erfüllt er trotzdem in der Regel noch die Teilvoraussetzung der Verfügbarkeit, und diese insofern negative Haltung beeinträchtigt seine "Arbeitslosigkeit" im Sinne des § 87 a AVAVG noch nicht. Maßgebend für die Abgrenzung muß eine vernünftige Würdigung des Einzelfalles sein. Unberührt bleibt dabei die Frage, ob der erwähnte Feinmechaniker z.B. eine konkrete, ihm angebotene Erdarbeiterstelle annehmen muß, wenn er sich nicht der Gefahr einer Unterstützungssperre aussetzen will (§ 90 AVAVG).

Auch die bloße Äußerung von Wünschen hinsichtlich der Vermittlung in Arbeitsstellen berührt die Verfügbarkeit noch nicht, ist also nicht dahin zu werten, daß der Antragsteller sich dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung hält. Daß die Bereitschaft vorhanden ist, kann bis zum Beweis des Gegenteils meist angenommen werden.

Bei einer Frau begründet die Tatsache, daß sie verheiratet ist, für sich allein noch nicht die Vermutung, daß ihre Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt zu verneinen ist (vgl. dazu die Ausführungen in Nr. V).

Ebensowenig dürfen in das Begriffsmerkmal der Verfügbarkeit andere im Gesetz nicht vorgesehene Umstände hineingetragen werden. Die Verfügbarkeit wird z.B. nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitsuchende körperliche, geistige, seelische oder charakterliche Eigenschaften aufweist, die zwar seine Arbeitsfähigkeit nicht berühren, derentwegen er aber von Arbeitgebern oder Mitarbeitern abgelehnt wird.

Keinesfalls ist die Verfügbarkeit davon abhängig, ob Arbeitsplätze frei sind; denn sie betrifft die sachliche und persönliche Bereitschaft des Arbeitslosen und kann deshalb nicht je nach Lage des Arbeitsmarktes wechseln.

VIII. Schwierigkeiten kann die Frage, ob Arbeitslosigkeit vorliegt, bei Doppelbeschäftigten und besonders bei Doppelberuflern bereiten. Hierfür gelten auf Grund der vorhergehenden Ausführungen die folgenden Grundsätze.

Hat jemand zwei unselbständige Beschäftigungen ausgeübt (Doppelbeschäftigter) und verliert er die eine, so ist Arbeitslosigkeit anzunehmen, wenn er trotz der anderen Beschäftigung dem Arbeitsmarkt zeitlich für mehr als nur geringfügige Beschäftigung (§ 75 a Abs. 2) zur Verfügung steht.

Unterschiedlich ist dagegen die Beurteilung in den Fällen, wo der Antragsteller zugleich Arbeitnehmer und selbständiger Gewerbetreibender (Doppelberufler) ist; hierauf wird unten näher eingegangen werden.

IX. Der erkennende Senat hatte bereits in dem oben erwähnten Urteil vom 14. Dezember 1955 festgestellt, daß der Begriff "selbständiger Gewerbetreibender" im § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG dem zur Gewerbeordnung durch Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten entspricht. Danach gehört zum Begriff "Gewerbebetrieb", daß eine Tätigkeit auf Erwerb gerichtet, auf eine gewisse Dauer berechnet ist und während dieser Zeit fortgesetzt entfaltet wird oder wenigstens entfaltet werden soll (vgl. Landmann-Rohmer, Kommentar zur Gewerbeordnung, 10. Aufl. 1952, Einleitung S. 43, 48). Weitere Erfordernisse sind, daß der Gewerbetreibende das Gewerbe unter seinem Namen, also unter eigener Verantwortlichkeit, und auf seine Rechnung entweder selbst oder durch andere betreibt. Daß er den Beginn oder die Beendigung des Gewerbes nach den Vorschriften der Gewerbeordnung der zuständigen Behörde anzeigen muß, ist dagegen nur eine Ordnungsvorschrift, deren Erfüllung oder Nichterfüllung kein Beweis für oder gegen das Bestehen eines selbständigen Gewerbebetriebes ist. Je nach den Umständen kann das Verhalten des Anzeigepflichtigen aber als Hinweis für die Rechtslage dienen.

Weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 87 a Abs. 1 Satz 1 ist jedoch, daß das Gewerbe ein Voll-Gewerbe ist, d.h. ein Gewerbe, das nach allgemeiner Anschauung die Lebensgrundlage bildet. Nur solche Gewerbetreibende kann das Gesetz meinen. An Personen, die zwar auch ein Gewerbe betreiben, jedoch ihrer wirtschaftlichen Lage und meist auch ihrer beruflichen Vergangenheit nach Arbeitnehmer sind, hat es offensichtlich nicht gedacht. Jedenfalls gibt das AVAVG keinen Anhaltspunkt dafür, daß es diese Personen, die es sonst gerade schützt, hier ohne diesen Schutz lassen will. Allerdings wollten auch die Gesetzgeber nach 1945 die Arbeitsämter nicht mit schwierigen Abgrenzungspflichten und umfangreichen Untersuchungen belasten. Genügen muß die allgemeine Anschauung über den Charakter des jeweils ausgeübten Gewerbes. Auf den tatsächlichen Ertrag des Betriebes kann es dabei nicht ankommen, zumal dieser einmal durch Eigenschaften des Gewerbetreibenden wie Geschick, Fleiß, Fähigkeit der Beurteilung der geschäftlichen Lage usw., zum anderen durch Tatsachen beeinflußt wird, die unabhängig von seinen persönlichen Eigenschaften eintreten, wie z.B. durch die wirtschaftliche Entwicklung. Diese Wagnisse und Einwirkungen muß der Gewerbetreibende wie jeder andere Selbständige selbst tragen.

Wird ein Gewerbebetrieb eröffnet, so spricht im Zweifel die Vermutung dafür, daß er die Lebensgrundlage darstellen soll; die gegenteilige Annahme würde vernunftgemäßem Handeln widersprechen. Jedoch wird der Betrieb nicht in allen Fällen schon von Beginn an die Lebensgrundlage sein können, da er durch Kundensuche (beispielsweise bei einem Agenten), Werbung usw. vielleicht erst lebensfähig gemacht werden muß. Deshalb bestehen in entsprechenden Ausnahmefällen keine Bedenken, einen Arbeitslosen, der zu einer selbständigen Tätigkeit übergeht, für eine gewisse, unter verständiger Würdigung der Einzelumstände zu bemessende Anlaufzeit weiter als arbeitslos anzusehen und ihm die Alu noch für diese Zeit - gegebenenfalls in sinngemäßer Anwendung der Frist des § 136 AVAVG, der den Direktor des Arbeitsamts zu Anlernzuschüssen bis zur Dauer von acht Wochen ermächtigt, - ganz oder teilweise zu gewähren. Es bedarf dann aber einer ständigen Beobachtung der Entwicklung durch das Arbeitsamt, um diese Personen nicht gegenüber sonstigen Gewerbetreibenden und anderen Antragstellern auf Alu zu bevorzugen.

X. Bei Doppelberuflern hat sich die Rechtsprechung bisher überwiegend auf den Standpunkt gestellt, daß ein selbständiger Gewerbetreibender laut § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG ganz allgemein nicht als arbeitslos anzusehen ist - ohne Rücksicht darauf, daß er daneben noch als Arbeitnehmer tätig gewesen ist. Ausgangspunkt für diese Auffassung bildeten zwei Überlegungen. Einmal sei § 87 a Abs. 1 Satz 1 als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, zum anderen enthalte diese Vorschrift eine Fiktion.

Beide Auffassungen sind abzulehnen.

§ 87 a Abs. 1 Satz 1 ist keine Ausnahmevorschrift, sondern, wie schon oben unter III erwähnt, eine Teilregelung und insofern jeder Auslegung zugängig.

Ebensowenig enthält die Vorschrift eine Fiktion in der Form, daß jeder selbständige Gewerbetreibende unter allen Umständen als nicht arbeitslos anzusehen und deshalb der Umstand, daß ein Doppelberufler außerdem noch Arbeitnehmer ist, nicht zu berücksichtigen sei. § 87 a Abs. 1 Satz 1 regelt überhaupt nicht die Frage des Doppelberuflers, sondern nur die des selbständigen Gewerbetreibenden an sich. Hätte er auch den anderen Tatbestand umfassen sollen oder wollen, so hätte es einer anderen Wortfassung bedurft. Jede andere Auslegung würde zu unerträglichen Härten führen müssen, die in Kauf genommen zu haben dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann.

XI. Aus den Ausführungen zu Nr. IX ergibt sich, daß der Inhaber eines Voll-Gewerbebetriebes selbst dann nicht als arbeitslos anzusehen ist, wenn er außerdem noch als Arbeitnehmer tätig war und dem Arbeitsmarkt voll zur Verfügung steht. Denn insoweit greift die ausdrückliche Vorschrift des § 87 a Abs. 1 Satz 1 und die darin enthaltene Hauptabsicht des Gesetzes durch. In einem solchen Falle sind nicht etwa beide Tatbestände gleichmäßig zu bewerten. Ist es im allgemeinen schon rein zeitlich und arbeitsmäßig unmöglich, daß jemand ein Vollgewerbe und eine volle Arbeitnehmertätigkeit nebeneinander ausübt, so muß angesichts der schon erwähnten Hauptabsicht des Gesetzes bei einem solchen Zusammentreffen die überwiegende Bedeutung der selbständigen Tätigkeit beigemessen werden, mag sie diese wirtschaftlich oft auch nicht haben. Arbeitslosenunterstützung ist dann also aus § 87 a Abs. 1 Satz 1 zu versagen.

Vom Kläger ist eingewandt worden, es verstoße gegen Treu und Glauben, dem Doppelberufler während der Beschäftigungszeit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abzuziehen, bei Eintritt des Schadensfalles aber die Unterstützung abzulehnen. Auch im Schrifttum werden solche Auffassungen vertreten (so Hempelmann "Selbständige und Unterstützungsbezug" in "Arbeit, Beruf und Arbeitslosenhilfe" 1950 S. 50; Schmidt "Der Unterstützungsanspruch des Doppelbeschäftigten in der Arbeitslosenversicherung" ebenda 1951 S. 112; Hastler, Anm. zum Urteil des SGer . Osnabrück vom 27.4.1954 in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1954 S. 51; OVA Köln vom 10.11.1950 in "Das Arbeitsamt" 1951 S. 152; OVA Schleswig vom 14.11.1952 in "Arbeit, Beruf und Arbeitslosenhilfe" 1953 S. 70). Diesen Einwand kann der Senat jedoch nicht als berechtigt anerkennen. Es entspricht dem Grundgedanken des AVAVG, daß jemand, der als Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt tätig ist und dann allerdings Beiträge bezahlen muß, Leistungen nur erhält, wenn er innerhalb des Personenkreises verbleibt, den das Gesetz schützt. Dieser Schutz, auf den der Beitragszahler nach der Gestaltung der Arbeitslosenversicherung Anspruch hat, bleibt auch dem Selbständigen erhalten, sobald er sich in den früheren Rahmen zurückbegibt. Der Ausschließungsgrund des § 87 a Abs. 1 Satz 1 stellt demnach keinen Verstoß gegen den Versicherungsgrundsatz dar und aus denselben Gründen auch keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 des Grundgesetzes.

XII. Anders sind die Fälle zu behandeln, in denen der Doppelberufler offensichtlich nicht ein Voll-Gewerbe betreibt. Hier handelt es sich in der Regel um Nebenher-Gewerbe, die nach der täglichen Beendigung der Arbeitnehmertätigkeit oder in sonstigen arbeitsfreien Zeiten ausgeübt zu werden pflegen, wie z.B. ein Feierabendgewerbe. In einem solchen Falle stellt im allgemeinen die Arbeitnehmertätigkeit die Lebensgrundlage dar; diejenige als Gewerbetreibender tritt jedenfalls so zurück, daß § 87 a Abs. 1 Satz 1 nicht zum Zuge kommen kann. Hier ist aber gemäß § 87 a Abs. 2 für die Feststellung, ob Arbeitslosigkeit im Sinne des AVAVG vorliegt, zu prüfen, ob der Antragsteller etwa durch die persönlichen oder vertraglichen Bindungen aus dem Gewerbebetrieb verhindert ist, zeitlich andere als nur geringfügige Beschäftigungen im Sinne des § 75 a Abs. 2 auszuüben, ob er also dem Arbeitsmarkt für nicht mehr als 24 Arbeitsstunden zur Verfügung steht. In diesem Fall gilt er nicht als arbeitslos. Ist er dagegen für mehr als 24 Arbeitsstunden arbeitsbereit, so steht ihm unter den sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen die Unterstützung zu.

XIII. Entsprechendes wie für selbständige Gewerbetreibende gilt auch für andere selbständige Tätigkeiten (z.B. Landwirte, Versicherungsagenten und andere gleichartig tätige Angehörige freier Berufe). Auch in dieser Beziehung ermöglicht der Charakter des § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG als einer Teilregelung (vgl. oben X) eine ausdehnende Auslegung.

XIV. Zu § 87 a Abs. 3 AVAVG ist noch darauf hinzuweisen, daß angesichts der insofern weiteren Fassung des § 112 AVAVG Arbeitslosigkeit nicht nur mit einer geringfügigen Beschäftigung (§ 75 a Abs. 2 AVAVG) vereinbar ist, sondern auch mit "sonstiger Tätigkeit entsprechenden Umfangs", also nicht nur mit einer abhängigen, sondern auch mit einer selbständigen.

XV. Der zur Alu entwickelte Begriff der Arbeitslosigkeit gilt grundsätzlich auch für die Alfu. Wenn in Nr. 2 des Ersten Durchführungserlasses vom 22.12.1947 zur britischen MRVO Nr. 117 (Arbeitsblatt für die britische Zone 1948 S. 4) bei der Beurteilung der Arbeitslosigkeit darauf hingewiesen wird, daß bei Inhabern von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken Arbeitslosigkeit in der Regel zu verneinen sei, falls der Umfang des bewirtschafteten Bodens die in den Ausführungsvorschriften zu § 70 Abs. 2 AVAVG festgesetzten Mindestgrößen und Mindesterträge übersteigt, so hat dies keine rechtlich bindende Wirkung. Im Urteil des erkennenden Senats vom 12.7.1955 (BSG 1 S. 144 (148)) ist bereits eingehend dargelegt, daß dieser Durchführungserlaß das Gesetz nicht abändern kann.

XVI. Der Kläger gibt an, er sei 25 Jahre ununterbrochen als Arbeitnehmer tätig gewesen und durch die Beteiligung an dem Autoverleihunternehmen nicht daran gehindert worden, seine volle Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Der Betrieb ist in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts durchgeführt worden. Dafür, daß die Gesellschaft die Lebensgrundlage für die drei Gesellschafter und insbesondere den Kläger gewesen wäre, ist kein Nachweis erbracht. Die Mitwirkung des Klägers an dem Unternehmen erstreckte sich, wie das Sozialgericht in seinem Urteil vom 23. August 1954 festgestellt hat, "auf die Zeit außerhalb der von ihm ausgeübten Arbeitnehmertätigkeit". Davon abweichende Feststellungen hat das Landessozialgericht nicht getroffen. Der Kläger war demnach durch seine Gesellschaftertätigkeit gemäß § 87 a Abs. 2 nicht so weit gebunden, daß er sich nur für geringfügige Beschäftigungen dem Arbeitsmarkt hätte zur Verfügung stellen können. Er stand voll zur Verfügung und hatte deshalb Anspruch auf Alu.

Die Vorentscheidungen mußten demnach aufgehoben werden. Da Feststellungen des Arbeitsamts über die Berechnung der Alu nicht vorlagen, wurde die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger Alu nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren (§§ 130 Satz 1, 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926627

[1] Inzwischen verkündet als Gesetz vom 16. April 1956 (BGBl. I S. 243)

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