Leitsatz (amtlich)

1. AVAVG 1927 § 87 enthält eine programmatische Aufzählung der Unterstützungsvoraussetzungen. Deren Inhalt ergibt sich aus den §§ 87a ff.

2. AVAVG 1927 § 87a stellt keine abschließende Regelung des Begriffs "Arbeitslosigkeit" dar und ist deshalb ergänzungsfähig.

3. AVAVG 1927 § 87a Abs 1 gilt auch für selbständige Landwirte.

4. § 2 des Ersten Durchführungserlasses zur MRV 117 betrifft nur die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung; er kann nicht zur Auslegung des AVAVG 1927 § 87a herangezogen werden, wenn versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung begehrt wird.

5. Bei einem überwiegend als Arbeitnehmer Tätigen, der versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung beantragt, wird Arbeitslosigkeit jedenfalls nicht dadurch ausgeschlossen, daß er einen verhältnismäßig kleinen Landbesitz hat, selbst wenn dieser die gemäß AVAVG 1927 § 70 Abs 2 bestimmte Mindestgröße überschreitet.

 

Normenkette

AVAVG § 70 Abs. 2, §§ 72, 87, 87a Abs. 1; MRV BrZ 117 Anh 1 § 3

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 8. Februar 1955 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Der 1901 geborene Kläger hat sich in den letzten Jahren als Fischer, Fabrikarbeiter in einer Zuckerfabrik und Retharbeiter betätigt. Daneben hatte er zeitweise Land von etwa 4 ha Größe gepachtet. Im Frühjahr 1952 übernahm er das Besitztum seiner Mutter, das außer einem Haus 4,34 ha Wiesen- und Weideflächen umfaßt. Das Pachtland gab er zurück. Als er sich nach Kampagneschluß in der Zuckerfabrik ... am 21. Juni 1952 arbeitslos meldete und Arbeitslosenunterstützung (Alu) beantragte, lehnte das Arbeitsamt ... diese ab, weil sein landwirtschaftlicher Besitz die nach § 70 Abs. 2 AVAVG vom Präsidenten des Landesarbeitsamts ... festgesetzte Mindestgröße übersteige und deshalb Arbeitslosigkeit gemäß § 87a Abs. 1 AVAVG verneint werden müsse. Sein Einspruch wurde vom Spruchausschuß des Arbeitsamts zurückgewiesen. Auf seine Berufung hin hob das Oberversicherungsamt (OVA) ... mit Urteil vom 14. April 1953 den Bescheid des Arbeitsamts und die Entscheidung des Spruchausschusses auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Alu zu gewähren. Selbständiger Gewerbetreibender sei nur, wer ein Gewerbe betreibe. Sei der Antragsteller aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über die Grenzen der geringfügigen Beschäftigung hinaus tätig und habe er die Anwartschaft auf Unterstützung erfüllt, so müsse ihm Alu gewährt werden; denn Versicherungspflicht und Leistungsberechtigung müßten sich decken, andernfalls liege ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor. Da den Kläger der bisherige Pachtbesitz nicht gehindert habe, als Arbeitnehmer zu arbeiten, rechtfertige sich nach Rückgabe des Pachtlandes der Schluß, daß auch der jetzige Besitz ihn nicht abhalten werde, weiter versicherungspflichtig tätig zu sein. Das Arbeitsamt bewilligte dem Kläger daraufhin nachträglich die Alu für dreizehn Wochen bis zum 22. September 1952.

II. In der Folgezeit war der Kläger vom 30. September 1952 bis zum 4. Januar 1953 und vom 6. August 1953 bis zum 18. Januar 1954 in der Zuckerfabrik und vom 19. bis zum 30. Januar 1954 als Retharbeiter tätig. Das Arbeitsverhältnis in der Zuckerfabrik war wegen Beendigung der Kampagne, das als Retharbeiter wegen Arbeitsmangels gelöst worden. Vom 4. Januar bis zum 6. Juli 1953 war er krank, vom 7. Juli bis zum 5. August 1953 ohne Beschäftigung gewesen.

Am 1. Februar 1954 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alu. Das Arbeitsamt lehnte sie mit Verfügung vom 13. Februar 1954 ab, da sein landwirtschaftlicher Besitz die nach § 70 Abs. 2 AVAVG festgesetzte Mindestgröße überschreite und deshalb Arbeitslosigkeit nicht angenommen werden könne. Sein Widerspruch wurde durch Bescheid der Widerspruchsstelle beim Arbeitsamt ... vom 11. März 1954 mit der Begründung zurückgewiesen, daß die - zu I dargelegte - Rechtsprechung des OVA ... nicht anerkannt werden könne. Seine Klage hiergegen wurde vom Sozialgericht ... mit Urteil vom 13. August 1954 abgewiesen, da der Kläger Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes sei. Daß er darin mitarbeite, sei nicht erforderlich, er könne anderwärts als Arbeitnehmer tätig sein, trotzdem sei er als selbständiger Gewerbetreibender anzusehen, solange er in der Lage sei, den Betrieb durch Anweisungen zu leiten. Arbeitslosigkeit sei ohne Rücksicht auf die Größe des Betriebes zu verneinen. Arbeitslosenversicherungspflicht und Leistungsberechtigung brauchten sich nicht zu decken.

III. Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht ... mit Urteil vom 8. Februar 1955 das Urteil des Sozialgerichts ... vom 13. August 1954 auf und wies die Beklagte an, dem Kläger vom 4. Februar 1954 ab Alu zu zahlen. Die Revision ist zugelassen worden.

Die Ansicht des Sozialgerichts, daß der Kläger als Landwirt selbständiger Gewerbetreibender nach § 87a Abs. 1 AVAVG und deshalb nicht arbeitslos sei, ist nach der Auffassung des Landessozialgerichts nicht zutreffend. Der Kläger könne nur selbständiger Landwirt oder als Arbeitnehmer tätiger Landeigentümer sein. Der Begriff "selbständiger Gewerbetreibender" sei der Gewerbeordnung entnommen und stehe im Gegensatz zur Land- und Forstwirtschaft als Urproduktion. Das AVAVG gebe keine Begriffsbestimmung für selbständige Gewerbetreibende, so daß dieser Begriff im allgemein festgelegten Sinne aufzufassen sei. Maßgebend für den vorliegenden Fall sei nur § 87a Abs. 2, nämlich, ob der Kläger gehindert sei, infolge persönlicher Bindung mehr als nur geringfügig als Arbeitnehmer tätig zu werden. Bei ihm spreche aber alles dafür, daß er durch seine kleine Landwirtschaft nicht gebunden sei und deshalb dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Sein Besitz sei keine Vollbauernstelle, da nur Wiesen und Weiden zur Futtergewinnung vorhanden seien, die zu einem Teil des Jahres unter Wasser stünden, eine intensive Nutzung also ausschlössen. Deshalb sei es auch ohne Bedeutung, daß er die nach § 70 Abs. 2 AVAVG festgesetzte Mindestgrenze überschreite. Ziff. 2 des Ersten Durchführungserlasses zur Militärregierungsverordnung (MilRegVO) Nr. 117 verneine zwar in einem solchen Falle in der Regel das Vorliegen von Arbeitslosigkeit. Diese Vorschrift beziehe sich aber nur auf § 87a Abs. 2 AVAVG und gebe damit einen durch Tatsachen jederzeit widerlegbaren Hinweis darauf, der Inhaber sei bei Überschreitung der Mindestgrenzen soweit gebunden, daß er dem Arbeitsmarkt nicht zu mehr als nur geringfügigen Arbeiten zur Verfügung stehe.

IV. Das Urteil wurde der Bundesanstalt am 7. Mai 1955 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 27. Mai 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 31. Mai - legte sie Revision ein und beantragte, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, gegebenenfalls die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

In der Revisionsbegründung vom 16. Juni 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 22. Juni - rügte sie Verletzung der §§ 70, 87, 87a AVAVG in der Fassung der MilRegVO Nr. 111, des § 3 des Anhangs zur MilRegVO Nr. 117, der Nr.2 des Ersten Durchführungserlasses dazu und des Art. 3 GG.

§ 87 stelle programmatisch die Unterstützungsvoraussetzungen auf. Sie würden in den folgenden Paragraphen im einzelnen erläutert. § 87a definiere den Begriff der Arbeitslosigkeit im Gegensatz zum früheren § 89a in negativer Form, indem aufgezählt werde, wer nicht arbeitslos sei.

Ein Landwirt sei als selbständiger Gewerbetreibender und deshalb nicht als arbeitslos anzusehen. Mindestens müsse § 87a Abs. 1 Satz 1 entsprechend angewandt werden, da er auch für die freien Berufe (Ärzte, Rechtsanwälte usw.) gelte. Unabhängig davon sei der Kläger aber nach Nr. 2 des Ersten Durchführungserlasses zum § 3 des Anhangs zur MilRegVO Nr. 117 nicht arbeitslos, da der Umfang des von ihm bewirtschafteten Bodens die durch Verfügung des Präsidenten des Landesarbeitsamts ... vom 25. Mai 1948 zum § 70 Abs. 2 AVAVG festgesetzte Mindestgröße übersteige. Die Grenzen hierfür seien 4 ha. Der Kläger habe aber einen Grundbesitz von 4,34 ha. Der Erste Durchführungserlaß gelte, obwohl er für die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) ergangen sei, auch für die Alu, da er bei der Erläuterung auf § 87a AVAVG verweise und somit eine Lücke im Gesetz bezüglich der Alu ausfüllen wolle. Andernfalls würde eine unterschiedliche Behandlung der Bezieher von Alu und Alfu eintreten, die mit Art. 3 GG nicht vereinbar sei.

Der Revisionsbeklagte beantragte mit Schriftsatz vom 28. Juli 1955, die Revision zurückzuweisen. § 87a sei eng auszulegen. Ein landwirtschaftlicher Besitz sei kein selbständiger Gewerbebetrieb. Im § 72 AVAVG werde ausdrücklich zwischen Landwirtschaft und Gewerbebetrieb unterschieden. Maßgeblich könne nur § 87a Abs.2 AVAVG sein, treffe aber hier nicht zu; denn der Revisionsbeklagte sei jahrelang als Arbeitnehmer tätig gewesen und stehe auch weiterhin in vollem Umfang der Arbeitsvermittlung zur Verfügung.

Im einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

V. Die Revision ist statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Sie konnte aber keinen Erfolg haben.

Der Revisionsbeklagte ist Doppelberufler. Er ist Eigentümer eines Grundbesitzes von 4,34 ha, ist aber trotzdem, soweit sich Arbeitsgelegenheit geboten hat, als Arbeitnehmer tätig gewesen. Zu entscheiden ist deshalb die Frage, ob er als selbständiger Gewerbetreibender und damit als nicht arbeitslos anzusehen ist oder als Arbeitnehmer, der nebenbei seinen Landbesitz bewirtschaftet.

§ 87 AVAVG enthält lediglich eine programmatische Aufzählung der Unterstützungsvoraussetzungen. Deren Inhalt ergibt sich aus den §§ 87a ff. Damit ist auch die Voraussetzung im § 87, daß Anspruch auf Alu hat, wer u.a. unfreiwillig arbeitslos ist, nur als programmatisch zu werten. Der Begriff "Arbeitslosigkeit" wird im § 87a erläutert. Aber während im früheren § 89a in der Fassung der Novelle vom 12. Oktober 1929 (RGBl. I S. 162) als arbeitslos bezeichnet wurde, wer berufsmäßig überwiegend als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegte, jedoch vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand und auch nicht den erforderlichen Lebensunterhalt durch selbständige Arbeit, insbesondere als Landwirt oder Gewerbetreibender, erwarb, also die berufsmäßig überwiegende Arbeitnehmertätigkeit in den Vordergrund gestellt wurde, regelt § 87a den Begriff der Arbeitslosigkeit in negativer Form, indem er die Personenkreise bezeichnet, die nicht als arbeitslos anzusehen sind.

Als solche führt er im Abs. 1 Satz 1 die selbständigen Gewerbetreibenden auf. Der Begriff "selbständiger Gewerbetreibender" ist von der Rechtsprechung zur Gewerbeordnung entwickelt worden, da er in dieser selbst unmittelbar nicht enthalten ist. Die Urproduktion, wie Land- und Forstwirtschaft, fällt jedoch nicht unter den Begriff des Gewerbebetriebs im Sinne der Gewerbeordnung. Jellinek (Verwaltungsrecht 3. Aufl. 1948 S. 492) hat deshalb den Begriff des Gewerbes umschrieben als "jede selbständige, dem Erwerbe planmäßig dienende privatwirtschaftliche Tätigkeit außerhalb der Urproduktion und der Kunst und Wissenschaft". Daß die Urproduktion nicht als Gewerbe anzusehen ist, entspricht im übrigen auch der herrschenden Meinung (vgl. Landmann-Rohmer, Kommentar zur Gewerbeordnung, 10. Aufl. 1952 S. 29-31; Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. 1955 Bd. 1 S. 54; Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl. 1955 S. 755, Anm. 2 zu § 15; Reichsfinanzhof vom 25.4.1934, Reichssteuerblatt 1934 S. 902; Jellinek a.a.O, S. 492). Von dieser Meinung abzugehen besteht keine Veranlassung.

Das AVAVG selbst unterscheidet ebenfalls bewußt zwischen gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben. Im § 72 wird - wenn auch nur im Hinblick auf die im § 70 vorgesehene Versicherungsfreiheit - der Begriff des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes besonders geregelt. Dabei werden Hilfs- und Nebenbetriebe, die der Be- oder Verarbeitung sowie dem Absatz land- oder forstwirtschaftlicher Erzeugnisse oder anderen gewerblichen Zwecken dienen, ausdrücklich ausgenommen. Da der Revisionsbeklagte nur Wiesen- und Weideland, also ein rein landwirtschaftliches Besitztum hat, kann er demnach nicht als "selbständiger Gewerbetreibender" in dem zur Gewerbeordnung entwickelten Sinne gelten.

Zu prüfen ist aber, ob § 87a Abs. 1 Satz 1 AVAVG unter der Bezeichnung "selbständiger Gewerbetreibender" nur den auf die Gewerbeordnung beschränkten Personenkreis meint oder den umfassenderen der "Selbständigen" überhaupt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist das erstere anzunehmen. Andernfalls hätte der Gesetzgeber wohl kaum gerade diesen in jahrzehntelanger Rechtsprechung entwickelten Begriff gewählt, der als solcher einen besonderen Inhalt hat. Daß dies grundsätzlich auch der Sinn der Vorschrift ist, ergibt sich aus dem zweiten Satz des § 87a Abs. 1; denn hier wird die Frage der Arbeitslosigkeit bei den Inhabern von Gewerbelegitimationen, Wandergewerbe- oder Hausierscheinen sowie bei den als Begleiter in solchen Scheinen eingetragenen Personen geregelt, also gerade bei Berufszweigen, die ebenfalls der Gewerbeordnung unterfallen.

Im übrigen sei hier auch auf die Begründung zum Entwurf der Großen Novelle des AVAVG (zu § 87a) verwiesen, wo ausgeführt wird:

"Nach dem Wortlaut der derzeitigen Fassung des § 87a AVAVG gelten nur "selbständige Gewerbetreibende" nicht als arbeitslos, so daß erst durch die Rechtsprechung klargestellt werden mußte, daß die Angehörigen freier Berufe ebenso wie selbständige Gewerbetreibende im Sinne des AVAVG nicht arbeitslos sein können."

Um diese Zweifel für die Zukunft auszuschalten, ersetzt der Entwurf der Novelle gerade den Begriff "selbständiger Gewerbetreibender" durch den umfassenderen Begriff "Selbständiger".

§ 87a Abs. 1 AVAVG erfaßt demnach an sich nur den dort genannten begrenzten Kreis von Personen. Er stellt damit aber keine abschließende Regelung des Begriffs "Arbeitslosigkeit" dar und ist deshalb ergänzungsfähig, und zwar um die Personenkreise, bei denen wie bei den selbständigen Gewerbetreibenden die Grundlage ihres Schaffens die Selbständigkeit ist. Wie weit dieser Kreis zu ziehen ist - z.B. bei den in der Begründung zur Novelle erwähnten sogenannten freien Berufen -, kann hier dahingestellt bleiben. Jedoch ist unter diesem Gesichtspunkt § 87a Abs. 1 AVAVG auch auf den selbständigen Landwirt auszudehnen. Als solcher kann aber nicht jeder Landbesitzer angesehen werden; vielmehr ist dabei von der Größe seines Besitztums auszugehen. Ein Landwirt mit einer sogenannten "Vollbauernstelle" wird hinsichtlich des § 87a Abs. 1 allerdings einem selbständigen Gewerbetreibenden gleich zu behandeln sein; denn bei ihm bildet sein Besitztum die Grundlage seines Seins und seines Schaffens. Daß dabei die Größe einer "Vollbauernstelle" nach Lage und Bodenbeschaffenheit verschieden sein kann, bedarf keiner besonderen Begründung.

Im vorliegenden Falle ist deshalb weiter zu prüfen, ob der Revisionsbeklagte als selbständiger Landwirt anzusehen ist oder nur als Landbesitzer, der gezwungen ist, als Arbeitnehmer tätig zu sein, da sein Besitz ihn nicht ernährt. Der landwirtschaftliche Besitz des Revisionsbeklagten besteht, wie nicht bestritten worden ist, aus 4,34 ha Wiesen- und Weideland, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß das Gelände einen Teil des Jahres unter Wasser steht. Daß dieses Besitztum nicht als "Vollbauernstelle" zu bewerten ist, kann unter diesen Umständen nicht zweifelhaft sein. Deshalb kann der Revisionsbeklagte nicht als selbständiger Landwirt gelten.

Die Bundesanstalt will nun aber aus Nr. 2 des Ersten Durchführungserlasses des Präsidenten des Zentralamts für Arbeit in der britischen Zone zum § 3 des Anhangs zur MilRegVO Nr. 117 entnehmen, daß ein Inhaber land- oder forstwirtschaftlichen Besitzes als nicht-arbeitslos anzusehen sei, wenn der Umfang des bewirtschafteten Bodens die in den Ausführungsvorschriften zum § 70 Abs. 2 AVAVG festgesetzten Mindestgrößen und Mindesterträge übersteige. Der Erste Durchführungserlaß verweise bei der Erläuterung des Begriffs "Arbeitslosigkeit" ausdrücklich auf § 87a, erläutere diesen hinsichtlich der Inhaber solcher Grundstücke und fülle damit für die Alu eine Lücke aus, die im AVAVG enthalten sei.

Diese Auffassung ist unzutreffend.

Einmal behandelt die angezogene Vorschrift den Begriff der Arbeitslosigkeit nur für die Alfu und kann deshalb nicht zur Auslegung des § 87a AVAVG herangezogen werden, wenn versicherungsmäßige Alu begehrt wird; denn für die Alu werden die einzelnen Begriffe von Gesetzes wegen allein im AVAVG geregelt. Die Alfu ist dagegen eine von der Bedürftigkeitsprüfung abhängige besonders geregelte Unterstützungsart. Bei einem überwiegend als Arbeitnehmer Tätigen, der versicherungsmäßige Alu beantragt, wird deshalb Arbeitslosigkeit jedenfalls nicht dadurch ausgeschlossen, daß er einen verhältnismäßig kleinen Landbesitz hat, selbst wenn dieser die gemäß § 70 Abs. 2 bestimmte Mindestgröße überschreitet. Diese Regelung bezieht sich zudem nur auf die Frage der Versicherungsfreiheit, nicht aber der Arbeitslosigkeit.

Zum anderen ist es aber auch nicht zulässig, in einem Durchführungserlaß des Zentralamts für Arbeit, der nicht Besatzungsrecht ist, sondern nur mit Ermächtigung der Militärregierung erlassen worden ist, selbständig Recht zu setzen, und zwar weder im Sinne der Ergänzung noch in dem der Einschränkung.

Ein solcher Erlaß kann nur Erläuterungen geben. Im einzelnen wird hierzu auf die Ausführungen des erkennenden Senats im Urteil vom 12. Juli 1955 - 7 RAr 12/55 - (vgl. BSG 1 S. 144 ff - 148 -) verwiesen. Im übrigen lehnt Nr. 2 dieses Durchführungserlasses selbst für die Alfu insoweit nicht grundsätzlich die "Arbeitslosigkeit" ab, sondern will sie nur "in der Regel" verneinen, wenn der Umfang des bewirtschafteten Bodens die in den Ausführungsvorschriften zum § 70 Abs. 2 festgesetzten Mindestgrößen und -erträge übersteigt. Demnach wären auch in einem solchen Falle der Gegenbeweis ohne weiteres zulässig. Jedenfalls kann aber dieser Durchführungserlaß hier nicht zur Begründung dafür herangezogen werden, daß der Revisionsbeklagte als nicht-arbeitslos zu bezeichnen sei.

Zu prüfen ist jedoch noch, ob etwa die Voraussetzungen des § 87a Abs. 2 AVAVG vorliegen. Danach gilt nicht als arbeitslos, wer durch persönliche Bindungen keine anderen als geringfügige Beschäftigungen im Sinne des § 75a Abs. 2 AVAVG auszuüben vermag.

Wie bereits oben dargelegt, besteht das Besitztum des Revisionsbeklagten aus Wiesen- und Weideland. Letzteres bedarf einer Bewirtschaftung nicht, ersteres nur in geringem Umfang, zumal das Gelände einen Teil des Jahres unter Wasser steht.

Der Revisionsbeklagte gibt an, daß Frau und Sohn den Besitz bewirtschaften. Selbst wenn aber anzunehmen wäre, daß er sich persönlich daran beteiligen würde, so könnte dies bei der geringen überhaupt anfallenden Arbeit keine solche Bindung darstellen, daß er als nicht-arbeitslos bezeichnet werden müßte. Im übrigen ist er unabhängig von den Zeiten, in denen das Besitztum eine Bearbeitung erforderte, in der Zuckerfabrik beschäftigt gewesen, also durch seinen Besitz nicht daran gehindert worden, Arbeit aufzunehmen. Ob er noch weitere Arbeitsstellen etwa zwischendurch hätte annehmen können, kann dahingestellt bleiben, da nichts dafür vorgebracht worden ist, daß er jemals eine ihm angebotene Arbeit abgelehnt hätte.

Der Revisionsbeklagte muß deshalb als Arbeitnehmer angesehen werden, der zugleich Landbesitzer ist, durch diesen Besitz aber in seiner Arbeitnehmertätigkeit nicht beeinträchtigt worden ist. Er hat deshalb Anspruch auf die Alu.

VI. Aus diesen Gründen mußte die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304752

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