Entscheidungsstichwort (Thema)

Landwirt als Doppelberufler

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Verneinung der Arbeitslosigkeit setzt bei einem Landwirt eine Vollbauernstelle voraus. In solchen Fällen braucht jedoch der Eigentümer den Betrieb nicht selbst durchzuführen; er kann es auch durch andere tun, sofern es nur auf seinen Namen und unter seiner Verantwortlichkeit geschieht. Dadurch wird er jedenfalls nicht seiner Eigenschaft als selbständiger Betriebsinhaber entkleidet

 

Normenkette

AVAVG § 87a Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 25. März 1955 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I. Der 1907 geborene Kläger ist von Beruf Zimmerer. Er lebt im gemeinschaftlichen Haushalt mit seiner Frau, seinen 1936 und 1939 geborenen Töchtern und seinem 1946 geborenen Sohn und ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Grundbesitzes von 8 ha, auf dem er im Februar 1954 zwei Kühe, ein Jungrind und zwei Kälber hielt.

Vom August 1945 bis zum November 1951 war er - mit berufsbedingten Unterbrechungen - als Zimmerer tätig. Für die Zwischenzeiten erhielt er Arbeitslosenunterstützung (Alu). In jedem Antrag hatte er angegeben, daß er einen Grundbesitz von 8 ha habe. Als er sich nach kurzfristiger Beschäftigung und Erkrankung am 27. Februar 1952 wieder arbeitslos meldete, lehnte das Arbeitsamt Heide seinen Unterstützungsantrag mit Bescheid vom 13. Februar 1952 ab, da er als Eigentümer eines landwirtschaftlichen Grundstückes von 8 ha als selbständig und somit nicht als arbeitslos anzusehen sei. Hiergegen erhob er Einspruch und brachte eine Bescheinigung des zuständigen Ortsbauernvorstehers bei, daß seine Landwirtschaft nur ein "Nebenbetrieb" sei. Die Arbeit müßten seine Frau und seine Kinder leisten; er arbeite darin nur nach Feierabend und sonntags. Der Spruchausschuß des Arbeitsamts Heide gab dem Einspruch in seiner Entscheidung vom 25. März 1952 statt. Diese wurde im Berufungsverfahren vom Oberversicherungsamt Schleswig durch Entscheidung vom 30. Juni 1952 wieder aufgehoben, da der Kläger nicht arbeitslos sei.

Auf Grund dieser Entscheidung wurde auch sein Alu-Antrag vom 10. Dezember 1952 abgelehnt, ebenso sein weiterer Antrag vom 4. Februar 1954, den er auf Grund versicherungspflichtiger Beschäftigung vom 24. Februar bis zum 24. Dezember 1953 gestellt hatte, und der den Gegenstand des jetzigen Verfahrens bildet. Das Arbeitsamt begründete seinen Bescheid vom 10. Februar 1954 damit, der Kläger gelte als Eigentümer eines 8 ha großen landwirtschaftlichen Besitzes nach § 87 a Abs. 1 AVAVG in Verbindung mit Nr. 2 des Ersten Durchführungserlasses zur Militärregierungsverordnung (MilRegVO) Nr. 117 nicht als arbeitslos.

Sein Widerspruch hiergegen wurde mit Bescheid vom 26. März 1954 zurückgewiesen, seine Klage durch Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 24. September 1954 abgewiesen mit der Begründung, er sei nach § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG nicht als arbeitslos anzusehen. Grundsätzlich sei bei Inhabern von landwirtschaftlichen Betrieben ohne Rücksicht auf die Größe des Betriebes Arbeitslosigkeit zu verneinen.

II. Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht Schleswig mit Urteil vom 25. März 1955 das Urteil des Sozialgerichts und den Widerspruchsbescheid auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger nach seiner Arbeitslosmeldung am 1. Februar 1954 Alu zu gewähren. Nach Auffassung des Landessozialgerichts ist die Ablehnung der Alu auf Grund des § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG nicht gerechtfertigt. Der Kläger habe in den vergangenen Jahren regelmäßig 9 Monate oder mehr in versicherungspflichtiger Beschäftigung gestanden. Sein Grundbesitz sei von seiner Frau und seinen Töchtern bearbeitet worden, von ihm selbst dagegen nur unwesentlich. Von dem Betrieb eines Gewerbes durch den Kläger könne deshalb nicht mehr die Rede sein.

Revision ist zugelassen worden.

III. Gegen das der Beklagten am 23. Juni 1955 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 18. Juli 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 19. Juli - Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, gegebenenfalls die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Mit Schriftsatz vom 5. August 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 8. August - hat sie diese begründet und Verletzung der §§ 70, 87, 87 a AVAVG in der Fassung der MilRegVO Nr. 111 und der Nr. 2 des Ersten Durchführungserlasses zur MilRegVO Nr. 117 sowie des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) gerügt. Aus den Merkmalen des Begriffs "selbständiger Gewerbetreibender", wie sie zur Gewerbeordnung entwickelt worden seien, ergebe sich, daß auch Landwirte darunter fielen. Dabei sei es unerheblich, ob der Kläger seinen Besitz allein oder mit Hilfe seiner Angehörigen bewirtschafte. Denn er verliere seine Eigenschaft als selbständiger Gewerbetreibender nicht dadurch, daß er seine Befugnisse ganz oder teilweise anderen überlasse. Mindestens müsse § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG entsprechend auf Landwirte angewandt werden. Unabhängig davon aber ergebe sich aus Nr. 2 des Ersten Durchführungserlasses zu § 3 des Anhangs zur MilRegVO Nr. 117, daß der Kläger nicht arbeitslos sei. Hiernach werde die Arbeitslosigkeit bei Inhabern land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke verneint, wenn der Umfang des bewirtschafteten Bodens die in den Ausführungsvorschriften zum § 70 Abs. 2 AVAVG festgesetzten Mindestgrößen und Mindesterträge übersteige. Nach der hierzu am 25. Mai 1948 ergangenen Ausführungsvorschrift des Präsidenten des Landesarbeitsamts Schleswig-Holstein überstiegen die festgesetzten Flächen in keinem Falle 4 ha. Da der Kläger aber 8 ha Land besitze, sei er nicht arbeitslos. Der Durchführungserlaß sei auf die Alu anwendbar, da Nr. 2 bei der Erläuterung des Begriffs Arbeitslosigkeit ausdrücklich auf § 87 a AVAVG verweise und somit eine Lücke im AVAVG ausfüllen wolle. Andernfalls würden die Bezieher von Alu und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) unterschiedlich behandelt werden, was mit Art. 3 GG nicht vereinbar sei.

Der Kläger hat dagegen mit Schriftsatz vom 4. Oktober 1955 ausgeführt, die Annahme eines selbständigen Gewerbebetriebs müsse in diesem Falle ausscheiden, da sie das selbständige Betreiben eines Gewerbes voraussetze; daran fehle es aber hier.

Im einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

IV. Die Revision ist zulässig und mußte auch Erfolg haben.

Zu den hier vorgebrachten Fragen hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil 7 RAr 59/55 vom 14. Dezember 1955 eingehend Stellung genommen und festgestellt, daß jedenfalls ein Landwirt mit einer Vollbauernstelle dem selbständigen Gewerbetreibenden gemäß § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG grundsätzlich gleichzustellen ist. Die Auffassung, daß Nr. 2 des Ersten Durchführungserlasses zur MilRegVO Nr. 117 für die Auslegung des Begriffes der Arbeitslosigkeit auch heranzuziehen sei, sofern Alu in Frage komme, hat der Senat dort mit näherer Begründung abgelehnt. Insoweit sind deshalb die Ausführungsvorschriften der Präsidenten der Landesarbeitsämter zu § 70 Abs. 2 AVAVG ohne Einfluß.

Zu dem Begriff der Arbeitslosigkeit im allgemeinen und bei Doppelberuflern hat der Senat in seinem Urteil 7 RAr 7/55 vom 21. März 1956 eingehende grundsätzliche Ausführungen gemacht, auf die hier Bezug genommen werden kann. Insbesondere hat er dabei festgestellt, daß in Fortführung des Urteils 7 RAr 59/55 als selbständiger Gewerbetreibender nur ein solcher angesehen werden kann, der ein Voll-Gewerbe betreibt. Die Verneinung der Arbeitslosigkeit gemäß § 87 a Abs. 1 Satz 1 setzt also bei einem Landwirt eine Vollbauernstelle wie beim selbständigen Gewerbetreibenden ein Voll-Gewerbe voraus. In solchen Fällen braucht jedoch der Eigentümer den Betrieb nicht selbst durchzuführen, er kann es auch durch andere tun, sofern es nur auf seinen Namen und unter seiner Verantwortlichkeit geschieht. Dadurch aber wird er jedenfalls nicht seiner Eigenschaft als selbständiger Betriebsinhaber entkleidet, so daß insoweit stets die Vorschrift des § 87 a Abs. 1 Satz 1 durchgreifen muß, wenn der Besitz den Umfang einer Vollbauernstelle erreicht.

Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch aus den Feststellungen des Vordergerichts nichts dafür, um welche Ertragswertklasse es sich beim Kläger handelt. Fest steht lediglich, daß er im Februar 1954 auf diesem Besitztum nur zwei Kühe, ein Jungrind und zwei Kälber hielt, ein für ein 8 ha großes Besitztum sehr kleiner Viehbestand. Da aber hieraus nicht ohne weiteres auf die Ertragswertklasse des Bodens geschlossen werden kann, ist es erforderlich, Feststellungen einmal über die Güte des Bodens zu treffen und zum anderen darüber, ob seine Größe bei dieser Bewertung für die dortige Gegend als Vollbauernstelle anzusehen ist. Nur in diesem Falle wäre Arbeitslosigkeit gemäß § 87 a Abs. 1 Satz 1 zu verneinen, gegebenenfalls unter Prüfung nach § 87 a Abs. 2.

Da hiernach noch weitere Aufklärung erforderlich ist, konnte der Senat nicht selbst entscheiden, sondern mußte das Urteil des Landessozialgerichts aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten (§ 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297134

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