Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfall des Klägers neben einer anerkannten Zivildienstbeschädigung zugleich ein Arbeitsunfall

 

Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege,Hamburg 6, Schäferkampsallee 24, Beklagte und Revisionsbeklagte

1) Deutsches Jugendherbergswerk, Landesverband Unterweser/Ems e.V., Bremen, Woltmershauser Allee 8, Revisionskläger, Prozeßbevollmächtigte: …, 2) Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für..

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Unfall des Klägers neben einer anerkannten Zivildienstbeschädigung zugleich ein Arbeitsunfall ist.

Der Kläger leistete seit dem Jahre 1986 Zivildienst. Seine Dienststelle war die Jugendherberge des Beigeladenen zu 1) auf J.   . Am 11. Juli 1987 verrichtete der Kläger nach Anweisung des Herbergsvaters auf einer Leiter stehend Malerarbeiten an den im ersten Stock gelegenen Fenstern der Jugendherberge. Dabei kippte die Leiter um, der Kläger stürzte und zog sich eine Querschnittslähmung zu. Das Versorgungsamt Stuttgart erkannte den Unfall als Zivildienstbeschädigung an und gewährte dem Kläger wegen der Folgen der Schädigung Versorgung gemäß § 47 Zivildienstgesetz (ZDG) iVm den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vH.

Der Kläger machte im Jahre 1987 gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Deutschen Jugendherbergswerks (Beigeladener zu 1) Schadensersatzansprüche geltend. Dieser berief sich auf das Haftungsprivileg des § 636 Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Kläger forderte den Beigeladenen zu 1) daraufhin auf nachzuweisen, daß die zuständige Berufsgenossenschaft (Beklagte) den Unfall vom 11. Juli 1987 ihm gegenüber als Arbeitsunfall anerkannt habe. Der Beigeladene zu 1) erhob hierauf im Jahre 1988 Klage gegen die Beklagte mit dem Ziel festzustellen, daß es sich bei dem Unfall des Klägers am 11. Juli 1987 auch um einen Arbeitsunfall iS des § 636 RVO gehandelt habe. Das Vorliegen eines Dienstunfalles schließe die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall nicht aus. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 15. Dezember 1989, den sie an den Beigeladenen zu 1) und den Kläger richtete, den Unfall des Klägers vom 11. Juli 1987 als Arbeitsunfall an. Der Kläger sei gemäß § 539 Abs 2 RVO in das Unternehmen Jugendherberge eingegliedert gewesen. Einen Leistungsanspruch gegen sie habe der Kläger wegen seiner Versicherungsfreiheit gemäß § 541 Abs 1 Nr 1 RVO jedoch nicht. Daraufhin erklärte der Beigeladene zu 1) den Rechtsstreit gegen die Beklagte für erledigt.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1989 hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat mit Urteil vom 20. März 1991 den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Hiergegen hat der Beigeladene zu 1) Berufung eingelegt, die das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 2. Juli 1992 zurückgewiesen hat. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zu der Jugendherberge gestanden, deren Leiter zugleich sein Dienstvorgesetzter mit Disziplinarbefugnis gewesen sei. Daher sei der Kläger gemäß § 541 Abs 1 Nr 2 RVO versicherungsfrei gewesen, weil er auf der Grundlage des § 47 Abs 1 Satz 1 ZDG Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG erhalte. Dieser Versorgungsschutz verdränge den Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO. Zwar seien auch Fallkonstellationen denkbar, bei denen trotz der Anerkennung als Dienstunfall gleichzeitig Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen könne. Ein solcher Ausnahmefall sei hier jedoch nicht gegeben, insbesondere liege kein mehrseitiges Arbeitsverhältnis vor. Der Beigeladene zu 1) könne sich mithin nicht auf das Haftungsprivileg des § 636 RVO berufen, da der Kläger gemäß § 541 Abs 1 Nr 2 RVO nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Im übrigen könnten Ersatzansprüche des Klägers gegen den Beigeladenen zu 1) lediglich unter dem Gesichtspunkt einer öffentlich-rechtlichen Fürsorgepflichtverletzung bestehen, die auf dem Verwaltungsrechtsweg geltend gemacht werden müßten. Eine Berufung des Beigeladenen zu 1) auf das Haftungsprivileg des § 636 RVO sei deshalb ohnehin nicht möglich.

Hiergegen wendet sich der Beigeladene zu 1) mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Das LSG habe gemeint, ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch des Klägers gegen ihn sei nicht gegeben. Nach der Rechtsauffassung des LSG stelle der hier angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1989 somit einen "überflüssigen" Bescheid ohne weitere rechtliche Bedeutung dar, weshalb das LSG aufgrund seiner eigenen Rechtsansicht die Klage bereits als unzulässig hätte abweisen müssen. Dagegen sei nach den Grundsätzen des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 1984 (BSGE 56, 279) bei dem Kläger auch das Vorliegen eines Arbeitsunfalles anzuerkennen. Die Tätigkeit des Klägers als Zivildienstleistender sei zwar einerseits öffentlich-rechtlich geprägt gewesen. Der Kläger habe aber unmittelbar auch seinen Zielen, des Beigeladenen zu 1), gedient, was gerade die konkrete Art der Tätigkeit (Fensterstreichen) zeige. Deshalb habe die Tätigkeit des Klägers zumindest einen Doppelcharakter gehabt. Dies müsse nach der genannten Entscheidung des BSG auch zu einer Anerkennung des Unfalls vom 11. Juli 1987 als Arbeitsunfall führen.

Der Beigeladene zu 1) beantragt sinngemäß,

die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger, die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

II

Die Revision ist unbegründet.

SG und LSG haben zutreffend entschieden, daß der Kläger am 11. Juli 1987 keinen Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 und § 636 RVO erlitten hat. Der (auch den Beigeladenen zu 1 im Hinblick auf die Qualifizierung des Rechtsverhältnisses zwischen ihm und dem Kläger sowie die Regelung des § 636 RVO begünstigende) Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1989 war deshalb aufzuheben.

Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet (§ 548 Abs 1 RVO). Der Kläger hat seinen Unfall nicht als Versicherter erlitten. Zwar stand er gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO in einem Dienstverhältnis zur Beigeladenen zu 2), und der Herbergsvater war als Leiter der Dienststelle sein Dienstvorgesetzter. Jedoch bestimmt § 541 Abs 1 Nr 2 RVO, daß Personen hinsichtlich der Arbeitsunfälle, für die ihnen Versorgung nach dem BVG oder solchen Gesetzen gewährt wird, die das BVG für anwendbar erklären, in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherungsfrei sind, es sei denn, daß der Arbeitsunfall zugleich die Folge einer Schädigung iS der Versorgungsgesetze ist. Damit regelt § 541 Abs 1 Nr 2 Halbsatz 1 RVO das Verhältnis von Versicherungs- und Versorgungsschutz für alle Unfälle, die gleichermaßen die Voraussetzungen des Versorgungsschutzes und des Versicherungsschutzes erfüllen. Hierfür ist vorgeschrieben, daß der Versorgungsschutz vorgeht, also kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht (BSGE 50, 80, 82; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 478i; Bereiter-Hahn/Schiecke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 541 Anm 5; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 541 Anm 8 bis 10; KassKomm-Ricke, § 541 RVO RdNr 5). Voraussetzung ist, daß der betroffenen Person für den Arbeitsunfall Versorgung nach dem BVG oder solchen Gesetzen gewährt wird, die das BVG für anwendbar erklären (s hierzu BSG SozR 3-2200 § 541 Nr 2 = SGb 1991, 153 ff mit Anm von Jung und Urteil des Senats vom 25. Oktober 1989 - 2 RU 40/86 - in SGb 1990, 465, 466 f). Der Kläger erhält aufgrund der Bewilligung des Versorgungsamts Stuttgart Versorgungsleistungen gemäß § 47 Abs 1 Satz 1 ZDG iVm den Vorschriften des BVG.

Die Voraussetzungen des 2. Halbsatzes des § 541 Abs 1 Nr 2 RVO liegen dagegen nicht vor. Diese Vorschrift meint Unfälle, die Folge einer früher erlittenen Schädigung iS der Versorgungsgesetze sind. Das trifft im Falle des Klägers nicht zu.

Mithin war der Kläger versicherungsfrei, dh nicht Versicherter iS des § 548 Abs 1 RVO, als er den streitigen Unfall erlitt. Es fehlt somit an einem Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung iS des § 548 Abs 1 RVO.

Dem steht - wie das LSG ebenfalls zutreffend entschieden hat - das Urteil des 9b-Senats des BSG vom 16. Mai 1984 (- 2 RU 64/82 - BSGE 56, 279) nicht entgegen. Der (heute nicht mehr im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung tätige) 9b-Senat hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem zwei verschiedene Unternehmen mit verschiedenen Unternehmensinteressen, die Deutsche Bundesbahn (DB) und eine Transportfirma, auf einem vertraglich begrenzten Gebiet zusammenarbeiteten. Die Transportfirma hatte danach den DB-Stückgut-Hausverkehr von einem Hauptbahnhof aus zu übernehmen und durchzuführen. In diesem Zusammenhang wurde der Betriebshauptaufseher der DB bei der Güterabfertigung des Hauptbahnhofs verletzt, als er einem Fahrer der Transportfirma bei seiner betrieblichen Tätigkeit half, eine größere Kiste zum Lkw der Transportfirma zu tragen. Dazu führte der 9b-Senat aus, die Versicherungsfreiheit des Beamten sei ausschließlich auf das Beamtenverhältnis beschränkt und habe den Zweck, eine Doppelversorgung zu vermeiden (BSGE aaO S 282). Diese Zielsetzung schließe es jedoch nicht aus, daß die Tätigkeit eines Beamten mehreren bei verschiedenen Versicherungsträgern versicherten Unternehmen dienen könne. Eine Tätigkeit sei nicht nur dem Dienstherrn, sondern zugleich einem anderen Unternehmen zuzuordnen, wenn bei diesem Unternehmen die Voraussetzungen eines "Versichertseins" zumindest nach § 539 Abs 2 RVO erfüllt seien (BSGE aaO S 281 f). Demgegenüber unterscheidet sich die Fallgestaltung des vorliegenden Rechtsstreits wesentlich. Der Kläger war ausschließlich im Rahmen seines Zivildienstverhältnisses tätig, das alle Tätigkeiten einschloß, die der Kläger in der Jugendherberge zu verrichten hatte. Die Jugendherberge des Beigeladenen zu 1) und der Jugendherbergsvater traten ihm nicht als privatrechtliche Unternehmer, sondern ausschließlich als Dienststelle und Dienststellenleiter gegenüber. Das folgt aus der Rechtsnatur des Zivildienstverhältnisses. Dieses Rechtsverhältnis schließt es aus, dieselben Rechtsbeziehungen zugleich auch noch als privatrechtliche zwischen Arbeitgeber und Unternehmer zu einem Arbeitnehmer und Beschäftigten oder wenigstens als diesen ähnlich zu bewerten (§ 539 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 RVO).

Gemäß § 3 Satz 1 ZDG kann der Zivildienst in einer dafür anerkannten Beschäftigungsstelle geleistet werden. Als anerkannte Beschäftigungsstelle kommen gleichermaßen öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen wie auch privatrechtliche Einrichtungen in Betracht. Durch die in § 4 ZDG geregelte Anerkennung, die im Verhältnis zu privatrechtlichen Bewerbern als mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt zu qualifizieren ist (BGHZ 75, 253, 255; BGH NVwZ 1990, 1103, 1104; Harrer/Haberland, Zivildienstgesetz, 2. Aufl 1975, § 3 ZDG Anm 3), wird den Beschäftigungsstellen iS des § 4 ZDG ungeachtet ihrer rechtlichen Organisationsform die Rechtsmacht verliehen, in ihrem Bereich den Zivildienst im eigenen Namen durchzuführen (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] NVwZ 1988, 1027, 1028). Die Beschäftigungsstelle - hier die Jugendherberge -wird für die Aufgabe mit einzelnen hoheitlichen Aufgaben ausgestattet. So erhält gemäß § 30 ZDG der Leiter der Dienststelle die Befugnis, als Vorgesetzter dienstliche Anordnungen gegenüber dem Zivildienstleistenden zu erlassen, deren Mißachtung gemäß § 54 ZDG strafbewehrt ist. Zudem kann dem Dienststellenleiter - hier dem Jugendherbergsvater - gemäß § 61 Abs 2 ZDG Disziplinargewalt anvertraut werden (Harrer/Haberland aaO § 61 ZDG Anm 3). Diese durch den staatlichen Akt der Anerkennung gemäß § 4 ZDG begründete Rechtsstellung der Jugendherberge, die zur Ausübung einzelner hoheitlicher Befugnisse im eigenen Namen gegenüber dem Zivildienstleistenden berechtigt, ist rechtlich als Beleihung zu bewerten (BVerwG aaO; BGHZ aaO S 256; BGH NVwZ 1990, 1103; Harrer/Haberland, aaO). Das Verhältnis der Jugendherberge zu dem Kläger war daher ausschließlich öffentlich-rechtlich geprägt (BGH aaO). Die Dienststelle kann, soweit sich aus dem Anerkennungsbescheid nichts anderes ergibt, den Zivildienstleistenden zu allen Arbeiten heranziehen, die in der Beschäftigungsstelle anfallen und zu denen der Dienstleistende geeignet ist. Hierher gehören etwa auch handwerkliche oder gärtnerische Tätigkeiten (Harrer/Haberland aaO § 3 ZDG Anm 6). Der Kläger verrichtete also "Dienst" iS des § 27 ZDG, als er am 11. Juli 1987 auf Weisung seines Dienstvorgesetzten gemäß § 30 ZDG die Fenster der Jugendherberge strich.

Aufgrund der Rechtsstellung der Jugendherberge als Dienststelle iS des § 4 ZDG fehlt es an einer Grundlage und sachlichen Notwendigkeit, das Verhältnis des Klägers zu seiner Dienststelle (bzw zu dem Beigeladenen zu 1) zusätzlich noch privatrechtlich zu werten und dementsprechend zusätzlichen Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung anzunehmen. Der Senat folgt hierbei dem Bundesgerichtshof (BGH), der anläßlich der Amtshaftungsklage einer Zivildienststelle gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Schäden, die ein Zivildienstleistender dieser Beschäftigungsstelle zugefügt hatte, ausgeführt hat, daß eine juristische Person des Privatrechts, die als Beschäftigungsstelle gemäß § 4 ZDG anerkannt ist, in eine so enge Beziehung zu der Bundesrepublik trete, daß beide nach außen hin als Teile einer einheitlichen Organisation erscheinen (BGHZ 87, 253, 255, insbesondere auch 257). Deshalb stehen auch dem Kläger insoweit nur öffentlich-rechtliche Ansprüche gegen seinen Dienstherrn zu, der hier durch den Dienststellenleiter als Dienstvorgesetzter ausschließlich eine dienstliche Anordnung gemäß § 30 ZDG ausgesprochen hat. Neben diesem öffentlich-rechtlichen Akt lag entgegen der Auffassung der Revision nicht noch gleichzeitig eine privatrechtliche und privatnützige Willenserklärung des Jugendherbergsvaters als Arbeitgeber oder Unternehmer vor, der der Kläger außerhalb und neben seinem Zivildienst nachgekommen ist.

Damit scheidet eine nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versicherte Tätigkeit aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

NJW 1994, 77

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