Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.07.2021; Aktenzeichen L 11 KA 49/18)

SG Dortmund (Entscheidung vom 02.05.2018; Aktenzeichen S 16 KA 55/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2700 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Die klagende Ärztin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Kostenumlage für den ärztlichen Notfalldienst.

Die Klägerin nimmt seit 1990 als Hausärztin an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Ihrem 2016 gestellten Antrag auf Befreiung von der Verpflichtung zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst entsprach die beklagte KÄV unter Hinweis auf § 11 Abs 3 (Vollendung des 65. Lebensjahres) der Gemeinsamen Notfalldienstordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe vom 11.11.2009/20.3.2010 (im Folgenden: GNO) mit Wirkung zum 10.5.2017; zudem teilte sie der Klägerin mit, dass sich ihre Kostenbeteiligung am Notdienst aufgrund der Befreiung auf 50% reduziere (Bescheid vom 17.8.2016). Den Widerspruch der Klägerin gegen die anteilige Kostenumlage, mit welchem diese ua geltend machte, dass die Kosten des Notfalldienstes nur die dazu herangezogenen Ärzte zu tragen hätten, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.4.2017). Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des SG vom 2.5.2018 und des LSG vom 28.7.2021). Das LSG hat ausgeführt, mit der Ausgestaltung und Organisation des ärztlichen Notfalldienstes werde die Beklagte ihrer Verpflichtung nach § 75 Abs 1 Satz 2 SGB V zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung auch zu den sprechstundenfreien Zeiten gerecht. Die Berechtigung zur Feststellung der Verpflichtung der Klägerin, die Kostenumlage zu entrichten, folge aus der in § 81 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V geregelten Befugnis der Beklagten zur Erhebung von Gebühren und Beiträgen bei ihren Mitgliedern. Dieser Regelung sei keine Beschränkung der Beitragserhebung auf allein am Notfalldienst teilnehmende Ärzte zu entnehmen. Die Beklagte habe in ihrer Satzung die notwendigen Bestimmungen aufgestellt, die durch die GNO und den Wirtschaftsplan in zulässiger Weise konkretisiert worden seien. Nach § 13 GNO seien die Kosten für die Organisation und Durchführung des Notfalldienstes auf alle zum Notfalldienst verpflichteten Ärzte gleichmäßig umzulegen. Für Ärzte, die - wie die Klägerin - von der Teilnahme befreit seien, sehe § 13 Abs 1 Satz 3 GNO eine hälftige Reduzierung der Umlage vor. Die Klägerin habe kraft ihrer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung weiterhin in zeitlicher Hinsicht umfassend und auch in Zeiten außerhalb der Sprechstunden für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stehen. Von dieser Verpflichtung werde sie durch den eingerichteten und organisierten Notfalldienst entlastet. Vor diesem Hintergrund begegne es keinen Bedenken, sie weiterhin zur Kostenumlage heranzuziehen.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

II

A. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Sie hat in ihrer Beschwerdebegründung eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160 Abs 2 Nr 1 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfG Beschluss vom 14.6.1994 - 1 BvR 1022/88 - BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG Beschluss vom 13.5.1997 - 13 BJ 271/96 - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG wird bei der Grundsatzrüge nur genügt, wenn der Beschwerdeführer eine Frage formuliert, deren Beantwortung nicht von den Umständen des Einzelfalles abhängt, sondern die mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (zu dieser Anforderung vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Zudem muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen (vgl BSG Beschluss vom 19.7.2017 - B 6 KA 6/17 B - juris RdNr 4; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14d); eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG Beschluss vom 7.11.1994 - 2 BvR 2079/93 - DVBl 1995, 35 = juris RdNr 15). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s zB BVerfG Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14). Das Vorbringen der Klägerin genügt diesen Erfordernissen nicht.

Die Klägerin bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Frage:

"Folgt aus der in § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V geregelten Befugnis der Beklagten zur grundsätzlichen Erhebung von Gebühren und Beträgen bei ihren Mitgliedern ebenfalls die Befugnis, eine anteilige Kostenumlage derjenigen Ärzte aufzuerlegen, die aufgrund von Erkrankung bzw. aus Altersgründen von der Erbringung des Notfalldienstes befreit sind"?

Ergänzend führt sie in ihrer Beschwerdebegründung hierzu aus: Sämtliche bislang ergangenen Entscheidungen zur Kostenumlage sowie die Kommentierungen zur Vorschrift des § 81 Abs 1 SGB V würden allein Rechtsfragen der am Notfalldienst teilnehmenden Ärzte betreffen. Ob die Erhebung eines Kostenbeitrags bei Ärzten, die aufgrund Erreichens des Pensionsalters bzw krankheitsbedingt von der Teilnahme am Notfalldienst befreit seien, zulässig sei, sei dagegen noch offen. Diese besondere, vulnerable Arztgruppe erfahre durch die Notfalldienstbefreiung eine Modifizierung ihrer Berufspflichten; dies müsse sich in einer vollständigen Befreiung von der Kostenumlage niederschlagen.

Damit hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Es fehlt bereits an jeglicher inhaltlicher Befassung mit der Rechtsprechung des Senats zu Fragen der Reichweite des § 81 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V und zu Fragen der Heranziehung der Vertragsärzte zu den Belastungen des Notfalldienstes, obwohl das LSG seine Entscheidung maßgeblich auf die Urteile des Senats vom 30.10.2013 (B 6 KA 1/13 R - SozR 4-2500 § 81 Nr 8) und vom 11.12.2013 (B 6 KA 39/12 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 14) gestützt hat. Der pauschale Hinweis, die gestellte "Rechtsfrage" sei "bislang noch offen", - und "sämtliche Entscheidungen" - ohne eine einzige Entscheidung des BSG konkret zu benennen - beträfen allein Rechtsfragen der am Notdienst teilnehmenden Ärzte - genügt nicht.

Bereits zu § 368m Abs 1 Satz 2 Nr 4 RVO, der Vorgängervorschrift des § 81 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V, wonach die Satzung einer Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Bestimmungen über die Aufbringung und Verwaltung der Mittel enthalten muss, hat der Senat entschieden, dass die KÄV Gegenleistungen für die Inanspruchnahme besonderer Einrichtungen verlangen und die Höhe solcher Unkostenumlagen nach den Vorteilen bestimmen kann, die ihren Mitgliedern aus der Benutzung der entsprechenden Einrichtungen erwachsen (BSG Urteil vom 12.5.1993 - 6 RKa 33/92 - SozR 3-2500 § 81 Nr 5 S 12; vgl auch BSG Urteil vom 3.9.1987 - 6 RKa 1/87 - SozR 2200 § 368m Nr 4 S 8). Regelungstechnisch reicht es dabei aus, wenn die Satzung die grundlegenden Bestimmungen über die Aufbringung der Mittel enthält und die betragsmäßige Festsetzung der Beiträge einer anderen normativen Regelung überlassen wird. Aus der seit dem 1.1.1989 geltenden gleichlautenden Vorschrift des § 81 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V ergibt sich nichts anderes (BSG Urteil vom 17.7.2013 - B 6 KA 34/12 R - SozR 4-2500 § 81 Nr 6 RdNr 15). In dieser Regelung sieht der Senat in ständiger Rechtsprechung die Ermächtigungsgrundlage für Vorschriften über die "Festsetzung von Verwaltungskosten" (vgl BSG Urteil vom 28.11.2007 - B 6 KA 1/07 R - SozR 4-2500 § 81 Nr 3 RdNr 15; BSG Urteil vom 17.8.2011 - B 6 KA 2/11 R - SozR 4-2500 § 81 Nr 4 RdNr 13; BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 6 KA 1/13 R - SozR 4-2500 § 81 Nr 8 RdNr 13 mwN).

Zudem wäre zu erwarten gewesen, dass sich die Klägerin mit der einer KÄV als Selbstkörperschaft bei Erlass der Bereitschafts(dienst-)ordnung zustehenden Gestaltungsfreiheit, welche auch vom LSG thematisiert worden ist (Urteilsumdruck S 12 f), auseinandersetzt (vgl allg BSG Urteil vom 23.3.2016 - B 6 KA 7/15 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 16 RdNr 17). Da § 81 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V keine näheren Vorgaben für die Ausgestaltung der Erhebung von Beiträgen durch die KÄVen macht, sind auch Art und Weise der Einnahmenerhebung dem Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers überlassen, der dabei die allgemeinen Grundsätze des "Beitragsrechts" sowie den Gleichheitssatz zu beachten hat (vgl zuletzt BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 6 KA 1/13 R - SozR 4-2500 § 81 Nr 8 RdNr 21 mwN und Urteilsumdruck LSG S 12). Danach ist die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, ob der Normgeber einer Beitragsregelung mit dem von ihm gewählten Maßstab die Grenzen seines Gestaltungsspielraums gewahrt hat.

Zudem hat der Senat bereits geklärt, dass die grundsätzliche Verpflichtung jedes Vertragsarztes zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst nicht aus der Satzungsgewalt der KÄV, sondern aus seinem Zulassungsstatus folgt (BSG Urteil vom 6.9.2006 - B 6 KA 43/05 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 5 RdNr 10; BSG Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 39/12 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 14 RdNr 14; BSG Urteil vom 12.12.2018 - B 6 KA 50/17 R - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 § 95 Nr 35). Dieser Status erfordert es, in zeitlicher Hinsicht umfassend - dh auch in den Zeiten außerhalb der Sprechstunde - für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stehen. Der einzelne Arzt wird mithin dadurch, dass die gesamte Ärzteschaft einen Notfalldienst organisiert, von seiner anderenfalls bestehenden Verpflichtung zur Dienstbereitschaft entlastet. Dementsprechend hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 6.9.2006 ausgeführt, dass jeder Vertragsarzt den Notfalldienst als gemeinsame Aufgabe aller Ärzte gleichwertig mittragen muss (B 6 KA 43/05 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 5 RdNr 19; vgl auch BSG Urteil vom 6.2.2008 - B 6 KA 13/06 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 7 RdNr 14). Diese Verpflichtung zum gleichwertigen Mittragen der Belastungen infolge des ärztlichen Notfalldienstes besteht nach der Rechtsprechung des Senats auch grundsätzlich beispielsweise für den Fall, dass einer persönlichen Teilnahme am Notfalldienst gesundheitliche Gründe entgegenstehen oder wenn der Arzt aus anderen Gründen den Notfalldienst nicht persönlich erbringen kann (BSG Urteil vom 6.2.2008 - B 6 KA 13/06 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 7 RdNr 14). Eine vollständige Befreiung kommt unter dem Gesichtspunkt der gleichmäßigen Belastung (Art 3 Abs 1 GG) nur unter zusätzlichen Voraussetzungen in Frage, wenn nämlich gesundheitliche oder vergleichbare Belastungen zu einer deutlichen Einschränkung der Praxistätigkeit des Arztes führen und ihm aufgrund geringerer Einkünfte aus der ärztlichen Tätigkeit die Mittragung des Notfalldienstes nicht mehr zugemutet werden kann (BSG Urteil vom 6.2.2008 - B 6 KA 13/06 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 7 RdNr 14). Die genannten Entscheidungen des Senats werden in der Beschwerdebegründung nicht einmal erwähnt.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

C. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.

Oppermann                                                      Rademacker                                              Loose

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15285370

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