Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage. Berücksichtigung der Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte. Beitragserstattung

 

Leitsatz (amtlich)

Betrifft eine als grundsätzlich bedeutsam geltend gemachte Rechtsfrage die entsprechende Anwendung einer Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuches (hier § 108 BGB), so ist zur Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit in der Beschwerdebegründung auf die insoweit einschlägige Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte einzugehen.

 

Normenkette

RVO § 1303; AVG § 82; BGB § 108 Abs. 3; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

SG Regensburg (Entscheidung vom 11.10.1994; Aktenzeichen S 9 Ar 373/93)

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 21.05.1996; Aktenzeichen L 5 Ar 608/94)

 

Gründe

Im Ausgangsverfahren ist die Rückgängigmachung einer Beitragserstattung, hilfsweise die Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen, ggf im Wege einer Nachversicherung, streitig.

Der am 20. März 1940 geborene Kläger war bei der Deutschen Bundesbahn zunächst vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 als versicherungspflichtiger Jungwerker und anschließend bis zum 31. Juli 1961 als versicherungsfreier Betriebsaufseher-Anwärter tätig. Auf seinen Antrag wurden ihm mit Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 1959 die in der Zeit vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 entrichteten Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur Rentenversicherung erstattet. Zum 1. August 1961 wechselte der Kläger in eine versicherungsfreie Tätigkeit bei der Finanzverwaltung über, wo er 1991 als Steuerhauptsekretär in den Ruhestand versetzt wurde. Da seine Zeit bei der Deutschen Bundesbahn nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeit angerechnet wurde, erfolgte für die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 eine Nachversicherung. Mit Bescheid vom 23. November 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1993 lehnte die Beklagte sowohl eine Rückgängigmachung der 1959 erfolgten Beitragserstattung als auch eine Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit von September 1954 bis November 1957 ab. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Regensburg ≪SG≫ vom 11. Oktober 1994 und des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 21. Mai 1996).

Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Eine Verpflichtung der Beklagten zur Rückgängigmachung der Beitragserstattung vom 22. Dezember 1959 bestehe nicht. Der Erstattungsbescheid sei wirksam und bestandskräftig geworden. Zwar habe der Kläger als nach damaligem Recht Minderjähriger einen Antrag auf Beitragserstattung nicht wirksam stellen können, auch habe das Fehlen eines wirksamen Antrages auf Beitragserstattung die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur Folge, hier sei jedoch § 108 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechend anzuwenden. Das bedeute, daß ein Zustand schwebender Unwirksamkeit bestanden habe. Nach Eintritt der Volljährigkeit des Klägers, nach damaligem Recht am 20. März 1961, sei seine Genehmigung an die Stelle der fehlenden Genehmigung seines gesetzlichen Vertreters getreten (vgl § 108 Abs 3 BGB). Eine solche Genehmigung könne auch konkludent anzunehmen sein, wenn der volljährig Gewordene den Vertrag fortsetze bzw - wie hier - die Beitragserstattung nicht beanstande. Dies habe von seiten der Beklagten als Genehmigung aufgefaßt werden müssen. Der Beitragserstattungsbescheid vom 22. Dezember 1959 sei also spätestens mit Volljährigkeit des Klägers im März 1961 wirksam geworden.

Der Bescheid sei auch nicht rechtswidrig gewesen. Mit der Aufnahme des Klägers in die Bundesbahn-Anwärterliste ab 1. Dezember 1957 sei die Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung entfallen, ohne daß der Kläger ein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung gehabt habe. Im übrigen ließe sich die seinerzeitige Beitragserstattung auch dann nicht rückgängig machen, wenn deren gesetzliche Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten.

Konzediere man trotz der hoheitlichen Abwicklung einer Beitragserstattung eine gewisse Ähnlichkeit mit öffentlich-rechtlichen Verträgen, so habe hier ein Irrtum über die Geschäftsgrundlage in Gestalt der außerhalb der Beitragserstattung liegenden rechtlichen Gegebenheiten seitens der Beteiligten nicht vorgelegen. Vielmehr habe der Kläger damit rechnen können, bei Fortführung seines Anwärterverhältnisses Versorgung von der Deutschen Bundesbahn unter Einbeziehung auch der Zeit seit dem 1. Dezember 1957 zu erhalten. Die Erwartung des Fortbestehens dieser Perspektive könne aber nicht als Geschäftsgrundlage einer Beitragserstattung angesehen werden, deren Fortfall einen Anspruch auf Rückgängigmachung begründe.

Es finde sich auch keine Rechtsgrundlage für eine Nachversicherung. § 8 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, da der Kläger von September 1954 bis November 1957 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Dazu trägt er ua vor: Zwar werde vom LSG anerkannt, daß er als damaliger Minderjähriger keinen wirksamen Antrag auf Beitragserstattung habe stellen können, jedoch werde in rechtsfehlerhafter Weise § 108 BGB entsprechend angewendet. Er habe nachträglich als Volljähriger die Tragweite seines Beitragserstattungsantrages nicht erkennen und damit diesen auch nicht konkludent iS von § 108 Abs 3 BGB genehmigen können, da er damals die Konsequenzen nicht habe übersehen können. Die Annahme einer Genehmigung der Beitragsrückerstattung nach § 108 Abs 3 BGB würde den Minderjährigenschutz ins Gegenteil verkehren. Wegen der besonderen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache schon in diesem Punkt sei die Revision zuzulassen.

Ferner liege die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch darin, wie seine "Zwitterstellung" im damaligen Beschäftigungszeitraum vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 rechtlich zu bewerten sei. Eine einwandfreie Versicherungsfreiheit ab 1. Dezember 1957 sei nicht ohne weiteres gegeben, zumal er zum Ablauf des 31. Juli 1961 ohne Anwartschaft auf Versorgung aus dieser Beschäftigung ausgeschieden sein. Im übrigen sei die vom LSG zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Dezember 1981 für diesen konkreten Sonderfall nicht einschlägig. Die klärungsbedürftige Rechtsfrage sei auch nicht in dem weiter angeführten Urteil des BSG vom 11. Juli 1972 entschieden worden. Diese beziehe sich nicht auf den hier streitbefangenen Fall, dessen Brisanz und Entscheidungswichtigkeit sich erst im Rahmen seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zum 1. Oktober 1991 herauskristallisiert und manifestiert habe. Zwar sei nun die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 nachversichert worden, nicht jedoch der davorliegende Zeitraum vom 1. September 1954 bis zum 30. November 1957. Daraus ergebe sich die besondere Rechtsproblematik für ihn und damit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Aufgrund dieser Konstellation sei seiner Auffassung nach § 8 Abs 2 SGB VI analog anzuwenden. Grundlage für den damaligen Antrag auf Beitragsrückerstattung sei zunächst die falsche Beratung durch die damaligen Dienstvorgesetzten, ferner seine Unmündigkeit und die Ungeklärtheit seiner Stellung für den Zeitraum vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 gewesen. Aufgrund dieser ungeklärten Situation hätte eine Beitragsrückerstattung auch nicht vorgenommen werden dürfen. Zumindest habe ein Irrtum über die Geschäftsgrundlage der Beitragsrückerstattung zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen, der nicht zu seinen Lasten gehen dürfe.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den sich aus § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Anforderungen.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. In der Beschwerdebegründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt und die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es hier.

Um die vom Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache (vgl § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) darzulegen, ist es zunächst erforderlich, die nach Ansicht des Beschwerdeführers grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, daß sie allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitze (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 11, 39). Ferner ist darzutun, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig sei. Das ist zum einen nicht der Fall, wenn die Antwort von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 4, 11). Zum anderen ist auch eine Rechtsfrage, die das BSG bereits entschieden hat, nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit keine grundsätzliche Bedeutung mehr haben, es sei denn, die Beantwortung der Frage ist aus besonderen Gründen klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden; das muß substantiiert vorgetragen werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13, 65). Schließlich ist darzulegen, daß die Rechtsfrage in dem einer Zulassung folgenden Revisionsverfahren entscheidungserheblich und damit auch klärungsfähig sei (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 54).

Diesen Begründungserfordernissen hat der Kläger nicht in vollem Umfang Genüge getan. Es ist bereits zweifelhaft, ob er eine von ihm als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage deutlich genug gestellt hat, jedenfalls fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm angesprochenen Punkte.

Soweit es die Anwendung des § 108 Abs 3 BGB betrifft, hat es der Kläger zur Darlegung eines höchstrichterlichen Klärungsbedarfes gänzlich unterlassen, sich mit der dazu ergangenen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes auseinanderzusetzen. Als höchstrichterlich geklärt muß nämlich eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden, wenn sie zwar vom BSG noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist, zur Auslegung der anzuwendenden Vorschrift aber schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung dieser Frage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8; ebenso Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 117 mwN). Dementsprechend hätte der Kläger in seiner Beschwerdebegründung auf die Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu § 108 Abs 3 BGB eingehen müssen.

Dabei hätte sich folgende Rechtslage ergeben: Zunächst hat das BSG die § 106 ff BGB bereits im Zusammenhang mit dem Antrag eines nicht voll geschäftsfähigen Versicherten auf Beitragserstattung nach § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entsprechend angewandt (vgl BSG SozR Nr 3 zu § 1613 RVO). Ferner ist eine Genehmigung nach § 108 Abs 3 BGB - wie insbesondere der Bundesgerichtshof (BGH) bereits entschieden hat - zwar auch durch schlüssiges Verhalten möglich, sie setzt dann jedoch voraus, daß sich der volljährig Gewordene der schwebenden Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts bewußt gewesen ist oder mindestens mit ihr gerechnet hat (vgl BGHZ 53, 174, 178; BGH LN Nr 4 zu § 108 BGB; ebenso Bundesarbeitsgericht, NJW 1964, 1641, 1643). Unter diesen Umständen hätte der Kläger möglicherweise eine Abweichung des LSG von der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geltend machen können (vgl § 160 Abs 2 Nr 2 SGG), eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lag hingegen fern.

Soweit der Kläger die Frage seiner Versicherungsfreiheit als Anwärter bei der Deutschen Bundesbahn für grundsätzlich bedeutsam hält, kann dahingestellt bleiben, ob er ihre Klärungsbedürftigkeit hinreichend dargetan hat, jedenfalls wäre diese Frage nur entscheidungserheblich und damit klärungsfähig, wenn der Beitragserstattungsbescheid bei Verneinung einer Versicherungsfreiheit des Klägers in der Zeit ab Dezember 1957 und damit bei Fehlen der Voraussetzungen des § 1303 RVO, von der Beklagten zurückgenommen werden müßte. Da das LSG eine Rückgängigmachung der Beitragserstattung auch für diesen Fall unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BSG abgelehnt hat, hätte der Kläger für diese tragende Begründung ebenfalls einen Zulassungsgrund iS von § 160 Abs 2 SGG ordnungsgemäß geltend machen müssen. Auch insoweit läßt die Beschwerdebegründung jedoch die gebotene Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG vermissen. Die bloße Behauptung, die Entscheidungen des BSG vom 11. Juli 1972 (BSG SozR Nr 16 zu § 1232 RVO) und 9. Dezember 1981 (BSG SozR 2200 § 1303 Nr 23) seien im konkreten Fall nicht einschlägig, reicht insoweit nicht aus, um einen weiterhin bestehenden Klärungsbedarf zu begründen, zumal das BSG-Urteil vom 9. Dezember 1981 durch spätere Entscheidungen bestätigt worden ist (vgl BSG SozR 2200 § 1744 Nr 17; SozR 2200 § 1303 Nr 26; SozR 1300 § 45 Nr 7). Auch hinsichtlich der anderen in diesem Zusammenhang vom Kläger hervorgehobenen Gesichtspunkte wird nicht deutlich, warum sie einer Heranziehung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenstehen sollen.

Schließlich stellen auch die Ausführungen des Klägers zur analogen Anwendung des § 8 Abs 2 SGB VI und zum "Irrtum über die Geschäftsgrundlage" keine hinreichende Beschwerdebegründung dar; sie entbehren insbesondere einer näheren Darlegung der Klärungsbedürftigkeit damit zusammenhängender Rechtsfragen.

Da somit Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt worden sind, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger bleibt die Möglichkeit, das von ihm beanspruchte Recht auf Rückabwicklung der im Jahre 1959 erfolgten Beitragserstattung in einem Verfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erneut geltend zu machen.

Die Verwerfung der Beschwerde des Klägers kann in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173119

SozR 3-1500 § 160a, Nr.21

SozSi 1998, 69

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