§ 350 Leistung an den Schuldner

 

1Ist im Inland zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse des ausländischen Insolvenzverfahrens zur erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. 2Hat er vor der öffentlichen Bekanntmachung nach § 345 geleistet, so wird vermutet, dass er die Eröffnung nicht kannte.

Bisherige gesetzliche Regelungen: Art. 102 EGInsO

1. Regelungsbereich

 

Rn 1

§ 350 dient dem Schutz gutgläubiger Drittschuldner. Gerade in grenzüberschreitenden Insolvenzfällen werden die Drittschuldner häufig keine Kenntnis von der Eröffnung des Verfahrens im Ausland haben.[1] Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat der EU (Ausnahme: Dänemark) enthält Art. 24 EuInsVO eine ähnliche Regelung.[2]

 

Rn 2

§ 350 regelt, unter welchen Voraussetzungen der Leistung des Drittschuldners dennoch eine schuldbefreiende Wirkung zukommt. Der Leistende ist – obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse des ausländischen Verfahrens zu erfüllen war – vor einer erneuten Inanspruchnahme geschützt, wenn er seine Leistung in Unkenntnis der Eröffnung des Verfahrens gutgläubig an den Schuldner erbringt.

 

Rn 3

Die Vorschrift kann zu einer erheblichen Verkürzung der Masse im ausländischen Verfahren führen.[3] Da vor der öffentlichen Bekanntmachung (§ 345) nach § 350 Satz 2 sogar vermutet wird, dass der Drittschuldner die Eröffnung nicht kannte, sollte der ausländische Verwalter umgehend die Bekanntmachung nach § 345 veranlassen, wenn er von der Existenz der Drittschuldner in Deutschland Kenntnis erlangt.[4] Auch wenn die öffentliche Bekanntmachung für die Anerkennung des ausländischen Verfahrens nicht erforderlich ist,[5] zeigt sich in § 350 Satz 2 deutlich, dass an die Bekanntmachung der ausländischen Entscheidung im Inland unmittelbar rechtliche Wirkungen anknüpfen.[6]

[1] BegrRegE, BT-Drs. 15/16, S. 23.
[2] Art. 24 EuInsVO sieht ebenfalls vor, dass derjenige, der in einem Mitgliedstaat an den Schuldner leistet, obwohl er an den Verwalter des Insolvenzverfahrens hätte leisten müssen, befreit wird, wenn er keine Kenntnis von der Eröffnung des Verfahrens hatte. Die Regelungen zur Beweislast unterscheiden sich allerdings von denen des § 349. Zur Vergleichbarkeit des Regelungsgehalts der Normen vgl. BegrRegE, BT-Drs. 15/16, S. 23; Paulus, DStR 2005, 334 (339). Für inländische Insolvenzverfahren enthält § 82 eine entsprechende Regelung.
[3] MünchKommBGB-Kindler, § 350 Rn. 1126.
[4] Vgl. Braun-Liersch, § 350 Rn. 14; MünchKommBGB-Kindler, § 350 Rn. 1126.
[5] BegrRegE, BT-Drs. 15/16, S. 22.
[6] Pannen, in: Runkel: Anwaltshandbuch Insolvenzrecht, § 16 Rn. 355; vgl. auch Liersch, NZI 2003, 302 (307).

2. Voraussetzungen einer befreienden Leistung

 

Rn 4

Der Drittschuldner muss zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet haben. Ob und in welchem Umfang eine Leistung zur Erfüllung einer Verbindlichkeit erbracht wurde, bestimmt sich nach dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis.[7]

 

Rn 5

Die Leistung des Drittschuldners muss im Inland getätigt worden sein. Maßgebend ist, dass der Leistungsort, also der Ort, an dem die Leistung erbracht werden muss (§ 269 BGB), im Inland liegt.[8] Bei einer Warenlieferung oder einer Geldleistung ist ausreichend, dass die Absendung im Inland erfolgte.[9]

 

Rn 6

§ 350 ist nicht einschlägig, wenn der Drittschuldner seine Leistung im Staat der Verfahrenseröffnung oder einem anderen Staat getätigt hat.[10] Zu welcher Zeit und an welchem Ort der Schuldner seine Leistung erbringen muss, ergibt sich aus dem Vertragsstatut.[11] Bei Leistungen im Eröffnungsstaat bestimmt sich nach der lex fori concursus,[12] ob eine Befreiung von der Leistungspflicht auch dann eintritt, wenn der gutgläubige Drittschuldner nach der Eröffnung des ausländischen Verfahrens und in Unkenntnis der Verfahrenseröffnung noch an den Schuldner leistet.

 

Rn 7

In zeitlicher Hinsicht muss der Drittschuldner seine Leistung nach der Eröffnung eines ausländischen Verfahrens erbracht haben, das unter Berücksichtigung der Regelungen in § 343 Abs. 1 im Inland anerkannt wird. Dabei kann es sich nur um ein eröffnetes Hauptverfahren handeln.[13] Allein einem Hauptverfahren kommt universelle Wirkung zu, so dass auch auf Forderungen zugegriffen werden kann, die in einem anderen Staat zu erfüllen sind.[14] Für die Bestimmung des Zeitpunktes der Eröffnung des Verfahrens ist das Insolvenzstatut des Eröffnungsstaates ausschlaggebend.[15]

 

Rn 8

Die Leistung hätte zudem an den ausländischen Verwalter erbracht werden müssen. Ob die Verbindlichkeit von dem Insolvenzbeschlag erfasst wird – so dass die Leistung in die ausländische Insolvenzmasse hätte erfolgen müssen – und ob der ausländische Verwalter die Empfangszuständigkeit für die Leistung inne hat, ergibt sich wiederum aus der Anwendung der lex fori concursus.[16]

 

Rn 9

Schließlich ist Voraussetzung für den Eintritt der schuldbefreienden Wirkung, dass der Drittschuldner im Zeitpunkt der Leistung gutgläubig war. Die Bösgläubigkeit des Leistenden ist d...

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