Leitsatz (amtlich)

›Wird vor dem Amtsrichter als Strafrichter die Hauptverhandlung begonnen, obwohl das Hauptverfahren noch nicht eröffnet worden ist, so darf der Eröffnungsbeschluß vor Vernehmung des Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung nachgeholt werden. Diese kann der Strafrichter bei Zustimmung des Angeklagten und des Verteidigers danach sogleich fortsetzen.‹

 

Verfahrensgang

AG Dachau

BayObLG

 

Gründe

I. Nach Zustellung der Anklageschrift bestimmte der Strafrichter des Amtsgerichts D. Termin zur Hauptverhandlung; ein Eröffnungsbeschluß wurde nicht erlassen. In der Hauptverhandlung verkündete der Strafrichter nach Verlesung des Anklagesatzes den Beschluß: "Das Hauptverfahren wird gemäß Anklageschrift vom 28. Februar 1978 eröffnet." Der Angeklagte und sein Verteidiger verzichteten auf Einhaltung der Ladungsfrist, und die Hauptverhandlung wurde mit der (weiteren) Vernehmung des Angeklagten zu den persönlichen Verhältnissen und zur Sache fortgesetzt. Sie endete mit einer Verurteilung wegen Vergehens gegen § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Die Berufung des Angeklagten an das Landgericht M. hatte nur teilweise Erfolg. Mit der Revision erhob der Angeklagte die allgemeine Sachbeschwerde.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte von Amts wegen zu prüfen, ob der Durchführung des Verfahrens das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung entgegensteht. Es sieht - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 16, 73, 77 ff) - in dem Beschluß, den der Strafrichter in der Hauptverhandlung verkündet hatte, einen Eröffnungsbeschluß im Sinne des § 207 Abs. 1 StPO. Nach seiner Auffassung durfte dieser Eröffnungsbeschluß noch in der Hauptverhandlung nachgeholt werden, und die Verhandlung konnte - wegen des Verzichts auf Einhaltung der Ladungsfrist - fortgeführt werden.

Das Bayerische Oberste Landesgericht will deshalb in der Sache selbst entscheiden, sieht sich aber hieran gehindert durch das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 1969 (MDR 1970, 783 Nr. 83), das die Auffassung vertritt, der Eröffnungsbeschluß dürfe nicht mehr in der Hauptverhandlung nachgeholt werden. Das Gericht hat daher die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II. 1. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben. Das vorlegende Gericht könnte unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Oberlandesgericht Düsseldorf nicht wie beabsichtigt in der Sache entscheiden, sondern müßte das Verfahren einstellen.

2. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seinem Hauptantrag erübrigt sich auch nicht die Entscheidung des Senats, weil unveröffentliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vorliegen, die die Rechtsfrage bereits im Sinn des vorlegenden Gerichts beantwortet haben. Der Bundesgerichtshof hat sich bisher weder ausdrücklich noch inzidenter mit der Frage befaßt, ob ein überhaupt nicht vorhandener Eröffnungsbeschluß erst in der Hauptverhandlung erlassen werden darf. Das kann auch nicht den vom Generalbundesanwalt angeführten Urteilen entnommen werden.

a) Das gilt zunächst für die Urteile vom 30. Juli 1974 (1 StR 200/74) und vom 27. Februar 1975 (4 StR 310/74). In beiden zugrunde liegenden Fällen waren vor der Hauptverhandlung ordnungsgemäße Eröffnungsbeschlüsse ergangen; in der Hauptverhandlung wurden jeweils die auf weitere Anklagen hin in Gang gesetzten Verfahren dazu verbunden und damit die Hauptverfahren auch insoweit eröffnet. Für die Urteile des Bundesgerichtshofs gaben diese Verbindungen mit bereits ordnungsgemäß eröffneten Verfahren ersichtlich den Ausschlag.

b) Auch das Urteil des beschließenden Senats vom 20. Juli 1976 (1 StR 327/76) betraf eine Verfahrensgestaltung, die keinen Anlaß zur Entscheidung der hier gestellten Rechtsfrage bot. In jenem Verfahren war vor der Hauptverhandlung ein Eröffnungsbeschluß ergangen, der - wie sich in der Hauptverhandlung herausstellte - deshalb mangelhaft war, weil ein nach § 22 Nr. 4 StPO ausgeschlossener Richter daran mitgewirkt hatte. Deshalb wurde in der Hauptverhandlung ein neuer Eröffnungsbeschluß (des gleichen Inhalts) verkündet. Das Urteil des Bundesgerichtshofs befaßt sich insoweit ausdrücklich nur mit den Revisionsrügen einer Verletzung der § 215 StPO, § 217 Abs. 1 StPO, § 218 StPO. Was die von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses angeht, so ist der Senat von der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 10, 56, 58, 59; RGSt 24, 64, 66) und des Bundesgerichtshofs (GA 1973, 111, 112) ausgegangen, daß Mängel eines Eröffnungsbeschlusses noch in der Hauptverhandlung geheilt werden können. Es handelte sich aber um einen bereits bestehenden und somit Rechtswirkungen nach außen zeigenden Beschluß. Davon ist die hier zu beurteilende Sachgestaltung zu unterscheiden, in der vor der Hauptverhandlung überhaupt noch kein Eröffnungsbeschluß bestand.

III. In der Sache selbst schließt sich der Senat - in Übereinstimmung mit den Darlegungen des Generalbundesanwalts zu seinem Hilfsantrag - der Auffassung des vorlegenden Gerichts an.

1. Die von den Oberlandesgerichten Stuttgart (NJW 1962, 1834 Nr. 29) und Düsseldorf (MDR 1970, 783 Nr. 83) sowie im Schrifttum (Meyer/Goßner in LR 23. Aufl. § 207 Rdn. 28; KMR 6. Aufl. § 203 Anm. 1a; Eb. Schmidt, Lehrkommentar, I 2. Aufl. Rdn. 224; Kleinknecht StPO 34. Aufl. § 203 Rdn. 3, anders für Mängel § 207 Rdn. 11) vertretene Ansicht, der Eröffnungsbeschluß können nach Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr nachgeholt werden, so daß wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung Einstellungsurteil ergehen müsse, kann zu ihrer Begründung nicht auf Entscheidungen des Reichsgerichts zurückgreifen. Die in Betracht kommenden Urteile hatten sich mit Verfahren zu befassen, bei denen ohne Behebung von Mängeln des Eröffnungsbeschlusses eine tatrichterliche Sachentscheidung erging (RGSt 10, 56, 57; RGSt 43, 217, 218 f; RGSt 55, 113; RGSt 65, 250, 251; RGSt 68, 105, 106 f, 108; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Oktober 1977 - 1 StR 192/77). Da das Revisionsgericht diese Verfahrensvoraussetzung von sich aus nicht ersetzen konnte, mußte jeweils mangels Prozeßurteilsvoraussetzung (RGSt 55, 113) das Verfahren in der Revisionsinstanz eingestellt werden. Daraus läßt sich aber nicht folgern, daß auch der Tatrichter zur Verfahrenseinstellung verpflichtet ist, wenn er nach Beginn der Hauptverhandlung das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses bemerkt.

2. In Fortführung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die eine Heilung des mangelhaften Eröffnungsbeschlusses noch in der Hauptverhandlung zuläßt, ist dem vorlegenden Gericht zu folgen, da ein unterbliebener Eröffnungsbeschluß noch in der Hauptverhandlung nachgeholt werden kann (so auch schon OLG Hamburg NJW 1962, 1360; von Steuber MDR 1978, 889).

Der fehlende Eröffnungsbeschluß gehört zu den in absehbarer Zeit zu behebenden Verfahrenshindernissen. Der Schluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf, daß ohne Eröffnungsbeschluß Einstellungsurteil ergehen müsse, ist daher schon im Ansatzpunkt nicht zwingend. Der fehlende Eröffnungsbeschluß macht nämlich nicht das gerichtliche Verfahren als solches unzulässig, er verbietet lediglich die Hauptverhandlung durchzuführen, bevor über deren Eröffnung entschieden ist. Erst mit Abschluß der Tatsacheninstanz durch das Sachurteil ist der fehlende Eröffnungsbeschluß zu einem endgültigen, nicht mehr behebbaren Verfahrenshindernis geworden. Selbst das besagt jedoch nicht, daß damit die Durchführung der Hauptverhandlung für immer verwehrt wäre. Hat die auf den mangelhaften Eröffnungsbeschluß gestützte Revision Erfolg, so muß nach Aufhebung und Zurückweisung der Tatrichter über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Hauptverfahrens ordnungsgemäß erneut entschieden werden (BGH, Urteil vom 4. Oktober 1977 - 1 StR 192/77 - S. 10).

3. a) Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, daß es dem Verfahrensrecht nicht fremd ist, daß notwendige Prozeßvoraussetzungen wie etwa der Strafantrag bei Antragsdelikten auch noch nach Beginn der Hauptverhandlung nachgeholt werden können, womit eine zwingende Prozeßvoraussetzung gleichfalls erst verspätet geschaffen wird (RGSt 68, 120, 124; BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51; BGHSt 3, 73, 74). Eine ähnliche Handhabung zeigt sich beim Einbeziehungsbeschluß (§ 266 StPO), mit dem eine nicht in der Anklageschrift enthaltene Tat nach Erhebung der Nachtragsanklage zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden kann.

b) Nichts anderes gilt für den nachgeholten Eröffnungsbeschluß. Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens bekundet ein unabhängiges Gericht, daß auf Grund des Ergebnisses der Ermittlungen bei vorläufiger Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) eine Verurteilung zu erwarten ist. Mit dieser ihm an die Hand gegebenen negativen Kontrollkompetenz soll verhindert werden, daß das Gericht gezwungen ist eine Hauptverhandlung mit allen nachteiligen Konsequenzen für den Betroffenen durchzuführen, wenn es abweichend von der Staatsanwaltschaft die Anklage nicht für schlüssig oder den Tatverdacht nicht für ausreichend hält (Drucksache BT IV/178 S. 19 zu Art. 7 StPÄG). Daß ein Richter, der nach Vorbereitung der Hauptverhandlung und eingehender Durchsicht der Akten bei dem ausnahmsweise in der Hauptverhandlung nachgeholten Eröffnungsbeschluß den hinreichenden Tatverdacht mit geringerer Sorgfalt prüft als dies im Zwischenverfahren geschieht, ist nicht anzunehmen.

Auch die weiteren Befürchtungen, die teilweise im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft anklingen, sind nicht begründet (vgl. § 160 Abs. 2 StPO). Das Argument des Oberlandesgerichts Düsseldorf, ohne vorangehende richterliche Überprüfung dürfe niemand einer öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt werden, überzeugt als Begründung für die Unzulässigkeit der Nachholung des Eröffnungsbeschlusses ebenfalls nicht. Auch das Einstellungsurteil ergeht in der Hauptverhandlung, so daß der Beschuldigte mit dem "Makel" einer Verhandlung behaftet ist, die lediglich aus formalen Gründen nicht durchgeführt, aber nach Beseitigung des Mangels erneut anberaumt werden kann.

c) Der Eröffnungsbeschluß bestimmt weiter in Verbindung mit der Anklage, welche Tat im Sinne des § 264 StPO Gegenstand der Aburteilung sein wird. Er macht die öffentliche Klage rechtshängig und entzieht sie damit der Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft (Kleinknecht a.a.O. § 156 Rdn. 1; § 207 Rdn. 12). Für die Festlegung des Verfahrensgegenstandes spielt der Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses jedoch ebenfalls keine Rolle.

4. Schließlich erfordern schutzwürdige Belange des Beschuldigten nicht die Verfahrenseinstellung. Er ist über die gegen ihn gerichteten Vorwürfe seit Zustellung der Anklage informiert und in der Lage, seine Verteidigung darauf einzurichten. Vor Zustellung des Eröffnungsbeschlusses wird keine Ladungsfrist in Lauf gesetzt. Bei einer erst innerhalb der Hauptverhandlung beschlossenen Eröffnung des Hauptverfahrens können der Angeklagte und sein Verteidiger gemäß § 217 Abs. 1 StPO, § 218 StPO die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen. Hierauf muß der Richter unter Beachtung der Grundsätze des fairen Verfahrens hinweisen. Nach dieser Belehrung können Angeklagter und Verteidiger gemäß § 217 Abs. 3 StPO auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichten - wie im vorliegenden Fall geschehen - und so die sofortige Weiterführung der Hauptverhandlung bewirken.

5. Die weiteren Bedenken, die das Oberlandesgericht Düsseldorf aus der unterschiedlichen Besetzung des Gerichts im Zwischen- und im Hauptverfahren herleitet, dringen jedenfalls bei der Entscheidung des Amtsrichters als Strafrichter nicht durch. Es bedarf daher keiner abschließenden Entscheidung dieser Frage.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992702

BGHSt 29, 224

NJW 1980, 1858

LM StPO § 207 Nr. 1

JZ 1980, 694

MDR 1980, 682

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