Leitsatz (amtlich)

a) Im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit für den Elternunterhalt ist der vom Unterhaltsschuldner an sein minderjähriges Kind geleistete Betreuungsunterhalt nicht zu monetarisieren.

b) Die Leistungsfähigkeit ist jedoch um dasjenige gemindert, was der Unterhaltsschuldner an sein minderjähriges Kind neben der Betreuungsleistung als Barunterhalt in der Form von Naturalunterhalt erbringt. Dieser errechnet sich nach dem Tabellenunterhalt aus dem gemeinsamen Einkommen beider Elternteile unter Abzug des halben Kindergelds und des vom anderen Elternteil geleisteten Barunterhalts.

c) Das dem betreuenden Elternteil zustehende hälftige Kindergeld ist kein unterhaltsrelevantes Einkommen.

d) Trifft die Kinderbetreuung mit einer Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils zusammen, ist nicht ein pauschaler Betreuungsbonus zu gewähren, sondern hängt es von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit das erzielte Einkommen ganz oder teilweise als überobligatorisch unberücksichtigt bleibt.

 

Normenkette

BGB § 1603

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Beschluss vom 14.03.2016; Aktenzeichen 7 UF 22/15)

AG Kronach (Beschluss vom 10.12.2014; Aktenzeichen 1 F 396/13)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 7. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Bamberg vom 14.3.2016 unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsbeschwerde aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - FamG - Kronach vom 10.12.2014 unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde abgeändert.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller für die Zeit vom 22.9.2011 bis zum 31.5.2012 Unterhalt i.H.v. 2.867,37 EUR nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins ab dem 26.4.2013 zu zahlen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Antragsteller begehrt als Sozialhilfeträger von der Antragsgegnerin Elternunterhalt aus übergegangenem Recht.

Rz. 2

Die Antragsgegnerin und ihre Schwester sind die Töchter des im Jahre 1952 geborenen S., der vom 15.9.2011 bis zum 31.5.2012 in einem Heim untergebracht war und während dieser Zeit von dem Antragsteller Sozialhilfe nach §§ 61 ff. SGB XII (Hilfe zur Pflege) i.H.v. insgesamt 4.911,44 EUR bezog. Die vollschichtig erwerbstätige Antragsgegnerin erzielte ein bereinigtes Nettoeinkommen, das sich nach den Feststellungen des OLG nach Abzug zusätzlicher Altersversorgung und weiterer Kreditverbindlichkeiten auf Beträge zwischen 2.685,34 EUR und 3.165,34 EUR belief. Die Antragsgegnerin betreute in der hier relevanten Zeit ihren zunächst elf-, später zwölfjährigen Sohn, von dessen Vater sie getrennt lebte und der für das Kind Barunterhalt i.H.v. 235 EUR monatlich leistete. Die Schwester der Antragsgegnerin verfügte ebenfalls über für den Elternunterhalt einsetzbares Einkommen, und zwar monatlich bis April 2012i.H.v. 63 EUR und ab Mai 2012i.H.v. 130 EUR.

Rz. 3

Von der Antragsgegnerin hat der Antragsteller anteiligen Unterhalt i.H.v. 4.357,19 EUR abzgl. bereits gezahlter 1.275 EUR, mithin noch 3.082,19 EUR verlangt. Das FamG hat die Antragsgegnerin zur Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen verpflichtet. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das OLG die Unterhaltspflicht auf 2.983,73 EUR nebst Zinsen reduziert. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Antragsgegnerin weiterhin die vollständige Abweisung des Zahlungsantrags.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist nur zu einem geringen Teil begründet.

Rz. 5

1. Das OLG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin sei um den Betreuungsunterhalt für das bei ihr lebende Kind gemindert. Dieser sei anhand der Düsseldorfer Tabelle auf der Grundlage ihres bereinigten Nettoeinkommens zu bemessen und um einen Mehrbedarf an Fahrtkosten i.H.v. 50 EUR zu erhöhen. Abzusetzen seien aber lediglich die um das hälftige Kindergeld geminderten Beträge, weil nach dem Grundsatz der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt das auf das Kind entfallende hälftige Kindergeld zur Bedarfsdeckung zu verwenden sei. Die Anrechnung des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts auf den Betreuungsunterhaltsbetrag habe aufgrund der Gleichwertigkeit von Bar- und Naturalunterhalt zu unterbleiben.

Rz. 6

Der Antragsgegnerin könne weder ein Betreuungsbonus noch ein Abschlag für überobligatorische Tätigkeit zugerechnet werden, da Anhaltspunkte für einen erhöhten Betreuungsbedarf des Kindes nicht vorlägen.

Rz. 7

2. Dies enthält bis auf die fehlerhafte Bestimmung des Unterhaltsbeginns keine Rechtsfehler zum Nachteil der Antragsgegnerin als alleiniger Rechtsbeschwerdeführerin.

Rz. 8

a) Zutreffend hat das OLG dem Grunde nach einen Unterhaltsanspruch des Vaters gegen die Antragsgegnerin gem. § 1601 BGB angenommen, der nach § 94 Abs. 1 SGB XII auf die Antragstellerin übergegangen ist. Die Feststellungen zum Unterhaltsbedarf des Vaters der Antragsgegnerin sowie zu den Einkommen der Antragsgegnerin und deren Schwester sind von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen und auch nicht zum Nachteil der Antragsgegnerin rechtsfehlerhaft.

Rz. 9

b) Zu Unrecht hat das OLG den von der Antragsgegnerin für ihr Kind geleisteten Betreuungsunterhalt monetarisiert und von ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen abgezogen. Die neben dem Barunterhalt (oder dem an dessen Stelle geleisteten Naturalunterhalt; vgl. BGH v. 7.5.2014 - XII ZB 258/13, FamRZ 2014, 1138 Rz. 35) geschuldete Betreuung des Kindes der Antragsgegnerin ist nicht auf Geldleistung gerichtet und lässt sich deswegen auch nicht monetarisieren. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist die Betreuung des Kindes nicht unmittelbar einkommensmindernd, sondern kann sich unter den Voraussetzungen der §§ 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2, 1615l Abs. 2 Satz 4 und 5 BGB die daneben geleistete Erwerbstätigkeit als überobligatorisch darstellen (BGH, Beschl. v. 11.11.2015 - XII ZB 7/15, FamRZ 2016, 199 Rz. 17). Dann wäre das neben der Kinderbetreuung erzielte Einkommen im Rahmen der Unterhaltsbemessung nur anteilig zu berücksichtigen (BGH BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rz. 17, 23 und BGH BGHZ 162, 384 = FamRZ 2005, 1154, 1156 f.).

Rz. 10

c) Vom unterhaltsrelevanten Einkommen abzusetzen ist allerdings ein nicht anderweitig gedeckter vorrangiger Barunterhalt an das Kind (oder ein an dessen Stelle tretender Naturalunterhalt; vgl. insoweit BGH v. 11.1.2017 - XII ZB 565/15 - juris Rz. 24 f., 28f.).

Rz. 11

Der Unterhaltsbedarf richtet sich beim Verwandtenunterhalt gem. § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Bei minderjährigen Kindern, die noch im Haushalt (mindestens) eines Elternteils leben, handelt es sich dabei um eine abgeleitete Lebensstellung. Sie leitet sich grundsätzlich von beiden Elternteilen ab, so dass bei der Bedarfsbemessung auf die zusammengerechneten Einkünfte beider Eltern abzustellen ist (vgl. BGH v. 11.1.2017 - XII ZB 565/15 - juris Rz. 25 und BGH, Urt. v. 17.12.2003 - XII ZR 224/00, FamRZ 2004, 370, 373). Insoweit besteht auch kein Unterschied zu einem abgeleiteten Barunterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes, der sich ebenfalls nach den zusammengerechneten Einkünften beider Elternteile bemisst (vgl. BGH, Urt. v. 2.3.1994 - XII ZR 215/92, FamRZ 1994, 696, 698).

Rz. 12

Auf diesen Unterhaltsbedarf des Kindes ist gem. § 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BGB das hälftige Kindergeld anzurechnen. Denn nach der gesetzlichen Regelung in § 1612b Abs. 1 Satz 1 BGB entlastet das Kindergeld die Eltern minderjähriger Kinder zur Hälfte von ihrer Barunterhaltspflicht und steht zur anderen Hälfte dem betreuenden Elternteil (im Wechselmodell den betreuenden Elternteilen) zu (vgl. BGH v. 11.1.2017 - XII ZB 565/15 - juris Rz. 47 ff.; v. 20.4.2016 - XII ZB 45/15, FamRZ 2016, 1053 Rz. 23 ff.).

Rz. 13

Der danach verbleibende Unterhaltsbedarf wird grundsätzlich überwiegend durch den Kindesunterhalt des barunterhaltspflichtigen Elternteils gedeckt. Allerdings ist dessen Unterhaltspflicht auf den Betrag begrenzt, den der Unterhaltspflichtige bei alleiniger Unterhaltshaftung auf der Grundlage seines Einkommens zu zahlen hätte (BGH, Beschl. v. 11.1.2017 - XII ZB 565/15 - juris Rz. 24 m.w.N.). Auch dessen Barunterhaltspflicht wäre um das bei minderjährigen Kindern auf den Barunterhalt entfallende hälftige Kindergeld gemindert. Im vorliegenden Fall hat der Kindesvater nach den Feststellungen des OLG monatlich 235 EUR als Barunterhalt gezahlt.

Rz. 14

Von den Erwerbseinkünften der Antragsgegnerin ist somit der Barunterhaltsbedarf ihres Kindes nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzgl. des hälftigen Kindergelds und abzgl. des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. Denn in dieser Höhe leistet sie neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Danach beträgt der nicht anderweitig gedeckte und deshalb von der Antragsgegnerin zu tragende, ihrem Kind in Naturalien erbrachte Barunterhalt offensichtlich weniger als die vom OLG bereits abgesetzten Beträge, so dass die von ihr allein eingelegte Rechtsbeschwerde insoweit keinen Erfolg hat.

Rz. 15

d) Demgegenüber ist die andere Hälfte des Kindergelds, die die Antragsgegnerin als betreuender Elternteil erhält, nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen.

Rz. 16

Zwar hat der Senat für eine weitere Unterhaltspflicht eines zum Kindesunterhalt barunterhaltspflichtigen Unterhaltsschuldners bereits entschieden, dass bei der Bemessung des unterhaltsrelevanten Einkommens nicht der Tabellenunterhalt des Kindesunterhalts, sondern der um das hälftige Kindergeld geminderte tatsächliche Zahlbetrag des Kindesunterhalts abzusetzen ist (BGH, Urt. v. 24.6.2009 - XII ZR 161/08, FamRZ 2009, 1477 Rz. 22 ff.), so dass sich der auf ihn entfallende Kindergeldanteil einkommenserhöhend auswirkt.

Rz. 17

Dieses kann auf die dem betreuenden Elternteil zustehende Kindergeldhälfte jedoch nicht übertragen werden. Denn anders als beim Barunterhaltspflichtigen mindert der auf den betreuenden Elternteil entfallende Kindergeldanteil nicht die von ihm zu erbringende Betreuungsleistung und damit den von ihm zu erbringenden Unterhalt. Das Kindergeld ist als zweckgebundene, existenzsichernde Leistung für das Kind zu verwenden und mindert dessen individuellen Unterhaltsbedarf. Das Wort "verwenden" bringt dabei zum Ausdruck, dass das Kind Anspruch auf die Auszahlung des Kindergelds oder die Erbringung entsprechender Naturalleistungen gegenüber demjenigen hat, der das Kindergeld ausgezahlt erhält. Die Hälfte des Kindergelds, die dem betreuenden Elternteil zusteht, unterstützt ihn bei der Erbringung der Betreuungsleistung (BT-Drucks. 16/1830, 30). Das geschieht beispielsweise, indem sie ihm Ausgaben ermöglicht, die im Zusammenhang mit der Betreuungsleistung entstehen, jedoch nicht zum unterhaltsrechtlichen Bedarf des Kindes zählen, wie etwa ein eigenes Eintrittsgeld des betreuenden Elternteils bei der Begleitung des Kindes zu einer Veranstaltung oder in eine Einrichtung (vgl. BGH v. 27.5.2009 - XII ZR 78/08, FamRZ 2009, 1300, Rz. 54 f.; v. 24.6.2009 - XII ZR 161/08, FamRZ 2009, 1477 Rz. 31 f.).

Rz. 18

e) Nichts ist dagegen zu erinnern, dass das OLG der Antragsgegnerin weder einen pauschalen Betreuungsbonus belassen noch einen Abschlag für überobligationsmäßige Tätigkeit vorgenommen hat.

Rz. 19

Trifft die Kinderbetreuung mit einer Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils zusammen, ist nach neuerer Senatsrechtsprechung nicht ein pauschaler Betreuungsbonus zu gewähren (vgl. bereits BGH v. 7.11.2012 - XII ZB 229/11, FamRZ 2013, 109 Rz. 29), sondern hängt es von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit das erzielte Einkommen ganz oder teilweise als überobligatorisch unberücksichtigt bleibt (BGH, Beschl. v. 11.11.2015 - XII ZB 7/15, FamRZ 2016, 199 Rz. 17).

Rz. 20

Eine Erwerbstätigkeit ist unterhaltsrechtlich als überobligatorisch zu bewerten, wenn der betreuende Elternteil erwerbstätig ist, obwohl ein Erwerbshindernis in Form der Kinderbetreuung besteht. Über die Anrechnung ist deshalb nach Treu und Glauben unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. für den Ehegattenunterhalt BGH v. 1.10.2014 - XII ZB 185/13, FamRZ 2014, 1987 Rz. 19 f. m.w.N. und zum Kindesunterhalt BGH BGHZ 162, 384 = FamRZ 2005, 1154, 1156 f.).

Rz. 21

Konkrete Umstände, die eine volle Erwerbstätigkeit der Antragsgegnerin neben der Betreuung ihres zunächst elf- und dann zwölfjährigen Sohnes hinderten, und diese deshalb als überobligatorisch erscheinen ließen, sind im vorliegenden Fall allerdings weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

Rz. 22

f) Erfolg hat die Rechtsbeschwerde lediglich, soweit die Antragsgegnerin zur Unterhaltsleistung für die Zeit vom 15. bis 21.9.2011 verpflichtet worden ist. Gemäß § 94 Abs. 4 Satz 1 SGB XII kann der Träger der Sozialhilfe den übergegangenen Unterhalt für die Vergangenheit außer unter den Voraussetzungen des bürgerlichen Rechts nur von der Zeit an fordern, zu welcher er dem Unterhaltspflichtigen die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt hat. Im vorliegenden Fall, in dem nichts zu den Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB festgestellt oder ersichtlich ist, kann von einem Zugang der von der Antragstellerin ausgebrachten Rechtswahrungsanzeige vom 19.9.2011 erst am 22.9.2011 ausgegangen werden, so dass rückwirkend erst ab diesem Zeitpunkt übergegangener Unterhalt gefordert werden kann.

 

Fundstellen

NJW 2017, 1881

FuR 2017, 3

FuR 2017, 325

JZ 2017, 319

MDR 2017, 522

ZfF 2019, 55

ZfF 2019, 62

ZfSH/SGB 2017, 271

FF 2017, 215

FamRB 2017, 167

NJW-Spezial 2017, 228

ZNotP 2017, 111

AiSR 2017, 190

NZFam 2017, 312

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