Leitsatz (amtlich)

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Gehört der Bürgschaftsvertrag deutschen Rechts, der zwischen einem Kreditinstitut und einer hierbei nicht im Rahmen einer selbständigen Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen und durch den eine Kreditforderung des Kreditinstituts gegen einen Dritten abgesichert wird, zu den „Verträgen, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher geschlossen werden” (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften v. 20. Dezember 1965 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, 85/577/EWG, ABlEG Nr. L 372/31 v. 31. Dezember 1985)?

 

Normenkette

HTürGG § 1 Abs. 1; EWG-KL 577/85 Art. 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG München

LG Landshut

 

Tenor

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Gehört der Bürgschaftsvertrag deutschen Rechts, der zwischen einem Kreditinstitut und einer hierbei nicht im Rahmen einer selbständigen Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen und durch den eine Kreditforderung des Kreditinstituts gegen einen Dritten abgesichert wird, zu den „Vertragen, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher geschlossen werden” (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften v. 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, 85/577/EWG, ABlEG Nr. L 372/31 v. 31. Dezember 1985)?

 

Gründe

I.

Der Beklagte übernahm durch schriftliche Erklärung vom 11. September 1992 die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Verbindlichkeiten seiner Eltern gegenüber der Klägerin (einer Bank) bis zum Höchstbetrag von 100.000 DM. Der Vater des Beklagten betrieb ein Bauunternehmen, für das die Klägerin unter anderem einen Kontokorrentkredit eingeräumt hatte. Zur Abgabe der Bürgschaftserklärung kam es im Hause der Eltern des Beklagten, die ein Angestellter der Klägerin nach telefonischer Absprache mit der Mutter des Beklagten aufgesucht hatte. Ober ein Recht, die Bürgschaftserklärung zu widerrufen, wurde der Beklagte nicht belehrt. Im Mai 1993 kündigte die Klägerin alle den Eltern des Beklagten eingeräumten Kredite, die sich damals insgesamt auf mehr als 1,6 Mio. DM beliefen, mit sofortiger Wirkung.

Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung eines Teilbetrages von 50.000 DM aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Der Beklagte hat die Bürgschaftserklärung nach den Bestimmungen des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften vom 16. Januar 1986 (BGBl. I S. 122) – im folgenden: Haustürwiderrufsgesetz oder HWiG – widerrufen. Er hat Widerklage auf Feststellung erhoben, daß der Klägerin auch Ober den eingeklagten Betrag hinaus keine Ansprüche aus der Bürgschaft gegen ihn zustünden. Daß Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat umgekehrt entschieden. Es hat angenommen, die Bürgschaftserklärung sei eine „auf den Abschluß eines Vertrages über eine entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung” im Sinne des § 1 Abs. 1 HWiG, die unter den sonstigen Voraussetzungen dieses Gesetzes widerrufen werden könne. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

II.

Die Frage, ob Bürgschaftsverträge grundsätzlich vom Geltungsbereich des Haustürwiderrufsgesetzes erfaßt werden, ist im Revisionsverfahren entscheidungserheblich.

1. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 HWiG besteht ein Recht auf Widerruf nicht, wenn die möglichen Verhandlungen, auf denen der Abschluß des Vertrags beruht, auf vorhergehende Bestellung des Kunden geführt worden sind. Das Oberlandesgericht hat nach Beweiserhebung eine solche Bestellung verneint. Dagegen erhebt die Revision Verfahrensrügen. Sollten sie begründet sein, so müßte der Rechtsstreit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen werden; anderenfalls wäre die Revision zurückzuweisen. Voraussetzung ist in beiden Fällen, daß das Haustürwiderrufsgesetz anwendbar ist. Ist das nicht der Fall, so ist, soweit es um den Widerruf nach dem Haustürwiderruf- sgesetz geht, der Rechtsstreit in der Revisionsinstanz – abgesehen von der sogleich unter 2 zu erörternden Frage – in dem Sinne Entscheidungsreif, daß der Klage stattzugeben ist.

2. Der Beklagte hat in den Vorinstanzen geltend gemacht, die von ihm übernommene Bürgschaft sei nach § 138 BGB nichtig, weil sie seine Leistungsfähigkeit übersteige und der Vertreter der Klägerin ihn durch verharmlosende Erklärungen (es handele sich nur um eine „kleine Unterschrift”, die keine größere Bedeutung habe und sich nicht auf sein Privatvermögen auswirke) zur Abgabe der Erklärung überredet habe. Auf der Grundlage dieses Vortrags kann die Klage nicht – unabhängig von der Anwendbarkeit des Haustürwiderrufsgesetzes – in der Revisionsinstanz abgewiesen werden, denn das Oberlandesgericht hat dazu bisher keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

III.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden IX. Zivilsenats ist eine Bürgschaft kein auf eine entgeltliche Leistung gerichteter Vertrag im Sinne des § 1 Abs. 1 HWiG, weil sie eine von der Verbindlichkeit des Schuldners verschiedene, eigene, einseitig übernommene Verbindlichkeit des Bürgen begründet (Urt. v. 24. Januar 1991, BGHZ 113, 287, 288 und v. 28. Mai 1991 – IX ZR 260/90, WM 1991, 1210, 1211). Die dagegen erhobenen Einwände sind, soweit sie allein auf das deutsche Recht gestützt werden, nicht zwingend.

1. Es wird geltend gemacht, daß der Bürge seine Leistung – das Einstehen für die fremde Schuld – nicht erbringen würde, wenn nicht der Gläubiger den durch die Bürgschaft zu sichernden Kredit dem Dritten (also dem Hauptschuldner) gewährte oder weiter beließe. Hierin sei das Entgelt für die Bürgschaft zu sehen; denn dieses könne auch in der Leistung an einen Dritten bestehen (Erman/Klingsporn, BGB 9. Aufl. § 1 HWiG Rdnr. 4 a; Larenz/Canaris, Schuldrecht 11/2 13. Aufl. S. 9; Pfeiffer, ZBB 1991 1, 4 f; Wassermann JuS 1992, 908, 910; Probst, JR 1992, 133, 137; Kappus, EuZW 1993, 168; Klingsporn WM 1993, 829, 831; Bunte, WM 1993, 877, 881; im Ergebnis auch Fischer/Machunsky, HWiG 2. Aufl. § 1 Rdnr. 42 f). Daran ist richtig, daß die Bürgschaft Bestandteil eines gegenseitigen Vertrages sein kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der Gläubiger verpflichtet, seinerseits dem Bürgen eine Leistung zu erbringen, etwa ihn selbst, den Bürgen, auf Kredit mit Waren zu beliefern (RGZ 66, 425, 426). Um eine solche Fallgestaltung geht es hier indessen nicht. Es trifft ferner zu, daß die Bürgschaft durch die Sicherungsabrede mit der zu sichernden Forderung gegen den Hauptschuldner verbunden ist. Aber daraus läßt sich die Entgeltlichkeit der Bürgschaft nicht herleiten (vgl auch Larenz/Canaris aaO S. 5). Im Gegensatz zu dem Fall, in dem der Gläubiger neben der Gewährung des zu sichernden Kredits dem Bürgen selbst eineandere Leistung erbringt, bezieht sich die Sicherungsabrede als solche gerade auf die durch die Bürgschaft gesicherte Forderung; gäbe es diese nicht, dann bedürfte es auch der Bürgschaft nicht. Die Bürgschaftsübernahme setzt die zu sichernde Forderung voraus; Entgeltcharakter im Hinblick auf die Bürgschaft bekommt die Forderung dadurch nicht.

Entscheidend dürfte jedoch sein, daß die Frage, ob der Bürge für seine Haftungsübernahme etwas erhält, im hier zu erörternden Zusammenhang falsch gestellt ist. Es hieße die Dinge auf den Kopf stellen, wollte man dem Bürgen den Schutz des Haustürwiderrufsgesetzes gewähren, wenn er ein Entgelt bekommt, nicht dagegen, wenn dies nicht der Fall ist. Vom Zweck des Gesetzes her, den „an der Haustür” mit einem Vertragsschluß konfrontierten Geschäftspartner zu schützen, müßte es gerade umgekehrt sein. Das hat aber mit der Frage der Entgeltlichkeit nichts mehr zu tun (Medicus EWiR 1991, 693, 694).

2. Aus dem soeben angesprochenen Schutzzweck wird gefolgert, § 1 Abs. 1 HWiG sei so zu verstehen, daß es an der Entgeltlichkeit und damit an der Schutzbedürftigkeit des „Kunden” nur dann fehle, wenn dieser eine Leistung erhalte, ohne dafür etwas aufwenden zu müssen; in allen anderen Fällen von „Haustürgeschäften” sei die Entgeltlichkeit zu bejahen (BGH, XI. Zivilsenat, Urt. v. 9. März 1993 – XI ZR 179/92, WM 1993, 683, 684; Bydlinski WM 1992, 1301, 1302 f; MünchKomm-BGB/Ulmer, 3. Aufl. § 1 HWiG Rdnr. 8 a; im Ergebnis auch Schanbacher NJW 1991, 3263 f). Eine solche Auslegung setzt voraus, daß mit dem Haustürwiderrufsgesetz unabhängig vom Vertragsgegenstand alle Verpflichtungen erfaßt werden sollen, die ein „Privatmann” einem Gewerbetreibenden gegenüber aufgrund von Verhandlungen eingeht, die an den in § 1 Abs. 1 HWiG genannten Orten geführt werden. Ein solcher über den Gesetzeswortlaut hinausgehender Regelungsgehalt läßt sich dem Gesetz und seiner Entstehungsgeschichte indessen nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen.

8) Das Haustürwiderrufsgesetz ist nach seinem sachlichen Regelungsgehalt ein Verbraucherschutzgesetz (Gilles NJW 1986, 1131. 1138): es gewährt dem Kunden mit dem Widerrufsrecht einen besonderen Schutz gegenüber den mit der Vertriebsform des „Direktutarketing” verbundenen Gefahren (Wassermann aaO S. 909). Diese bestehen darin, daß der Kunde. dem Waren oder Dienstleistungen im weitesten Sinne im Direktvertrieb angeboten werden, in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt sein kann, weil er mit dem an ihn herangetragenen Angebot überrumpelt und zur Abnahme von gar nicht benötigten Leistungen verleitet werden, dabei unter Umständen keine Zeit und Gelegenheit zu einem Marktvergleich haben und damit letztlich seine Rolle als Marktpartner nicht wahrnehmen kann (vgl. bereits die Begründung zum ersten, vom Freistaat Bayern eingebrachten Gesetzentwurf vom 3. Juni 1975, BR-Drucks. 384/75 S. 5; BTDrucks. 10/2876 S. 1). Auch der Sicherungsgeber, der die Schuld eines anderen absichern soll, ist zweifellos Gefahren ausgesetzt. Diese mögen auch bei Abschluß des Sicherungsgeschäfts außerhalb der Geschäftsräume des Gläubigers noch erhöht sein. Sie sind aber anderer Art als diejenigen, denen der Zielpartner des Anbieters von Waren oder Dienstleistungen ausgesetzt ist. Unter einem „Kunden” versteht die deutsche Sprache den „Käufer” von Waren oder Dienstleistungen, und zwar als Letztverbraucher (Konsument≫ oder gewerblichen Weiterverwender (Brockhaus, Enzyklopädie 19. Aufl. „Kunde”), wobei er vom Haustürwiderrufsgesetz nur in der erstgenannten Eigenschaft angesprochen ist. Auf den Bürgen trifft diese Beschreibung ersichtlich nicht zu. Die ihm drohenden Gefahren kommen typischerweise auch nicht vom Gläubiger. sondern vom Hauptschuldner. Dagegen stellt die Rechtsordnung andere Abwehrmittel zur Verfügung (Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit, § 138 BGB; Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung, § 123 BGB; unter Umständen unzulässige Rechtsausübung, § 242 BGB). Die Anwendung des Haustürwiderrufsgesetzes würde nur einen Randbereich der für den Sicherungsgeber bestehenden Gefahren abdecken. Dem Gesetz läßt sich wegen seiner Zielrichtung als Verbraucherschutzgesetz nicht ohne weiteres entnehmen. daß auch dieser Schutz mit dem Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften erreicht werden sollte (Gottwald BB 1992, 1296, 1298; Wenzel NJW 1993. 2781. 2783).

b) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt keine hinreichend deutlichen Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber den Bürgen und andere Sicherungsgeber in den Kundenschutz des Haustürwiderrufsgesetzes einbeziehen wollte. In der Begründung zu dem schon erwähnten Gesetzentwurf des Freistaates Bayern, der den vom Gesetz zu regelnden Kreis von Geschäften bereits mit „auf den Abschluß eines Vertrags über eine entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung” umschreibt. wird zwar ausgeführt, daß es nicht gerechtfertigt erscheine, nur den einen oder anderen Rechtsgeschäftstyp dem Widerrufsrecht zu unterwerfen; vielmehr solle der Kunde sich von allen Verträgen lösen können die für ihn eine Entgeltpflicht auslösten (BR-Drucks. 384/75 S. 6). Die in dem fast zeitgleich eingebrachten Gesetzentwurf der Freien Hansestadt Bremen enthaltene Beschränkung auf Kauf- und Dienstverträge ist nach Beratung im Rechtsausschuß des Bundesrates nicht gebilligt worden; beim Bundestag eingebracht worden und schließlich in diesem Punkt Gesetz geworden ist der Entwurf des Freistaates Bayern (vgl. BR-Drucks. 394/75 5. 2; BR-Drucks. 10/75 S. 223). Daraus läßt sich aber nicht schließen, daß über die Empfänger von gewerblichen Leistungsangeboten betrieblicher Art hinaus auch Bürgen und Besteller sonstiger Sicherheiten geschützt werden sollten; dagegen spricht schon der im gesamten Gesetzgebungsverfahren beibehaltene Begriff „Kunde” (zur Begriffsbestimmung S. bereits oben unter III 2 a). Ein Indiz gegen eine solche weite Auslegung ist auch der Umstand, daß ein alternativer Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, wonach der Eintritt in einen Verein in das Gesetz einbezogen werden sollte (BT-Drucks. 10/584 S. 2 § 2 Abs. 2; vgl. auch Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages v. 12. November 1985, BTDrucks. 10/4210 S. 9), verworfen worden ist.

3. Der erkennende Senat ist an die Auffassung, die der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in dem oben erwähnten, später als die Urteile des Senats vom 24. Januar 1991 und 28. Mai 1991 (siehe oben III vor 1) ergangenen Urteil vom 9. März 1993 zur Anwendbarkeit des Haustürwiderrufsgesetzes auf die Bürgschaft geäußert hat, nicht gebunden. Da es sich nur um beiläufige, die damalige Entscheidung nicht tragende Erwägungen handelte, bedarf es nicht der Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs.

IV.

Es wird ferner die Auffassung vertreten, die obengenannte EG-Richtlinie beziehe auch Bürgschaftsverträge nach Art des deutschen Rechts und andere Sicherungsverträge in den von ihr gewährten Mindestschutz (vgl. Art. 8 der Richtlinie) ein. Aus diesem Grunde sei das deutsche Haustürwiderrufsgesetz im gleichen Sinne auszulegen (BGH, XI. Zivilsenat, Urt. v. 9. März 1993 aaO und – für die Sicherungsgrundschuld – v. 26. September 1995 – XI ZR 199/94, WM 1995, 2027, 2028 f; Bunte WM 1993, 877, 879; MünchKomm-BGB/Ulmer, aaO § 1 HwiG Rdnr. 8 a).

1. Die EG-Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist kurz vor der Verabschiedung des Haustürwiderrufsgesetzes vom 16. Januar 1986 am 20. Dezember 1985 erlassen worden. Die Vorarbeiten zu beiden Regelungswerken liefen lange Zeit parallel zueinander. Bei der abschließenden Beratung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages und im Bundestag selbst ist die Mehrheit, die das Haustürwiderrufsgesetz zustande gebracht hat, davon ausgegangen, daß sich dieses im Rahmen des damals vorliegenden Entwurfs der Richtlinie halte (BT-Drucks. 10/4210 S. 9). Schon daraus ergibt sich, daß der deutsche Gesetzgeber mit dem neuen Gesetz nicht hinter den Anforderungen der Richtlinie zurückbleiben wollte. Das entspricht der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die in den Richtlinien der Gemeinschaft vorgesehenen Ziele zu erreichen. Nationales Recht, daß in den Regelungsbereich einer Richtlinie der Gemeinschaft fällt, ist deshalb nach Möglichkeit so auszulegen, daß es den Anforderungen der Richtlinie gerecht wird (EuGH, Vorabentscheidung v. 13. November 1990 – Rs. c-106/89, Slg. 1990, 4135 = DB 1991, 157, 158; BGHZ 63, 261, 264 f; BGHZ 87, 59, 61). Das gilt auch für das Haustürwiderrufsgesetz im Hinblick auf die EG-Richtlinie vom 20. Dezember 1985 (EuGH, Urt. v. 14. Juli 1994 – Rs. C-91/92. EuzW 1994. 498, 500; BGH, Urt. v. 4. Mai 1994 – XII ZR 24/93, 0£ 1994, 1390, 1391).

Trotz des Wortlauts des § 1 Abs. 1 HWiG. nach dem es sich um eine auf den Abschluß eines Vertrags über eine entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung handeln muß, ist es möglich, diese Bestimmung so auszulegen, daß auch Bürgschaftserklärungen von der Regelung des Gesetzes erfaßt werden. Da die Bürgschaft als Sicherungsmittel auf die zu sichernde Forderung bezogen und mit dieser immer auf irgendeine Weise verknüpft ist, ist es nicht ausgeschlossen, daß das Gesetz auch solche Willenserklärungen erfaßt, die eine Forderung aus einem Vertrag über eine entgeltliche Leistung absichern. Entscheidend ist, ob solche Sicherungsverträge mit anderen Personen als dem Abnehmer der gewerblichen Leistung noch in dem vom Verbraucherschutzzweck des Gesetzes gezogenen Rahmen liegen. Sollte diese Frage für die EG-Richtlinie zu bejahen sein, so könnte und müßte das nach dem Gesagten auch für die durch das deutsche Gesetz getroffene Regelung gelten. Auf der anderen Seite ist, wie sich bereits aus den obenstehenden Ausführungen unter III ergibt, kein hinreichender Anhaltspunkt dafür vorhanden, daß der deutsche Gesetzgeber in dem Punkt, um den es hier geht, über den Regelungsbereich der Richtlinie hinausgehen wollte. Es kommt daher für die Auslegung des Gesetzes und damit auch für die Entscheidung des vorliegenden Falles darauf an, ob die Richtlinie Sicherungsgeschäfte nach Art einer Bürgschaft des deutschen Rechts mit ihrer Regelung erfaßt.

2. Die Richtlinie gilt nach Art. 1 Abs. 1 für „Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher geschlossen werden”. Sie enthält damit keine Einschränkung auf „entgeltliche” Verträge; im ersten Erwägungsgrund zur Richtlinie wird überdies vom „Abschluß von Verträgen oder einseitigen Verpflichtungserklärungen” gesprochen. Daraus wird gefolgert, es sei eindeutig und unzweifelhaft, daß Bürgschafts- und ähnliche Sicherungsverträge mit einem anderen als dem Abnehmer der Leistung des Gewerbetreibenden vom Schutzbereich der Richtlinie erfaßt würden (BGH, XI. Zivilsenat, Urt. v. 26. September 1995 aaO; Bunte, 0£ 1993, 877, 881; Kappus EuZW 1993, 168). Diese Auffassung vermag der Senat nicht zu teilen. Auch die Richtlinie enthält – ebenso wie das deutsche Haustürwiderrufsgesetz – eine Verbraucherschutzregelung. Das ist im dritten Erwägungsgrund ausdrücklich ausgesprochen. Dementsprechend wird der geschützte Vertragspartner in der Richtlinie „Verbraucher” genannt. Dieser Ausdruck bedeutet in der deutschen Sprache ähnlich dem Wort „Kunde” den „Käufer” von Waren und Dienstleistungen, und zwar beschränkt auf die eigene Bedürfnisbefriedigung (Brockhaus aaO „Verbraucher”, 2). Folgerichtig ist in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie der Vertragspartner des Verbrauchers als „Gewerbetreibender, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt”, bezeichnet. Für den Bürgen oder einen sonstigen Sicherungsgeber und seinen Vertragspartner treffen diese Benennungen nicht ohne weiteres zu. Im vierten Erwägungsgrund wird außerdem darauf hingewiesen, daß der Verbraucher – bei Haustürgeschäften – häufig keine Möglichkeit habe, Qualität und Preis des Angebots mit anderen Angeboten zu vergleichen. Das zeigt, daß gerade auch diese Möglichkeit für den Verbraucher, der an einem Haustürgeschäft beteiligt ist, durch das Widerrufsrecht geschaffen werden sollte. Eine solche Vergleichsmöglichkeit dürfte für Sicherungsgeber keine nennenswerte Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die deutschen Kreditinstitute für Bürgschaftsübernahmen weitgehend gleichlautende – vorformulierte – Bedingungen zu verwenden pflegen.

Die Frage, ob der der jeweiligen Regelung zugrundeliegende Schutzzweck auch für Sicherungsgeschäfte mit einem nicht an dem Waren- oder Dienstleistungsgeschäft selbst beteiligten Dritten zutrifft, stellt sich damit nach der Richtlinie in derselben Weise wie für das deutsche Haustürwiderrufsgesetz. Diese Frage läßt sich nicht allein aufgrund des Wortlauts der Richtlinie einschließlich ihrer Erwägungsgründe beantworten. Es bedarf dazu vielmehr einer Auslegung. Diese darf der Senat nach Art. 177 Abs. 3 EWG- Vertrag nicht selbst vornehmen. Er legt die Sache deshalb auf der Grundlage dieser Vorschrift dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor.

 

Unterschriften

Brandes, Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 11.01.1996 durch Vetter-Haschke Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BB 1996, 504

NJW 1996, 930

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1996, 375

ZBB 1996, 141

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