Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Stpfl. hat den Nachweis, daß er zu den vom Nationalsozialismus Verfolgten gehört, grundsätzlich durch eine Bescheinigung der zuständigen Entschädigungsbehörde zu führen. Die entsprechende Regelung des § 13 Abs. 4 letzter Satz EStDV 1957, § 13 Abs. 3 letzter Satz EStDV 1960 ist rechtsgültig.

Diesen Nachweis kann der Stpfl. auch durch eine Bescheinigung der Entschädigungsbehörden erbringen, aus der hervorgeht, daß eine KG, an der er nicht unwesentlich beteiligt war, geschädigt ist.

 

Normenkette

EStG §§ 10a, 51/1; EStDV § 13 Abs. 4, 3

 

Tatbestand

Der inzwischen verstorbene Steuerpflichtige (Stpfl.) ist an einer KG und an einer OHG beteiligt gewesen. Streitig ist, ob dem Stpfl. für die Jahre 1957 bis 1961 die Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn zusteht. Zur Begründung seines Anspruchs auf die Vergünstigung schon für frühere Jahre hat der Stpfl. dem Finanzamt (FA) die folgende Bescheinigung des zuständigen Regierungspräsidenten vom 19. Januar 1955 vorgelegt:

"Bescheinigung (zur Vorlage bei dem Finanzamt)

Entscheidung nach § 9 Abs. 4 EStDV 1950 (BGBl S. 187) in Verbindung mit § 1 Abs. 2 VO über die Bildung und das Verfahren der Betreuung in Groß Hessen vom 27. 11. 1946 (GVBl S. 227)."

Der Stpfl. "ist aus Gründen der Religion verfolgt worden (§§ 7 a Abs. 2, Satz 2, 33 a Abs. 1 EStG, § 9 Abs. 4 EStDV 1950)."

Für die Jahre 1950 bis 1952 hatte das FA dem Stpfl. den Freibetrag gemäß § 33 a EStG 1950/51 und für die Jahre 1953 bis 1956 die Vergünstigung des nicht entnommenen Gewinns gemäß § 10 a EStG 1953/55 gewährt. Für die Jahre 1957 bis 1961 versagte es dagegen die Vergünstigung, weil es zu der überzeugung gekommen war, daß die Voraussetzungen für die Vergünstigung nicht erfüllt seien.

Der Steuerausschuss gab dem Einspruch des Stpfl. statt und gewährte die beantragte Vergünstigung auch für die Jahre 1957 bis 1961. Der Steuerausschuss erkannte an, daß der Stpfl. seine Erwerbsgrundlage dadurch verloren habe, daß er im Jahre 1937 aus seinem Amt als geschäftsführender Gesellschafter der KG entfernt worden sei. Er sei, so führte der Steuerausschuss aus, zwar Gesellschafter der KG geblieben und außerdem an der OHG beteiligt gewesen. Die sich hiernach für das Jahr 1937 ergebenden Einkünfte in Höhe von 5.582 RM hätten ihm eine bescheidene Lebensführung ermöglicht. Der größere Teil dieser Einkünfte, nämlich 4.812 RM, stamme aber aus der Gewinnbeteiligung an der OHG. Diese Einkünfte seien konjunkturbedingt und demgemäß unsicher gewesen, während das weggefallene Geschäftsführergehalt ein sicheres Einkommen gewährleistet habe. Der Stpfl. habe diese Tätigkeit als eine Hauptaufgabe angesehen. Das ergebe sich daraus, daß er bis zur zwangsweisen Unterbrechung seiner Beschäftigung durchgehalten habe. Die Gewinnbeteiligung an der OHG sei nach allem als Erwerbsgrundlage des Stpfl. nur von untergeordneter Bedeutung gewesen.

Auf die Berufung des FA hob das Finanzgericht (FG) die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses auf und setzte die Einkommensteuer für die Jahre 1957 bis 1961 fest, ohne die Vergünstigung zu gewähren. Es stützte seine Entscheidung darauf, daß der Stpfl. seine Zugehörigkeit zur Gruppe der politisch oder religiös Verfolgten nicht ordnungsmäßig nachgewiesen habe. Die Zugehörigkeit, so führte es aus, müsse durch einen Bescheid oder eine sonstige Mitteilung der zuständigen Entschädigungsbehörde erbracht werden. Die Entscheidung über die Zugehörigkeit sei nicht dem FA, sondern der Entschädigungsbehörde übertragen. Da diese die Frage der Zugehörigkeit nur im Entschädigungsverfahren prüfen könne, sei die Vergünstigung des § 10 a EStG zu versagen, wenn ein Steuerpflichtiger zwar politisch oder religiös verfolgt worden sei, aber keine Entschädigungsansprüche habe oder geltend mache. Im Streitfall sei dem Stpfl. aufgegeben worden, eine Bescheinigung der Entschädigungsbehörde vorzulegen. Der Stpfl. habe daraufhin zwar die folgende Erklärung des Regierungspräsidenten vom 13. Juli 1965 vorgelegt: "Eine Bescheinigung für" den Stpfl. "in der gewünschten Form vermag ich nicht zu erteilen, da bei mir keine Verfahren für persönliche Ansprüche des Stpfl. anhängig sind. - Das Entschädigungsverfahren ... betrifft die KG. In diesem Verfahren ist die Frage ob" der Stpfl. "Verfolgter ist und Entschädigungsansprüche nach den Bestimmungen des BEG vom 29. 6. 1956 hat, nicht zu entscheiden". Diese Bescheinigung entspreche aber nicht den Anforderungen des § 13 EStDV 1957. Da der Stpfl. seine Zugehörigkeit zur Gruppe der politisch oder religiös Verfolgten nicht in der vorgeschriebenen Form nachgewiesen habe, sei es nicht erforderlich zu prüfen, ob er seine Erwerbsgrundlage eingebüßt habe.

Der Stpfl. rügt Verfahrensverstöße und unrichtige Anwendung des § 10 a EStG. Das FG hätte, so macht er geltend, die Berufung als unzulässig verwerfen müssen; denn § 263 AO, der dem FA das Recht der Berufung gegen eine dem Stpfl. günstige Entscheidung des Steuerausschusses gebe, sei verfassungswidrig, weil er gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung verstoße. Sachlich sei dem FG entgegenzuhalten, daß die vorgelegten Bescheinigungen hinreichend klar ergäben, daß er zu dem Kreis der Verfolgten gehöre. Zudem dürfe die Steuervergünstigung des § 10 a EStG schon dann nicht versagt werden, wenn der Stpfl. in irgendeiner Weise nachgewiesen habe, daß die Merkmale des § 10 a EStG bei ihm vorlägen. In seinem Falle lägen außer den Bescheinigungen der Entschädigungsbehörden noch Beschlüsse im Rückerstattungsverfahren vor, aus denen sich ergebe, daß er verfolgt worden sei.

Der Stpfl. beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses wiederherzustellen,

der Finanzverwaltung die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen einschließlich der notwendigen Auslagen, die durch die Zuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren entstanden sind.

 

Entscheidungsgründe

Die - nach dem Inkrafttreten der FGO zum 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnde - Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Die erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Der Senat hat in der Grundsatzentscheidung VI 78/63 S vom 3. Juli 1964 (BFH 80, 257, BStBl III 1964, 566) angesprochen, daß die Vorschrift des § 263 Abs. 2 Satz 1 AO die grundgesetzliche Ordnung nicht verletzt. Wenn der Stpfl. darauf hinweist, daß nach der FGO das FA gegen seine eigenen Entscheidungen keine Klage beim FG erheben könne, so übersieht er, daß durch die FGO der Aufbau des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich anders geworden ist. Aus der Tatsache, daß § 263 AO seit der Einführung der FGO ab 1. Januar 1966 nicht mehr gilt, ist - entgegen der Meinung des Stpfl. - nicht zu schließen, daß auch in der Vergangenheit eine Berufung des Vorstehers des FA gegen eine Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses unzulässig gewesen sei. Die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses und die Berufung des Vorstehers des FA gegen diese Einspruchsentscheidung fallen im Streitfall in die Zeit, als § 263 AO noch in Kraft war.

Sachlich ist dem FG darin zuzustimmen, daß Steuerpflichtige, die die Vergünstigung des § 10 a EStG in Anspruch nehmen wollen, den Finanzverwaltungsbehörden den Nachweis, daß sie zu den politisch oder religiös Verfolgten gehören, durch Vorlage eines Bescheides oder einer sonstigen Mitteilung der zuständigen Entschädigungsbehörde zu erbringen haben, wie es in § 13 Abs. 4 letzter Satz EStDV 1957, § 13 Abs. 3 letzter Satz EStDV 1960 vorgesehen ist. In den gesetzlichen Vorschriften, die Vergünstigungen für diese Personengruppe vorsehen (§§ 7 a, 7 e und 10 a EStG), ist zwar eine bestimmte Form des Nachweises der Verfolgung nicht vorgesehen. Die Bundesregierung ist aber im Rahmen der ihr durch § 51 Abs. 1 Ziff. 1 EStG erteilten Ermächtigung geblieben, wenn sie in § 13 Abs. 4 letzter Satz EStDV 1957, § 13 Abs. 3 letzter Satz EStDV 1960 angeordnet hat, daß der Nachweis der Verfolgung durch eine Bescheinigung oder Mitteilung der zuständigen Entschädigungsbehörde zu erbringen ist. Diese Anordnung dient der Durchführung des EStG sowie der Vereinfachung und Gleichmäßigkeit des Besteuerungsverfahrens. Erfahrungsgemäß ist die Feststellung der Auswirkung einer Verfolgung oft schwierig. Bestünde die Bindung der Finanzverwaltungsbehörden an die Entscheidungen der Entschädigungsbehörden nicht, so müßten die Finanzverwaltungsbehörden in vielen Fällen nochmals eine Ermittlungsarbeit leisten, die schon die Entschädigungsbehörden mit besserer Sachkenntnis und geübten Bearbeitern geleistet haben. Die Steuerpflichtigen werden durch diese Regelung insofern nicht benachteiligt, als sie eine ihnen ungünstige Entscheidung der Verwaltungsbehörden im Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten prüfen lassen können. Zum gleichen Ergebnis in der Frage des Nachweises ist die Entscheidung des BFH IV 304/57 U vom 11. Dezember 1958 (BFH 68, 287, BStBl III 1959, 113) gekommen.

Zu Unrecht hat aber das FG die vom Stpfl. vorgelegten Bescheinigungen ohne weiteres als nicht ausreichenden Nachweis im Sinne von § 13 Abs. 4 letzter Satz EStDV 1957, § 13 Abs. 3 letzter Satz EStDV 1960 abgelehnt. Die im Berufungsverfahren vorgelegte Bescheinigung des Regierungspräsidenten ergibt wohl, daß die Personengesellschaft, an der der Stpfl. beteiligt war, Entschädigungsansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz gestellt hat. Wie dieses Verfahren ausgegangen ist, läßt die Bescheinigung nicht erkennen. Der Stpfl. war, wie er angibt, zu rund 15 v. H., also nicht unerheblich, an der KG beteiligt. Ist ein Steuerpflichtiger aber in größerem Masse an einer Personengesellschaft, die Verfolgungsmaßnahmen ertragen mußte, beteiligt gewesen, so wird in vielen Fällen anzunehmen sein, daß auch der Stpfl. als Gesellschafter durch die Verfolgungsmaßnahmen gegen die Personengesellschaft an seinem Vermögen geschädigt worden ist und daher auf die Steuervergünstigung des § 10 a EStG Anspruch hat. Die KG hat jedenfalls, wie die Bescheinigung des Regierungspräsidenten vermuten läßt, unter ihrem Namen bei der Entschädigungsbehörde Ansprüche geltend gemacht. Wenn der Regierungspräsident bescheinigt, daß die KG als solche verfolgt wurde und entschädigungsberechtigt war, so ist zu prüfen, ob nicht auch der Stpfl. als Gesellschafter geschädigt wurde. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist und möglicherweise auf einer unrichtigen Anwendung von § 10 a EStG und § 13 Abs. 4 letzter Satz EStDV 1957, § 13 Abs. 3 letzter Satz EStDV 1960 beruht, war deshalb aufzuheben.

Bei der erneuten Entscheidung hat das FG zu beachten: Das FA ist bei der Veranlagung für die Streitjahre davon ausgegangen, daß der Stpfl. durch die Verfolgung zwar eine Erwerbsgrundlage bei der KG verloren, aber eine zweite Erwerbsgrundlage bei der OHG behalten habe (vgl. dazu Urteil des Senats VI 223/62 U vom 8. November 1963, BFH 78, 181, BStBl III 1964, 73). Der Steuerausschuß ist dem FA darin nicht gefolgt und hat angenommen, der Verlust der Erwerbsgrundlage bei der KG sei für den Stpfl. entscheidend gewesen, weil die Einkünfte aus der OHG demgegenüber nicht ins Gewicht gefallen seien. Hält das FG diese Meinung des Steuerausschusses für unzutreffend, so ist die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses aufzuheben und die Veranlagung des FA wiederherzustellen. Hält das FG dagegen die Würdigung des Steuerausschusses für richtig, so muß es die Frage, ob der Stpfl. den Nachweis seiner Verfolgung in der vorgeschriebenen Form erbracht hat, nochmals prüfen. Wenn es aus dem Bescheid des Regierungspräsidenten, daß die KG verfolgt worden sei, nicht selbst und unmittelbar glaubt entnehmen zu können, daß auch der Stpfl. als Kommanditist verfolgt worden sei, muß es den Regierungspräsidenten zu näheren Angaben in dieser Hinsicht aus den Entschädigungsakten der KG veranlassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412381

BStBl III 1967, 305

BFHE 1967, 112

BFHE 88, 112

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