Nachweis der Berufsunfähigkeit bei Betriebsveräußerung

Für die Feststellung der dauernden Berufsunfähigkeit i.S.d. § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG gelten die allgemeinen Beweisregeln. Daher darf das Gericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung auch nichtamtliche Unterlagen, z.B. Gutachten und andere Äußerungen von Fachärzten und sonstigen Medizinern, heranziehen.

Hintergrund: Freibetrag bei der Veräußerung eines Teilbetriebs

Die X erzielte als Friseurmeisterin aus ihrem Friseurbetrieb Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Betrieb bestand aus einer Hauptniederlassung in B und einer Zweigstelle in K.

Bereits in 2008 hatte sich die X wegen Beschwerden im Bereich des rechten Beins behandeln lassen und war in 2009 für mehrere Tage stationär aufgenommen worden. In einem Gutachten zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung aus 2010 stellt der Gutachter fest, dass die X seit Januar 2010 bis auf Weiteres in ihrem bisherigen Beruf als Friseurmeisterin nur in einem zeitlichen Umfang von 3 bis unter 6 Stunden tätig sein könne. Diese Leistungsminderung dauere voraussichtlich nicht weniger als 3 Jahre an. Eine Besserung infolge einer hüftendoprothetischen Versorgung sei nicht unwahrscheinlich.

In 2010 lehnte die Deutsche Rentenversicherung Nord (DRV) die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Allerdings stellte das Versorgungsamt zum Jahresende 2010 eine unbefristete Bescheinigung nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStDV aus, wonach die X "ein behinderter Mensch i.S. d. § 33b EStG" mit einem Grad der Behinderung von 30 ab dem 1.2.2009 sei.

Im Dezember 2012 veräußerte die X ihre Betriebsstätte in B zum 1.1.2013 und ermittelte einen Veräußerungsgewinn. Die Übergabe erfolgte am Jahresende 2012. Das Gewerbe meldete sie insoweit unter Hinweis auf eine Betriebsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen ab. Die Betriebsstätte in K führte sie bis zur unentgeltlichen Übertragung auf ihren Ehemann und Abmeldung des Gewerbes in 2014 fort. Die DRV bewilligte ihre Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach und für eine Umschulung. Die Umschulung nahm X nach einer hüftendoprothetischen Versorgung in 2013 auf.

X beantragte für 2012 den Abzug des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG. Das FA lehnte dies ab, da es am Nachweis der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit i.S.d. § 240 Abs. 2 SGB VI fehle.

Das FG gab der Klage statt. Unabhängig von einem entsprechenden Bescheid stehe fest, das X ihre Erwerbstätigkeit nur weniger als 6 Stunden täglich habe ausüben können. Das Gesetz sehe keine formalisierten Nachweisanforderungen vor.

Entscheidung: Kein formalisierter Nachweis der Berufsunfähigkeit

Auf die Revision des FA wurde das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Entgegen der Auffassung des FA kann eine dauernde Berufsunfähigkeit als Voraussetzung für den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG nach den allgemeinen Beweisregeln festgestellt werden. Ein formalisierter Nachweis ist nicht erforderlich. Wegen noch fehlender Tatsachenfeststellungen musste der BFH die Sache an das FG zurückverweisen.

Feststellungslast

Der Steuerpflichtige trägt die Feststellungslast für die Erfüllung der von § 16 Abs. 4 EStG geforderten Voraussetzungen einschließlich des Erfordernisses, "im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig" zu sein. Unstreitig ist insoweit, dass neben Bescheiden der Sozialversicherungsträger u.a. auch amtsärztliche Bescheinigungen als Nachweis geeignet sind (R 16 Abs. 14 EStR).

Auch nicht formalisierte Nachweise sind möglich

Ob darüber hinaus auch weitere Nachweise, insbesondere in Form von fachärztlichen Bescheinigungen, möglich sind, war bisher umstritten. Der BFH bejaht diese Möglichkeit. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut, der Systematik oder dem Sinn und Zweck des § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG. § 64 EStDV (betr. Nachweis von Krankheitskosten) ist auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar. Auch eine entsprechende Anwendung ist nicht möglich, da sich die dauernde Berufsunfähigkeit nach anderen Grundsätzen als eine Krankheit beurteilt. Unabhängig hiervon widerspricht ein formalisiertes Nachweisverlangen jedenfalls dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Daher kann das FG auch aus nichtamtlichen Unterlagen von Fachärzten und anderen Medizinern eine dauernde Berufsunfähigkeit – auch im sozialversicherungsrechtlichen Sinne – im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung ermitteln. Dabei hat das Gericht seine eigene Sachkunde darzulegen, ansonsten ist ggf. ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Zurückverweisung an das FG

Das FG hat seine Auffassung, die X sei bereits zum Zeitpunkt der Teilbetriebsveräußerung (2012) dauerhaft berufsunfähig im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gewesen, nicht auf ausreichende tatsächliche Feststellungen gestützt. Das FG hat sich bei seiner Würdigung allein auf ein Gutachten aus 2010 gestützt, das jedoch noch keine abschließende Aussage zur dauernden Berufsunfähigkeit der X getroffen hat. Vielmehr hat das Gutachten ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine Operation zur Heilung führen könne. Aufgrund der erheblichen zeitlichen Distanz des Gutachtens aus 2010 zum Zeitpunkt der Teilbetriebsveräußerung (2012) von über 2 Jahren hätte es weitergehender Feststellungen des FG bedurft, die diese Würdigung (Berufsunfähigkeit in 2012) tragen.

Hinweis: Parallele zum früheren Nachweis von Krankheitskosten

Der BFH hatte in 2010 seine Rechtsprechung, wonach Aufwendungen nach § 33 EStG (Krankheitskosten) nur aufgrund eines formalisierten Nachweises (amts- oder vertrauensärztliches Gutachten oder Attest eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers) anzuerkennen seien, aufgegeben, da sich ein formalisiertes Nachweisverlangen nicht aus dem Gesetz ergebe und dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung widerspreche (BFH v. 11.11.2010, VI R 17/09, BStBl II 2011 S. 969, Rz. 18). Allerdings nahm der Gesetzgeber dieses Urteil zum Anlass, in § 33 Abs. 4 EStG erstmalig eine Ermächtigungsgrundlage für ein formalisiertes Nachweisverlangen zu schaffen. Die bisherige Verwaltungsanweisung des R 33.4 EStR 2008 wurde in § 64 EStDV gesetzlich festgeschrieben. Diese Sonderregelung ist auf § 16 Abs. 4 EStG nicht übertragbar. 

BFH, Urteil v. 14.12.2022, X R 10/21, veröffentlicht am 1.6.2023