Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wer im Sinne der §§ 7a, 10a EStG als aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Weltanschauung oder politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verfolgt anzusehen ist. Voraussetzung für die Gewährung der steuerlichen Vergünstigungen ist die Vorlage eines Bescheides oder einer sonstigen Mitteilung der zuständigen Entschädigungsbehörde.

 

Normenkette

EStG §§ 7a, 10a; EStDV § 9 Abs. 3, § 8a Abs. 4, § 13

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beschwerdeführer (Bf.) für die Veranlagungszeiträume 1952 und 1953 die steuerlichen Vergünstigungen der §§ 7a und 10a des Einkommensteuergesetzes (EStG) für politisch Verfolgte wegen Verlustes der Existenzgrundlage in Anspruch nehmen kann.

Der Bf. betreibt ein Speditions- und Güterfernverkehrsunternehmen und ist im Handelsregister eingetragen. Für die streitigen Veranlagungszeiträume nahm er Bewertungsfreiheit gemäß § 7a EStG und die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinnes gemäß § 10a EStG in Anspruch. Er ist der Ansicht, daß er infolge nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen seine frühere Existenzgrundlage verloren habe.

Das Finanzamt hat die beantragten Vergünstigungen nicht gewährt, da nach seiner Ansicht der Bf. seine Erwerbungsgrundlage nicht verloren habe, sondern sein seit Jahrzehnten bestehendes Unternehmen bis heute mit stetig wachsendem Erfolg betreibe.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg, obwohl der Steuerausschuß die Eigenschaft des Bf. als politisch Verfolgter anerkannte.

Die Berufung blieb ebenfalls erfolglos. Das Finanzgericht führte aus: Es könne zwar davon ausgegangen werden, daß der Begriff "Verlust der Erwerbsgrundlage" großzügig auszulegen sei. Im Streitfalle könne jedoch ein Verlust der Erwerbsgrundlage nicht angenommen werden. Die Gewinne seien nach einer vorübergehenden Senkung in den Jahren 1928 bis 1932 bis zum Jahre 1944 ständig angestiegen und hätten selbst 1945 noch 22.913 RM betragen. Der Einheitswert des Betriebsvermögens sei von 3.240 RM am 1. Januar 1932 auf 25.700 RM zum 1. Januar 1940, auf 48.000 RM zum 1. Januar 1946 und auf 51.300 DM zum 21. Juni 1948 gestiegen. Das zeige, daß die vom Bf. behauptete politische Verfolgung keine erheblichen Auswirkungen gehabt habe, geschweige denn zum Erliegen des Betriebes geführt hätte. Es treffe auch nicht zu, daß ihm sämtliche Arbeitskräfte entzogen worden seien. Wenn einzelne Arbeitskräfte anderweitig eingesetzt worden seien, so sei dies aus den Kriegsverhältnissen heraus verständlich. Der Bf. habe 1944 mit drei Angestellten und sechs Arbeitern sogar den Höchststand seiner Gefolgschaft erreicht. Von einem Verlust der Existenzgrundlage könne daher keine Rede sein. Vielmehr habe sich der Betrieb seit 1933 ständig aufwärts entwickelt und den Krieg ohne nennenswerten Schaden überstanden. In dem im wesentlichen gleichartig gebliebenen Betriebe habe sich der Gewinn bei Vergleich der Ergebnisse der Jahre 1928, 1944, 1952 neunfach bzw. fünfzehnfach vervielfältigen können. Wenn der Bf. nach dem Kriege den Betrieb teilweise umgestellt habe, so sei das keine Folge von Verfolgungsmaßnahmen, sondern eine Auswirkung der veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Kriege.

Schließlich könne der Bf. auch nicht als politisch Verfolgter im Sinne der §§ 7a und 10a EStG in Verbindung mit § 9 Abs. 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1951 und § 8a Abs. 4 EStDV 1953 gelten. Der Nachweis der Zugehörigkeit zu dieser Personengruppe müsse durch Vorlage eines Bescheides oder einer sonstigen Mitteilung der zuständigen Entschädigungsbehörde erfolgen, d. h. hier des Landesentschädigungsamtes. Dieses habe jedoch auf Anfrage mitgeteilt, daß der Bf. nicht als politisch Verfolgter registriert sei. Der vom Bf. erwähnte Ausweis der Stadt X. vom 2. Januar 1947 über die Zugehörigkeit zur "Freiheitsaktion B." genüge für diesen Nachweis nicht.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Bf. einen wesentlichen Verfahrensmangel insofern, als ihm kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden sei. Das Finanzgericht habe den Verlust der Erwerbsgrundlage mit Gründen verneint, die ihn völlig überrascht hätten, so daß er zu ihnen keine Stellung habe nehmen können. (Wird ausgeführt.)

Das Finanzgericht habe den Begriff des Verlustes der früheren Erwerbsgrundlage verkannt. Sein Speditionsgeschäft sei durch die politischen Maßnahmen der Partei völlig vernichtet gewesen.

Der Bf. ist schließlich der Ansicht, daß es eines Nachweises seiner politischen Verfolgung nicht bedürfe, da diese amtsbekannt sei. Die Vorschriften des § 9 Abs. 3 EStDV 1951 und des § 8a Abs. 4 EStDV 1953 könnten nur in den Fällen Anwendung finden, in denen es keines Nachweises bedürfe. Er besitze weder einen Bescheid des Landesentschädigungsamtes noch sei ihm eine Bestätigung über seine Verfolgteneigenschaft erteilt worden. Einem etwaigen dahingehenden Antrage könne das Landesentschädigungsamt auch heute wegen Fristablaufes nicht mehr stattgeben. Man könne ihm nicht deshalb Steuervorteile versagen, weil er davon abgesehen habe, eine Entschädigung aus öffentlichen Mitteln wegen seiner Verfolgung in Anspruch zu nehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Bf. mit Recht die Versagung ausreichenden rechtlichen Gehörs (ß 204, § 243 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung) gerügt hat, da die Rechtsbeschwerde bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht zum Erfolg führen kann. Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuervergünstigungen nach § 7a und § 10a EStG 1952 und 1953 in beiden Streitjahren ist, daß derjenige, der diese Vergünstigungen in Anspruch nimmt, zu einem bestimmten, durch das Gesetz festgelegten Personenkreis gehört, der aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Weltanschauung oder politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verfolgt worden ist. Welche Personen als politisch verfolgt anzusehen sind, ist aber nicht durch die Finanzämter zu entscheiden, sondern ergibt sich für die Finanzbehörden bindend aus § 9 Abs. 3 EStDV 1951 und § 8a Abs. 4 EStDV 1953 (siehe dazu Herrmann-Heuer, Anm. 4 zu § 7a EStG). Auch in den Fällen der Urteile des Senats IV 58/53 U vom 25. Juni 1953 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1953 III S. 267, Slg. Bd. 57 S. 698) und IV 574/55 U vom 21. März 1957 (BStBl 1957 III S. 235, Slg. Bd. 65 S. 6) handelt es sich um "amtlich anerkannte" Berechtigte. Für die Zugehörigkeit zum Kreise der begünstigten Personen gelten danach für 1952 die landesrechtlichen Bestimmungen; für 1953 sind diejenigen Personen als zugehörig anzusehen, die nach §§ 1, 8, 76 des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) vom 18. September 1953 (Bundesgesetzblatt - BGBl - 1953 I S. 1387) oder nach den landesrechtlichen Vorschriften Anspruch auf Entschädigung haben. Der Nachweis der Zugehörigkeit zu diesem Kreis der Verfolgten ist durch Vorlage eines Bescheides oder einer sonstigen Mitteilung der zuständigen Entschädigungsbehörde zu erbringen. Unstreitig liegen die geforderten formellen Voraussetzungen (Bescheid oder Mitteilung), wie der Bf. selbst im Schriftsatz vom 27. September 1957 vorgetragen hat, nicht vor, da er einen entsprechenden Antrag auf Anerkennung als politisch Verfolgter nicht gestellt hat. Gesetz- und Verordnungsgeber haben bewußt die Entscheidung der Frage, wer als politisch verfolgt anzusehen ist, der Entscheidung durch die Finanzbehörden und durch die Steuergerichte entzogen und sie der Zuständigkeit anderer Behörden übertragen. Das Finanzamt und der Steuerausschuß waren daher rechtlich nicht befugt, von sich aus zu entscheiden, ob der Bf. zu dem begünstigten Personenkreis gehört oder nicht. Nach den Vorschriften des BEG (a. a. O.) ist Voraussetzung für die Anerkennung der Verfolgteneigenschaft, daß der Bf. einen Anspruch auf Entschädigung besitzt. Ob dies der Fall ist, kann nur in dem dazu vorgesehenen Verfahren durch die zuständigen Behörden entschieden werden (Hinweis dazu auf die §§ 1, 8, 76, 80, 82, 88, 91 und 104 BEG; siehe dazu auch Wilden in Deutsche Richterzeitung 1958 S. 336). Die Tatsache, daß der Bf. Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, besagt nicht ohne weiteres, daß ihm deshalb auch Entschädigungsansprüche zustehen. Es ist daher nicht richtig, wenn der Bf. meint, einer Prüfung und eines Nachweises der Verfolgteneigenschaft bedürfe es in seinem Falle nicht, da die Tatsache der Verfolgung als solche dem Finanzamt bekannt sei; mit dieser Kenntnis steht noch nicht ohne weiteres fest, ob dem Bf. auch Ansprüche nach dem BEG zustehen. Zutreffend hat deshalb das Finanzgericht darauf hingewiesen, daß der Nachweis auch nicht durch den Ausweis der Stadt X. vom 2. Januar 1947 über die Zugehörigkeit zur "Freiheitsaktion B." geführt werden kann. Auch der Hinweis, daß der Bf. den Antrag unterlassen habe, weil er keine öffentlichen Mittel für die Entschädigung seiner Verfolgung habe in Anspruch nehmen wollen, vermag daran nichts zu ändern. Der Bf. hätte auch ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel mindestens eine "sonstige Mitteilung" im Sinne von § 8a Abs. 4 EStDV 1953 oder für 1952 eine Stellungnahme der vor Erlaß des BEG zuständigen Landesbehörde herbeiführen können, die seine Zugehörigkeit zum Kreis der Verfolgten und damit der begünstigten Personen nachgewiesen hätte. Angesichts der den Senat bindenden Vorschriften des EStG und der sich im Rahmen des Gesetzes haltenden EStDV kann danach der vorgeschriebene Nachweis, daß der Bf. dem begünstigten Personenkreis angehört, nicht als erbracht angesehen werden. Es kommt daher auf die Frage, ob der Bf. seine frühere Erwerbungsgrundlage durch etwaige Verfolgungsmaßnahmen verloren hat, für die Entscheidung des Streitfalles nicht mehr an. Der Senat bemerkt jedoch ergänzend, daß aus den Gründen des Urteils des Finanzgerichts ein Verlust der früheren Erwerbsgrundlage des Bf. nicht gegeben ist. Ob der Bf. entgegen der Feststellung des Finanzgerichts im Jahre 1944 eigene Arbeitskräfte nicht beschäftigt hat, ist hierfür nicht entscheidend und auch nur einer der Gründe gewesen, auf die das Finanzgericht seine Entscheidung mit gestützt hat, Die Rechtsbeschwerde war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409254

BStBl III 1959, 113

BFHE 1959, 287

BFHE 68, 287

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge