Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Verluste aus der entschädigungslosen Enteignung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes in der sowjetischen Besatzungszone sind, soweit sie auf Grund und Boden entfallen, in den Westzonen nicht zu berücksichtigen.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei Berechnung des Verlustes aus einer entschädigungslosen Enteignung von landwirtschaftlichem Grundbesitz in der sowjetischen Besatzungszone der Wert von Grund und Boden zu berücksichtigen ist.

Dem Beschwerdeführer (Bf.), der in dem streitigen Veranlagungszeitraum 1946 in den Westzonen Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.181,035 RM und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 2.750 RM hatte, war im August 1946 ein landwirtschaftliches Gut im Zuge der Aufteilung des Großgrundbesitzes in der sowjetischen Besatzungszone entschädigungslos enteignet worden. Das Finanzamt erkannte im Einspruchsverfahren den Enteignungsverlust für das tote und lebende Inventar in Höhe von 424.889 RM an und glich ihn mit den anderen Einkünften des Bf. aus. Es lehnte dagegen ab, den Verlust aus der Enteignung von Grund und Boden, den der Bf. mit 1.209,971 RM bezifferte, zu berücksichtigen.

Die Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung wie folgt: Der Bf. habe als buchführender Landwirt den Gewinn gemäß § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt. Der Wert des Grund und Bodens, der zum Anlagevermögen gehöre, müsse gemäß § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG bei der Gewinnermittlung außer Ansatz bleiben. Nach dem Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 6/49 S vom 27. August 1949 (Steuerblatt für das Land Niedersachsen 1950 S. 3) minderten Verluste, die einem in den Westzonen zu veranlagenden Steuerpflichtigen durch Sozialisierung und Aufteilung des Großgrundbesitzes in der sowjetischen Besatzungszone entstanden seien, den betrieblichen Gewinn. Die Auffassung des Bf., nach dem Gutachten könnten sämtliche Verluste, somit auch die Verluste aus der Enteignung des dem landwirtschaftlichen Betrieb dienenden Grund und Bodens berücksichtigt werden, treffe nicht zu. Unzutreffend sei auch die Ansicht des Bf., daß bei Nichtberücksichtigung des Verlustes zweierlei Recht geschaffen würde, da einem Kaufmann bei Berechnung des Enteignungsverlustes das gesamte betriebliche Vermögen berücksichtigt würde, während dem Landwirt der Ansatz des Grund und Bodens versagt würde. Der buchführende Landwirt, der den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln habe, solle nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers von der Einwirkung von Wertschwankungen des Grund und Bodens ausgeschlossen sein. Bei Verlust des Grund und Bodens durch Enteignung könne keine Ausnahme gemacht werden.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird das frühere Vorbringen wiederholt und geltend gemacht, der Gesetzgeber habe bei der Regelung des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG an eine entschädigungslose Enteignung des Grund und Bodens nicht denken können. Hier handele es sich nicht um normale Wertschwankungen, die § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG ausschließen wolle. Der Grund und Boden gehöre zum Betriebsvermögen. Der Enteignungsverlust müsse deshalb berücksichtigt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Zutreffend haben die Vorinstanzen angenommen, daß nach dem vom Finanzgericht erwähnten Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs vom 27. August 1949, dem der Senat in ständiger Rechtsprechung beigetreten ist, der Bf. den im Jahre 1946 durch die entschädigungslose Enteignung seines landwirtschaftlichen Betriebs entstandenen Verlust mit den anderen Einkünften, die er in den Westzonen erzielt hat, ausgleichen kann. Streitig ist nur die Höhe des ausgleichsfähigen Verlustes. Die Auffassung des Finanzgerichts, daß gemäß der ausdrücklichen Bestimmung des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG der aus der Enteignung des Grund und Bodens entstandene Verlust außer Betracht bleiben müsse, ist rechtlich zutreffend. Der ausgleichsfähige Ostzonenverlust ist nach den für die Westzonen geltenden Grundsätzen, also auch unter Anwendung des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG zu ermitteln. Das erwähnte Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs ergibt nichts anderes. § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG besagt nicht etwa, wie im Urteil des Bundesfinanzhofs IV 194/52 U vom 11. Dezember 1952 (Slg. Bd. 57 S. 126, BStBl. 1953 III S. 50) eingehend dargelegt ist, daß Grund und Boden nicht zum Betriebsvermögen rechnete. Gehörte Grund und Boden nicht zum Betriebsvermögen, so könnte er nur zum Privatvermögen gerechnet werden. In diesem Falle hätte sich aber die Regelung des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG erübrigt, weil der zum Gewinn führende Vermögensvergleich sich überhaupt nur auf das Betriebsvermögen, nicht auf das Privatvermögen erstrecken kann. Daß Grund und Boden des Landwirts zum Betriebsvermögen gehört, hatte schon der Reichsfinanzhof nach anfänglichem Schwanken im Urteil VI A 851/32 vom 26. Juli 1933 (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1933 S. 1134) für die Auslegung des § 12 EStG 1925 angenommen. Da Grund und Boden zum Betriebsvermögen gehört, ist sein Wert nur infolge der besonderen gesetzlichen Regelung bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG außer Ansatz zu lassen.

Die Nichtberücksichtigung von Grund und Boden verletzt nicht, wie der Bf. anzunehmen scheint, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie benachteiligt keineswegs einseitig die Landwirtschaft, sondern bedeutet immer dann einen Vorteil, wenn nach allgemeinen Grundsätzen bei der Veräußerung von Grund und Boden ein Gewinn ausgewiesen werden müßte. § 4 Abs. 1 gilt auch nicht, wie der Bf. annimmt, nur für die Landwirtschaft, sondern für alle Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln. In dem erwähnten Urteil des Bundesfinanzhofs IV 194/52 U vom 11. Dezember 1952 handelte es sich z. B. um einen Gewerbetreibenden, der nicht im Handelsregister eingetragen war und bei dem infolgedessen die Gewinnermittlung nach § 5 EStG nicht in Betracht kam. Wäre diesem Gewerbetreibenden ein Verlust durch Enteignung von betrieblichem Grund und Boden in der sowjetischen Besatzungszone entstanden, so hätte auch er ihn in den Westzonen nicht ausgleichen können. Der Bf. weist zwar zutreffend darauf hin, daß bei der Gewinnermittlung nach § 5 EStG der Wert von Grund und Boden anzusetzen sei und daß infolgedessen ein bei einem im Handelsregister eingetragenen Vollkaufmann durch Enteignung von Grund und Boden entstehender Verlust sich steuerlich auswirken würde. Die unterschiedliche Behandlung bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 5 EStG hat aber das Gesetz bewußt getroffen. Es ist darum nicht möglich, mit dem Bf. aus der in § 5 EStG getroffenen Regelung zu schließen, daß bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG ebenso verfahren werden müsse. Die Regelung des § 5 EStG ist im übrigen zweischneidig. Denn ein unter § 5 EStG fallender Vollkaufmann muß auch die Gewinne aus der Veräußerung von Grund und Boden ausweisen.

Es ist dem Bf. zuzugeben, daß der Gesetzgeber bei Schaffung des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG an eine entschädigungslose Enteignung von Grund und Boden nicht gedacht haben dürfte. Diese Erwägung berechtigt aber nicht, den klaren Wortlaut der Bestimmung des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG bei entschädigungsloser Enteignung von Grund und Boden nicht anzuwenden. Sollte der Bf. später eine Entschädigung für den enteigneten Grund und Boden erhalten, so ist auch diese bei der Gewinnermittlung außer Betracht zu lassen.

Die Einwendungen des Bf. laufen im wesentlichen darauf hinaus, daß die Anwendung des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG in seinem Falle zu einem unbilligen Ergebnis führe. Zur Prüfung von Billigkeitsmaßnahmen ist der Senat aber in diesem Verfahren nicht berufen.

Der Bf. beruft sich für seine Rechtsauffassung auf eine Anmerkung in der "Finanz-Rundschau" 1953 S. 93. Soweit dort eine abweichende Rechtsauffassung zu der Streitfrage vertreten wird, tritt der Senat ihr nicht bei.

 

Fundstellen

BStBl III 1954, 367

BFHE 1955, 407

BFHE 59, 407

DB 1954, 1034

StRK, EStG:4 R 58

FR 1955, 136

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