Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Umfang des von § 17 EStG erfaßten Wertzuwachses

 

Leitsatz (NV)

§ 17 EStG erfaßt grundsätzlich den gesamten Wertzuwachs zwischen Anschaffung und Veräußerung/Auflösung. Dazu gehört auch der Wertzuwachs, der sich im Privatvermögen während der Zeit gebildet hat, in der der Anteilseigner noch keine wesentliche Beteiligung innehatte.

Dem privaten Vermögensbereich vor Erwerb der wesentlichen Beteiligung ist der Vermögensbereich des Steuerpflichtigen vor Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht vergleichbar.

 

Normenkette

EStG § 17

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) lebte in Dänemark und verlegte seinen Wohnsitz mit Wirkung vom 15. September 1980 nach Deutschland.

Der Vater des Klägers hielt bis zu seinem Tode 99,75 v.H. der Anteile an der X-A/S (A/S). Die A/S war 1950 in Dänemark gegründet worden und hatte ein Aktienkapital im Nennwert von zuletzt 200000 dkr. Mit dem Tode des Vaters 1978 erbte der Kläger einen Anteil von 24,75 v.H. des Aktienkapitals (49500dkr). Im Streitjahr 1980 wurde die A/S aufgelöst. Entsprechend seinem Anteil erhielt der Kläger . . .dkr, das entspricht bei einem Kurs im Zeitpunkt der Verteilung am 18. Dezember 1980 von 32,52 DM für 100dkr . . . DM.

Nach Aufforderung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) gab der Kläger für das Streitjahr 1980 eine Einkommensteuererklärung ab, in der er den Veräußerungsgewinn wie folgt errechnete:

Veräußerungspreis ... DM

Anschaffungskosten insgesamt ... DM

Veräußerungsgewinn ... DM

Das FA erfaßte den vollen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1979 und besteuerte diesen mit dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 2 Nr.1 EStG.

Mit dem Einspruch machte der Kläger geltend, bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns sei nicht von den historischen Anschaffungskosten des dänischen Rechtsvorgängers auszugehen, sondern von dem Wert der Anteile in dem Zeitpunkt, in dem die deutsche unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers begründet worden sei. Die Aktien hätten zudem deshalb einen so hohen Auflösungskurs gehabt, weil die Gesellschaft in den Jahren zuvor keine oder nur eine geringe Dividende ausgeschüttet habe.

In der Zeit zwischen der Begründung der inländischen Steuerpflicht des Klägers am 15. September 1980 und der Auflösung der Gesellschaft am 18. Dezember 1980 sei keine Wertsteigerung eingetreten.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Die Revisionsbegründung des Klägers ist beim Bundesfinanzhof (BFH) verspätet eingegangen. Durch Zwischenurteil vom 19. Mai 1992 hat der erkennende Senat die Revision als zulässig angesehen, indem er wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

FA und FG haben in zutreffender Höhe einen Auflösungsgewinn gemäß § 17 EStG angenommen. Die Liquidation in Verbindung mit der Auszahlung der Liquidationsquote bei der A/S erfüllt den Tatbestand des § 17 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 EStG.

1. Der Kläger war Inhaber von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG. Die A/S war eine Kapitalgesellschaft; nach den Feststellungen des FG entsprach sie einer AG deutschen Rechts. Der Umstand, daß es sich um eine dänische Kapitalgesellschaft handelte, hindert die Erfassung des Auflösungsgewinns gemäß § 17 EStG nicht (BFH-Urteile vom 24. Oktober 1984 I R 228/81, nicht veröffentlicht - NV -, und vom 19. Oktober 1978 VIII R 182/77, NV).

Die Erfassung des Auflösungsgewinns in der Bundesrepublik ist durch das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Dänemark nicht ausgeschlossen (Art.7 Abs. 1 DBA-Dänemark vom 30. Januar 1962, BGBl II 1963, 1311, BStBl I 1963, 756).

2. Das FG hat dem gemeinen Wert des dem Kläger zurückgezahlten Vermögens auch zu Recht die Anschaffungskosten gegenübergestellt, die der Vater des Klägers dafür aufgewendet hatte (§ 17 Abs. 2 Satz 2 EStG).

Der Umstand, daß der Kläger erst durch die Begründung eines Wohnsitzes in der Bundesrepublik im September 1980 unbeschränkt steuerpflichtig wurde (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG; § 8 der Abgabenordnung - AO 1977 -), kann nicht dazu führen, daß an die Stelle der Anschaffungskosten seines Vaters der Wert der Anteile im Zeitpunkt des Zuzugs in die Bundesrepublik tritt.

Der Wortlaut des Gesetzes (§ 17 Abs. 2 Satz 2 EStG) ist insoweit eindeutig. Gegenüber einer vom Wortlaut abweichenden Auslegung ist aber besondere Zurückhaltung geboten. Sie kann nur in Betracht kommen, wenn die auf den Wortlaut abgestellte Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1969 I R 43/67, BFHE 98, 30, BStBl II 1970, 310; vgl. auch Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 268). Es ist nicht Aufgabe der Auslegung, rechtspolitische Fehler zu korrigieren (BFH-Urteil vom 7. April 1992 VIII R 79/88, BFHE 168, 111, BStBl II 1992, 786, m.w.N.). Die Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 2 EStG entsprechend seinem Wortlaut würde im Streitfall nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen. Dabei geht der Senat mit der Revision davon aus, daß sich der Wert der Anteile in einer Zeit gebildet hat, in der der Kläger (Anteilseigner) in der Bundesrepublik nicht steuerpflichtig war.

Das FG Düsseldorf (Urteil vom 30. Januar 1986 XV 275/84 KA (E), rkr., Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 446) sowie Schmidt (Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 17 Anm.24a); Söffing in Lademann/Söffing/Brockhoff (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 17 Rdnr.49); el. Der Betrieb - DB - 1964, 128); Hörger in Littmann/Bitz/Meincke (Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 17 EStG Rdnr.62) und Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt (Körperschaftsteuergesetz, Einkommensteuergesetz, § 17 EStG Rdnr.86) vertreten im Ergebnis die Auffassung der Revision. Der erkennende Senat kann sich dem nicht anschließen.

§ 17 Abs. 2 EStG erfaßt (sofern die Voraussetzungen im übrigen gegeben sind) grundsätzlich den gesamten Wertzuwachs zwischen Anschaffung und Veräußerung/Auflösung. Dazu gehört nach der Rechtsprechung des BFH auch der Wertzuwachs, der sich im Privatvermögen während der Zeit gebildet hat, in der der Anteilseigner noch keine wesentliche Beteiligung innehatte (BFH-Urteile in BFHE 98, 30, BStBl II 1970, 310; vom 5. Oktober 1976 VIII R 38/72, BFHE 120, 471, BStBl II 1977, 198; vom 7. Juli 1992 VIII R 54/88, BFHE 169, 49, und VIII R 56/88, NV; vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. August 1988 XII K 297/88, rkr., EFG 1989, 62; kritisch Paus, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1987, 247). Dem privaten Vermögensbereich vor dem Erwerb der wesentlichen Beteiligung ist der Vermögensbereich des Steuerpflichtigen vor Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht vergleichbar (vgl. Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 17 Rdnr.102).

Damit geht § 17 EStG in der Erfassung des Wertzuwachses (aber auch des Wertverlustes) noch über § 16 EStG hinaus, der nur den Wertzuwachs erfaßt, der sich im Rahmen des Betriebsvermögens entwickelt hat. Selbst § 16 EStG erfaßt jedoch den Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft, die sich im Ausland befindet (vgl. BFH-Uteile vom 2. März 1989 IV R 128/86, BFHE 156, 187, BStBl II 1989, 541; vom 24. Oktober 1984 I R 228/81, NV; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 16 EStG Rdnr.11; Schmidt, a.a.O., § 16 Anm.3).

Ob mit der Besteuerung des Wertzuwachses beim Geschäftsanteil auch nicht ausgeschüttete Gewinne vergangener Jahre erfaßt werden sollen (vgl. dazu FG Düsseldorf, Urteil in EFG 1986; 446; Herrmann/Heuer/ Raupach, a.a.O., § 17 EStG Rdnr.3), kann dahinstehen. Das könnte ohnehin nur gelten, soweit mit dem Wert des Geschäftsanteils nicht stille Reserven erfaßt werden. Aber auch im übrigen ist kein Grund ersichtlich, der im Streitfall Dänemark das Besteuerungsrecht auf die in der Vergangenheit nicht getätigten Gewinnausschüttungen der A/S vorbehalten könnte oder der das Besteuerungsrecht hinsichtlich dieser Gewinnanteile endgültig verfallen ließe. Die Tatsache, daß Art.7 DBA-Dänemark das Besteuerungsrecht bei der Veräußerung auch hinsichtlich privater Anteile an einer Kapitalgesellschaft regelt, spricht vielmehr für die vom Senat vertretene Auffassung (wie hier im Ergebnis auch Hessisches FG, Urteil vom 18. Februar 1982 X 184/78, rkr., EFG 1982, 566; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 17 EStG Rdnr.213; Kayser/Seithel, RWP-Blattei 14 D ESt II B 22; Klein/Flockermann/Kühr, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 17 Rdnr.40; wohl auch Frotscher, a.a.O., § 17 Rdnr.102).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419133

BFH/NV 1993, 597

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