Leitsatz (amtlich)

Bei der Ermittlung des gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 AIG hinzuzurechnenden Betrages kann ein Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG nicht berücksichtigt werden.

 

Orientierungssatz

1. Bei dem nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AIG abziehbaren Betrag handelt es sich um (negative) gewerbliche Einkünfte i.S. des § 2 EStG und nicht nur um einen bloßen Korrekturposten. Ausführungen zur Zielsetzung des § 2 Abs. 1 AIG, zur Anknüpfung des Gesetzgebers beim AIG an Begriffsbestimmungen des EStG und zur Ermittlung des nach § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG hinzuzurechnenden Betrages.

2. Die Hinzurechnung nach § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG unterbleibt neben dem in § 2 Abs. 1 Satz 4 AIG geforderten Nachweis des Steuerpflichtigen auch dann, wenn der Steuerpflichtige keine entsprechenden Nachweise führt, das FA vielmehr von vornherein oder aufgrund von im Einzelfall durchgeführten Ermittlungen Kenntnis davon hat, daß der Steuerpflichtige im allgemeinen den Verlust nach dem maßgeblichen ausländischen Steuerrecht nur in dem Verlustjahr geltend machen kann. Der Nachweis des Steuerpflichtigen ist nur erforderlich, um die Folgen der durch § 2 Abs. 1 Satz 4 AIG normierten Feststellungslast zu vermeiden. Danach tritt ein Rechtsnachteil dann ein, wenn die für den Steuerpflichtigen günstige Norm des ausländischen Steuerrechts ermittelt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 13.10.1983 I R 11/79).

3. Parallelentscheidung: BFH, 8.3.1989, X R 148/87, NV.

 

Normenkette

AuslInvG § 2 Abs. 1 Sätze 1, 3-4; EStG § 16 Abs. 4, § 2

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 des Auslandsinvestitionsgesetzes (AIG) ein Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen ist.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war an mehreren österreichischen Gesellschaften beteiligt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hatte Verluste aus diesen Beteiligungen, die in den Jahren vor 1975 angefallen waren, gemäß § 2 Abs.1 Satz 1 AIG bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abgezogen. Im Streitjahr 1975 führten die Beteiligungen zu insgesamt positiven Einkünften aus Gewerbebetrieb, die nach Ansicht der Beteiligten gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 AIG für das Jahr 1975 grundsätzlich wieder hinzuzurechnen waren. Zu den in Österreich erzielten gewerblichen Einkünften gehörte ein Gewinn, der durch die Veräußerung einer Beteiligung entstanden war. Entsprechend der Höhe der Beteiligung des Klägers an der Gesellschaft zu einem Drittel zogen die Kläger bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags nach § 2 Abs.1 Satz 3 AIG einen Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG in Höhe von 10 000 DM ab. Das FA erkannte diese Kürzung nicht an. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Seiner Ansicht nach bezweckt § 2 Abs.1 AIG, beim Steuerpflichtigen Nachteile auszugleichen, die ohne Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nicht bestünden. Deshalb dürfe der Steuerpflichtige einen Verlust abziehen, der sich nach den Vorschriften des EStG bei den ausländischen Einkünften ergäbe und der bei einer Versteuerung ohne Abkommen abziehbar wäre. Entsprechend sei auch der Hinzurechnungsbetrag gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 AIG nach den Vorschriften des EStG zu ermitteln. Der Betrag, der ohne Freistellung nach dem DBA als Gewinn zu versteuern wäre, sei der Hinzurechnungsbetrag. Da der Gewinn aufgrund der sachlichen Steuerbefreiung gemäß § 16 Abs.4 EStG um einen Steuerfreibetrag zu mindern sei, sei dieser auch bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages zu berücksichtigen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 2 Abs.1 AIG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG hat zu Unrecht den hinzuzurechnenden Betrag gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 AIG um den Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG gemindert. Der Senat kann jedoch mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

a) Gemäß § 2 Abs.1 Satz 1 AIG ist ein Verlust, der sich nach den Vorschriften des EStG bei Einkünften ergibt, die ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in einer ausländischen Betriebsstätte erzielt und die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Einkommensteuer zu befreien wären, unter bestimmten weiteren --hier nicht streitigen-- Voraussetzungen bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte insoweit abzuziehen, als er nach dem DBA zu befreiende positive Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit aus anderen in dem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten übersteigt. § 2 Abs.1 Satz 1 AIG sieht damit für bestimmte ausländische Verluste einen Verlustausgleich vor (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.Juni 1986 IV R 268/82, BFHE 146, 447, BStBl II 1986, 659). Der nach Satz 1 abgezogene Betrag ist jedoch, soweit sich in einem der folgenden Veranlagungszeiträume bei den nach dem DBA zu befreienden Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit aus in dem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten insgesamt ein positiver Betrag ergibt, in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte wieder hinzuzurechnen (§ 2 Abs.1 Satz 3 AIG).

Bei dem nach § 2 Abs.1 Satz 1 AIG abziehbaren Betrag handelt es sich um (negative) gewerbliche Einkünfte i.S. des § 2 EStG und nicht nur um einen bloßen Korrekturposten (ebenso Eggesiecker, Betriebs-Berater --BB-- 1987, 1008; a.A. Debatin, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A --DStZ/A-- 1969, 273; Krabbe, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters --RIW/AWD-- 1978, 240; Richter in Flick/Wassermeyer/Becker, Kommentar zum Außensteuerrecht, Rdnr.162 zu § 2 AIG).

Zu den Einkünften eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus Gewerbebetrieb i.S. des § 2 EStG gehören auch Verluste, und zwar unabhängig davon, ob sie im In- oder Ausland anfallen. Diese steuerrechtliche Einordnung ändert sich nicht dadurch, daß die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) mit dem ausländischen Staat, aus dem die Einkünfte stammen, einen Doppelbesteuerungsvertrag abgeschlossen hat, nach dessen Bestimmungen diese Einkünfte nicht in die inländische Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, und zwar unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ sind (vgl. zu letzterem BFH-Urteil vom 12.Januar 1983 I R 90/79, BFHE 137, 478, BStBl II 1983, 382; BFH-Beschluß vom 11.März 1970 I B 50/68, I B 3/69, BFHE 98, 427, BStBl II 1970, 569). Diese entsprechenden DBA-Normen regeln nur die Modalitäten, nach denen bei einer Besteuerung im ausländischen Vertragsstaat im deutschen Inland die Besteuerung ausgeschaltet werden soll (vgl. BFH-Urteil vom 4.Juni 1975 I R 250/73, BFHE 116, 150, 153, BStBl II 1975, 708). Sie haben grundsätzlich keinen Einfluß auf die innerstaatliche steuerrechtliche Einordnung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 447, BStBl II 1986, 659).

Die Bundesrepublik war zudem durch den Abschluß des im Streitfall anzuwendenden DBA-Österreich nicht gehindert, kraft unilateralen Rechts die Abziehbarkeit der im anderen Vertragsstaat entstandenen Verluste von der inländischen Bemessungsgrundlage zu begründen; denn international wird die Freistellung nicht als Abzugsverbot verstanden (vgl. BFH-Urteil vom 28.März 1973 I R 59/71, BFHE 109, 127, BStBl II 1973, 531; Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Rdnr.74 zu Art.23). Bei rein innerstaatlicher Regelung (hier: § 2 AIG) war der Gesetzgeber nicht gehindert, an Begriffsbestimmungen des EStG anzuknüpfen (vgl. BFH in BFHE 109, 127, BStBl II 1973, 531). Er konnte zudem den Umfang der Ausnahme frei bestimmen.

b) Aus dem Umstand, daß es sich bei dem Ausgleichsbetrag gemäß § 2 Abs.1 Satz 1 AIG um Einkünfte i.S. des § 2 EStG handelt, folgt nicht notwendig, daß der Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG bei der Ermittlung des hinzuzurechnenden Betrages gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 AIG zu berücksichtigen ist.

aa) Hinzuzurechnen sind nicht "Einkünfte", sondern "der nach Satz 1 abgezogene Betrag". Der mögliche Wortsinn des § 2 Abs.1 Satz 3 AIG läßt zwar auch die Auslegung zu, daß es bei der Ermittlung dieses Betrages entscheidend darauf ankommt, welchen Charakter die maßgeblichen späteren gewerblichen Betriebsstättengewinne haben, die eine Hinzurechnung auslösen können; denn zu diesen Gewinnen gehören auch solche aus der Veräußerung eines ganzen Gewerbebetriebs (BFH-Urteil vom 16.September 1966 VI 118/65 und VI 119/65, BFHE 87, 134, BStBl III 1967, 70; Schmidt, Einkommensteuergesetz, Anm.2 zu § 16). Die gegenteilige Auslegung des Senats, die ebenfalls durch den möglichen Wortsinn gedeckt ist, ergibt sich aus dem Bedeutungszusammenhang der Vorschrift und deren Zielsetzung.

Gemäß § 2 Abs.1 Satz 3 AIG wird nur die Höhe des nach Satz 1 dieser Vorschrift abgezogenen Betrages mit Wirkung ex nunc dadurch korrigiert, daß dieser wieder ganz oder teilweise hinzugerechnet wird. Damit werden nicht etwa im Ausland erzielte Einkünfte besteuert; es werden vielmehr zeitweilig steuerfrei gebliebene Teilbeträge des Einkommens nachversteuert. Die ausländischen Betriebsstättengewinne bilden lediglich Anknüpfungspunkt und Berechnungsgrundlage für die Höhe des Hinzurechnungsbetrages. Dies zeigt sich u.a. darin, daß selbst dann höchstens der nach Satz 1 abgezogene Betrag wieder hinzuzurechnen ist, wenn der spätere Gewinn diesen Betrag übersteigt. Für die Gewährung eines Freibetrages gemäß § 16 Abs.4 EStG ist insoweit kein Raum. Dieser betrifft nicht die Höhe des Gewinns, sondern dessen Besteuerung. Dementsprechend berührt der steuerfreie Teil auch nicht den Verlustausgleich (vgl. BFH-Urteil vom 16.Dezember 1975 VIII R 147/71, BFHE 117, 557, BStBl II 1976, 360).

Die Auslegung des erkennenden Senats steht in Einklang mit der Zielsetzung des § 2 Abs.1 AIG, den durch den Verlustausgleich gewährten steuerlichen Vorteil nur unter der Voraussetzung zu belassen, daß nicht in späteren Jahren entsprechende Betriebsstättengewinne entstehen. Dies verdeutlicht die Begründung des Gesetzes, die von "Nachholung der Besteuerung" (BTDrucks V/3890 S.20) bzw. von "Nachversteuerung" (BTDrucks V/4287 S.6) spricht. Der Steuerpflichtige soll so behandelt werden, als sei der gewerbliche Verlust nur in der geminderten Höhe angefallen. Der ursprünglich gewährte Verlustausgleich sollte in Höhe der späteren Nachversteuerung lediglich die Wirkung einer Steuerstundung haben (vgl. Bellstedt, Die Besteuerung international verflochtener Gesellschaften, 3.Aufl., S.242). Dabei ist im übrigen zu berücksichtigen, daß mit der Regelung des § 2 Abs.1 AIG nur Nachteile ausgeglichen werden sollen, die bei einem abkommenslosen Zustand nicht bestehen würden (vgl. BTDrucks V/4287, a.a.O.). Diese Nachteile ergeben sich daraus, daß nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. insbesondere Urteil vom 5.Juni 1986 IV R 338/84, BFHE 146, 452, BStBl II 1986, 661) Einkünfte, die nach einem DBA von der Besteuerung in der Bundesrepublik als dem Wohnsitzstaat ausgenommen sind, auch insoweit aus der inländischen Bemessungsgrundlage ausscheiden, als es sich um Verluste handelt. Es widerspräche der Zielsetzung des Gesetzgebers, denjenigen, dessen ursprünglicher Verlust sich später durch Veräußerungsgewinne mindert, durch Gewährung des Freibetrages gemäß § 16 Abs.4 EStG gegenüber demjenigen besserzustellen, bei dem die Höhe des Verlustes unverändert bleibt. Daß nach innerstaatlichem Recht bei der Besteuerung der gewerblichen Einkünfte gemäß § 2 EStG der Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG zu berücksichtigen ist, ist unerheblich; denn für die Auslegung kommt es nicht entscheidend auf die Gewinn besteuerung, sondern auf das Versagen des Verlustabzugs bei Anwendung der sog. Freistellungsmethode in einem DBA an.

bb) Der Rechtsansicht des Senats steht im Streitfall nicht das DBA-Österreich entgegen. Dieses enthält zwar keine ausdrückliche Regelung, wonach die Bundesrepublik als Wohnsitzstaat berechtigt ist, den trotz der vereinbarten Freistellung unilateral gewährten Verlustausgleich nachträglich zu korrigieren (vgl. Art.20 Abs.3 DBA-Niederlande und Kommentar zum Musterabkommen 1977, Abschn.44). Durch das Fehlen einer derartigen bilateralen Vereinbarung wurde eine entsprechende unilaterale Regelung nicht ausgeschlossen (vgl. Vogel, a.a.O., Rdnr.75 zu Art.23).

c) Gemäß § 2 Abs.1 Satz 4 AIG ist jedoch Satz 3 nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, daß nach den für ihn geltenden Vorschriften des ausländischen Staates ein Abzug von Verlusten in anderen Jahren als dem Verlustjahr allgemein nicht beansprucht werden kann. Die Hinzurechnung unterbleibt auch dann, wenn der Steuerpflichtige keine entsprechenden Nachweise führt, die Finanzbehörde vielmehr von vornherein oder aufgrund von im Einzelfall durchgeführten Ermittlungen Kenntnis davon hat, daß der Steuerpflichtige im allgemeinen den Verlust nach dem maßgeblichen ausländischen Steuerrecht nur in dem Verlustjahr geltend machen kann. Der Nachweis des Steuerpflichtigen ist nur erforderlich, um die Folgen der durch § 2 Abs.1 Satz 4 AIG normierten Feststellungslast zu vermeiden. Danach tritt ein Rechtsnachteil dann ein, wenn die für den Steuerpflichtigen günstige Norm des ausländischen Steuerrechts nicht ermittelt werden kann (BFH-Urteil vom 13.Oktober 1983 I R 11/79, BFHE 140, 2, BStBl II 1984, 181).

2. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung hinsichtlich der Auslegung des § 2 Abs.1 Satz 3 AIG ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --von seiner Rechtsansicht ausgehend zutreffend-- keine Feststellungen getroffen, die es dem Senat ermöglichen, abschließend darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs.1 Satz 4 AIG (siehe oben 1.c) vorgelegen haben (vgl. dazu Oberfinanzdirektion Münster, Verfügung vom 13.August 1986, Deutsches Steuerrecht 1986, 686). Die Sache war daher an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 62506

BStBl II 1989, 541

BFHE 156, 190

BB 1989, 1114-1114 (L1)

DB 1989, 1384-1385 (ST)

DStR 1989, 459 (KT)

HFR 1989, 477 (LT)

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