Leitsatz (amtlich)

Der Kapitalwert eines Rechts auf wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen, dessen Laufzeit sowohl durch ein ungewisses Ereignis allgemeiner Art als auch durch die Lebenszeit einer Person begrenzt wird, ist auf Grund des Vorbehalts in § 15 Abs. 2 BewG nach § 16 BewG zu ermitteln.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 15; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 16

 

Tatbestand

I. Sachverhalt und Entscheidung des Finanzgerichts

1. Der Ehemann der Revisionsbeklagten war bis zu seinem Tod als Forscher und wissenschaftlicher Berater für eine GmbH tätig. Auf Grund des Vertrags war er verpflichtet, die alleinige Verwertung der Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und die dafür bestehenden Schutzrechte auf die GmbH zu übertragen. Die GmbH ist, soweit die Forschungsergebnisse patentfähig sind, auch Trägerin der Rechte aus den Patenten. Dafür erhielt der Ehemann der Revisionsbeklagten u. a. eine als "Abgabe" bezeichnete Umsatzbeteiligung; diese Umsatzbeteiligung steht nach dem Vertrag auch der Revisionsbeklagten solange zu, als die auf den Forschungsergebnissen beruhenden Erzeugnisse hergestellt und vertrieben werden. Die GmbH ist berechtigt, die Herstellung und den Vertrieb eines Produkts aufzugeben, falls die zur Herstellung erforderlichen Rohmaterialien nicht mehr oder nicht mehr zu kalkulationsfähigen Preisen zur Verfügung stehen, ferner, wenn die Wirtschaftlichkeit von Herstellung und Vertrieb, insbesondere durch Konkurrenzprodukte nicht mehr gegeben ist, es sei denn, daß durch eine Revision der Abgaben im Rahmen einer allgemeinen Unkostenprüfung die Wirtschaftlichkeit wieder hergestellt werden kann.

Das FA - Revisionskläger - hat bei der Vermögensteuer-Veranlagung zum 1. Januar 1958 und zum 1. Januar 1960 die Einnahmen der Revisionsbeklagten aus der Umsatzbeteiligung als Recht auf wiederkehrende Leistungen gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 BewG in der vor dem Bewertungsgesetz 1966 geltenden Fassung (im folgenden: BewG) erfaßt. Entsprechend dem Lebensalter der Revisionsbeklagten hat es die im Durchschnitt der letzten drei Jahre vor dem jeweiligen Veranlagungszeitpunkt bezogenen Vergütungen nach § 16 Abs. 2 BewG zum 1. Januar 1958 mit dem Vervielfacher 11 und zum 1. Januar 1960 mit dem Vervielfacher 10 kapitalisiert.

Der Einspruch gegen die Veranlagungen wurde zurückgewiesen. Die Berufung hatte teilweise Erfolg. Sie führte dazu, daß die Kapitalisierung zur Bewertung des Rechts auf wiederkehrende Leistungen nicht mit einem dem Lebensalter der Revisionsbeklagten entsprechenden Vervielfacher, sondern mit dem für Leistungen von unbestimmter Dauer maßgebenden Vervielfacher neun durchgeführt wurde.

2. Das FG, dessen Entscheidung, in den EFG 1966, 316 abgedruckt ist, ging davon aus, die Einschränkung in § 15 Abs. 2 BewG, wonach wiederkehrende Leistungen von unbestimmter Dauer "vorbehaltlich des § 16" mit dem Neunfachen des Jahreswerts zu bewerten seien, lasse zwei Auslegungen zu: Die Einschränkung könne einmal bedeuten, daß nur dann, wenn das ungewisse Ereignis ausschließlich im Tod eines Menschen liege, die Bewertung nach § 16 BewG erfolgen müsse; es sei aber auch die Auslegung möglich, daß auch in Fällen, in denen das Recht sowohl beim Ableben einer Person als auch beim Eintritt eines davon unabhängigen ungewissen Ereignisses ende, immer die Vervielfacher des § 16 BewG maßgebend sein sollten.

Das FG gab auf Grund der historischen Entwicklung der Vorschriften der §§ 15, 16 BewG und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des RFH sowie allgemeiner Denkgesetze der ersteren Auslegung den Vorzug. Es kam zu dem Ergebnis, daß in Fällen, in denen die Dauer eines Rechts auf wiederkehrende Leistungen durch zwei voneinander unabhängige Ereignisse bestimmt werde, der jeweils niedrigere Vervielfacher der §§ 15 Abs. 2 und 16 Abs. 2 BewG anzuwenden sei, wenn beide Ereignisse die längste Laufzeit begrenzen. Im Entscheidungsfall wendete es demgemäß den Vervielfacher neun des § 15 Abs. 2 BewG an.

II. Revision des FA

1. Mit der Revision machte das FA geltend, das Urteil des FG stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH. Gegenüber der Ermittlung des Kapitalwerts von wiederkehrenden Leistungen nach § 16 Abs. 1 und 2 BewG gebe es keine gesetzliche Bestimmung, die das Neunfache des Jahreswerts als Höchstgrenze festlege. § 16 BewG behandle einen Sonderfall der Schätzung des Kapitalwerts wiederkehrender Leistungen und habe als Spezialbestimmung den Vorrang vor der allgemeinen Vorschrift des § 15 Abs. 2 BewG. Das FA beantragte, die Vorentscheidung aufzuheben und die Vermögensteuer-Jahresschuld für 1958 und für 1960 unter Berücksichtigung des nach § 16 BewG ermittelten Kapitalwerts der wiederkehrenden Leistungen festzusetzen.

2. Die Revisionsbeklagte war dagegen der Auffassung, die Entscheidung des FG entspreche der Rechtslage. Sie wies darauf hin, daß schon der RFH mit Urteil VI A 43/22 vom 22. März 1922 (RFH 8, 337) entschieden habe, wenn die Dauer eines Nutzungsrechts sowohl von der Lebenszeit einer Person als auch von einem ungewissen Ereignis allgemeiner Art begrenzt werde, sei von den mehreren Berechnungsmöglichkeiten die zu wählen, die den geringeren Kapitalwert ergebe. Der BFH habe diese Rechtsprechung zwar nicht übernommen. Man könne jedoch nicht behaupten, daß eine ständige Rechtsprechung in diesem Sinne bestehe. Die vom BFH entschiedenen Fälle seien außerdem mit dem Sachverhalt, über den in diesem Verfahren zu entscheiden sei, nicht vergleichbar. Das Urteil III 369/58 S vom 11. August 1961 (BFH 73, 584, BStBl III 1961, 477) enthalte überhaupt keine selbständige Begründung, sondern verweise für den Ausspruch der Rechtsfolge lediglich auf das RFH-Urteil I A 128/26 vom 20. November 1926 (RFH 20, 60). In dem damals entschiedenen Fall habe die wiederkehrende Nutzung oder Leistung von unbestimmter Dauer mindestens für die Lebenszeit einer am Bewertungsstichtag noch lebenden Person bestanden. Im vorliegenden Fall bestehe sie längstens für die Lebenszeit der Revisionsbeklagten, könne aber auch, je nach Lage der wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH, schon früher wegfallen. Der Sachverhalt, der dem BFH-Urteil III 152/62 U vom 15. Oktober 1965 (BFH 84, 1, BStBl III 1966, 2) zugrunde gelegen habe, unterscheide sich von dem vorliegenden Fall dadurch, daß der Eintritt des ungewissen Ereignisses allgemeiner Art von der auf Lebenszeit Berechtigten hätte beeinflußt werden können; denn der Wegfall der Gewinnbeteiligung bei Wiederverheiratung sei eine vom Willen der Berechtigten abhängige Bedingung. Es sei aber ein Unterschied, ob das Ereignis, das den Wegfall der wiederkehrenden Bezüge begründe, durch den Berechtigten oder durch den Verpflichteten gesetzt werden könne.

Die Revisionsbeklagte beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

III. Entscheidung des Senats

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Umsatzbeteiligung der Revisionsbeklagten um ein Recht auf wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 4 BewG handelt. Der Vorentscheidung ist auch darin zuzustimmen, daß es sich um ein Recht von unbestimmter Dauer handelt, weil feststeht, daß das Ende in absehbarer Zeit eintreten wird, aber der Zeitpunkt des Wegfalls unbestimmt ist. Der Wegfall kann entweder dadurch eintreten, daß die auf den Forschungsergebnissen des Ehemanns der Revisionsbeklagten beruhenden Produkte nicht mehr hergestellt werden können oder auch dadurch, daß die Revisionsbeklagte stirbt. Auch die Ausführungen des FG zur Höhe des für die Kapitalisierung maßgebenden Jahreswerts sind frei von Rechtsfehlern.

2. Der Senat folgt dem FG jedoch nicht in der Anwendung des Vervielfachers neun zur Ermittlung des Kapitalwarts des Rechts auf wiederkehrende Leistungen.

a) Nach Auffassung des Senats trägt die Rechtsprechung des RFH den Rechtsstandpunkt der Vorentscheidung nicht. Es trifft zwar zu, daß die §§ 144 und 145 AO 1919 mit den auf den Rechtsstreit anzuwendenden §§ 15 und 16 BewG sachlich übereinstimmen. Deshalb kann die Rechtsprechung des RFH zu § 144 AO 1919 grundsätzlich zur Auslegung des § 15 BewG mit herangezogen werden, soweit sie dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der vom BVerfG (BVerfGE 1, 299 [312], 10, 234 [244]) aufgestellten Auslegungsgrundsätze gerecht wird. Diese Prüfung ergibt folgendes:

Im Urteil I A 273/19 vom 17. Januar 1920 (RFH 2, 195) hat der RFH entschieden, daß dann, wenn die Dauer eines Rentenrechts außer auf die Lebenszeit des Berechtigten auch auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt ist, für die Bewertung diejenige Methode anzuwenden sei, nach der sich der niedrigste Kapitalwert ergebe. Diese Rechtsauffassung entspricht eindeutig der durch § 15 Abs. 1 Satz 4 BewG geschaffenen Rechtslage. Mit Urteil VI A 34/22 vom 22. März 1922 (a. a. O.) hat der RFH entschieden, der mit der Entscheidung I A 273/19 (a. a. O.) aufgestellte Grundsatz, "daß, wenn die Dauer eines Nutzungsrechts außer von der Lebenszeit von dem Eintritt eines früheren, ungewissen Ereignisses abhängig ist, von mehreren Berechnungsmöglichkeiten die zu wählen sei, die den geringeren Kapitalwert ergebe", gelte auch dann, "wenn dadurch die Steuerpflicht des Belasteten eine stärkere wird". Das Schwergewicht dieser Entscheidung liegt offensichtlich in dem Hinweis auf die Zweischneidigkeit der Anwendung der Bewertungsmethode mit dem geringeren Kapitalwert. Gelegentlich des Ausspruchs dieser Rechtsfolge hat der RFH die in der Entscheidung I A 273/19 (a. a. O.) für Nutzungsrechte von bestimmter Dauer aufgestellten Grundsätze auf Nutzungsrechte von unbestimmter Dauer übertragen. Eine Begründung hierfür wurde nicht gegeben. Auch die vom FG zur Stützung seiner Rechtsauffassung herangezogenen RFH-Urteile I A 55/26 vom 18. Mai 1926 (RFH 19, 235 [238]) und III A 222/29 vom 10. April 1930 (RStBl 1930, 394) wiederholen lediglich den nicht näher begründeten Rechtssatz des Urteils VI A 34/22 (a. a. O. - vgl. auch Franken, Anm. zum BFH-Urteil III 152/62 U vom 15. Oktober 1965, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Bewertungsgesetz, Anm. zu § 5, Rechtsspruch 3 -).

b) Das FG stützt seine Auffassung weiter auf allgemeine Denkgesetze und auf den systematischen Aufbau der §§ 15, 16 BewG. Es ist der auch in dem Urteil I A 55/26 (a. a. O.) anklingenden Meinung, wenn ein Recht mit dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses allgemeiner Art und unabhängig davon auch mit dem Ableben einer Person ende, dann könne die voraussichtliche Dauer des Rechts nach allgemeinen Denkgesetzen allenfalls kürzer, aber nicht länger sein als die Dauer eines Rechts, dessen Ende nur von einem ungewissen Ereignis allgemeiner Art abhängig sei. Diese auf allgemeinen Denkgesetzen beruhenden Überlegungen mögen für sich unanfechtbar sein. Sie entsprechen nach Auffassung des Senats jedoch nicht dem in § 15 Abs. 2 BewG zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt.

§ 15 BewG regelt in seinem Abs. 1 die Bewertung wiederkehrender Nutzungen oder Leistungen, die auf eine bestimmte Zeit beschränkt sind. Der Gesamtwert zeitlich fest begrenzter wiederkehrender Nutzungen oder Leistungen ist die Summe der einzelnen Jahreswerte abzüglich der Zwischenzinsen unter Berücksichtigung der Zinseszinsen. In § 15 Abs. 1 Satz 4 BewG wird außerdem der Fall einer gesetzlichen Lösung zugeführt, daß bei wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen eine Beendigungskonkurrenz durch eine fest bestimmte Laufzeit und durch die Lebensdauer einer Person besteht. Logisch handelt es sich dabei um die Konkurrenz zwischen einem bestimmten Ereignis (feste Laufzeit) und einem unbestimmten Ereignis (Lebenszeit einer Person) als Beendigungsgrund. Durch die unwiderlegbare Vermutung des § 16 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 BewG wird die Lebenszeit eines Menschen aber gesetzlich als bestimmte Dauer behandelt. § 15 Abs. 1 Satz 4 BewG trifft damit nur eine Regelung für den Fall des Zusammentreffens von zwei feststehenden oder zumindest gesetzlich als feststehend behandelten Beendigungsgründen. Die Konkurrenz zwischen der Beendigung auf Grund eines zeitlich feststehenden Ereignisses und eines zukünftigen ungewissen Ereignisses ist dagegen ausdrücklich nicht erwähnt.

Das in § 15 Abs. 1 BewG geregelte Zusammentreffen zwischen bestimmten Beendigungszeitpunkten schließt es entgegen der von der Revisionsbeklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Meinung aus, den Vorbehalt in § 15 Abs. 2 BewG zugunsten des § 16 BewG dahingehend auszulegen, es sei dadurch nur die ausführliche und umständliche Fassung des § 15 Abs. 1 Satz 4 BewG auf eine kürzere Formel gebracht; denn § 15 Abs. 2 BewG regelt eine ganz andere Konkurrenzlage als § 15 Abs. 1 Satz 4 BewG, nämlich die zwischen einem gesetzlich festgelegten und einem unbestimmten Beendigungsgrund.

Abs. 2 des § 15 BewG befaßt sich mit der Bewertung von wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen von unbestimmbarer Dauer. Unter immerwährenden Nutzungen oder Leistungen sind nach der Rechtsprechung (vgl. RFH-Entscheidung I A 128/26 vom 30. November 1926, a. a. O.) solche zu verstehen, deren Ende nicht abzusehen ist, deren Wegfall somit von Ereignissen abhängt, von denen ungewiß ist, ob und wann sie je eintreten werden. Derartige wiederkehrende Nutzungen und Leistungen werden mit dem Achtzehnfachen des Jahreswerts bewertet. Wiederkehrende Nutzungen und Leistungen von unbestimmter Dauer sind solche, bei denen das Ende sicher, aber der Zeitpunkt des Endes unbestimmt ist; sie werden mit dem Neunfachen des Jahreswerts bewertet. Wenn man nun vergleicht, daß wiederkehrende Nutzungen und Leistungen von bestimmter Dauer, deren Ende also ganz genau feststeht, bei einer Laufzeit von 53 Jahren mit dem Achtzehnfachen des Jahreswerts und bei einer Laufzeit von nur knapp 12 Jahren mit dem Neunfachen des Jahreswerts bewertet werden (vgl. Hilfstafel 2 zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BewG), so kann man vom Standpunkt der Vorentscheidung ausgehend auch darin einen Verstoß gegen die Denkgesetze sehen, daß Nutzungen oder Leistungen, deren Ende überhaupt nicht abzusehen oder deren Laufzeit zumindest über längere Zeit nicht abzusehen ist, auch nur mit dem Achtzehnfachen bzw. mit dem Neunfachen des Jahreswerts bewertet werden. Hier zeigt sich die Problematik, vor der der Gesetzgeber bei der Bestimmung des Bewertungsmaßstabs für wiederkehrende Nutzungen und Leistungen von unbestimmbarer Dauer stand. Er mußte auch für sie eine Regelung treffen, die unter Berücksichtigung des dem BewG zugrunde liegenden Zinssatzes zu rechtfertigen war, selbst wenn diese Lösung mit den allgemeinen Denkgesetzen nicht übereinstimmte. Aus diesem Grund ist der Senat der Auffassung, daß die Abgrenzung zwischen der Anwendung des § 15 Abs. 2 und des § 16 Abs. 2 BewG unter Heranziehung der allgemeinen Denkgesetze nicht zu einem zutreffenden Ergebnis führen kann.

c) Der Senat hat mit den beiden Urteilen III 369/58 S vom 11. August 1961 (a. a. O.) und III 152/62 U vom 15. Oktober 1965 (a. a. O.) entschieden, daß bei wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen von unbestimmter Dauer, deren Laufzeit auch von der Lebenszeit einer Person abhängig ist, der Kapitalwert nach § 16 BewG zu ermitteln sei. Zur Begründung seiner Rechtsprechung hat der Senat in dem Urteil III 369/58 S (a. a. O.) ausgeführt, der Zusatz in § 15 Abs. 2 BewG "vorbehaltlich des § 16" bedeute, daß die Berechnung nach dieser Vorschrift für die in ihr geregelten Fälle den Vorrang habe vor der Berechnung mit dem Neunfachen des Jahreswerts. Die Behauptung der Revisionsbeklagten, diese Rechtsprechung entbehre einer eigenen Begründung und beschränke sich auf die Bezugnahme auf das RFH-Urteil I A 128/26 vom 30. November 1926 (a. a. O.), trifft nicht zu. Dieses Urteil wurde nur vergleichsweise dafür herangezogen, daß auch der RFH in dem damals entschiedenen Fall von der Rechtsauffassung des erkennenden Senats ausgegangen ist. Auch in dem Urteil III 152/62 U (a. a. O.) hat der Senat seine Rechtsauffassung im einzelnen begründet. Er hält nach nochmaliger Überprüfung des in den vorgenannten Urteilen eingenommenen Standpunkte an der bisherigen Rechtsprechung fest.

Wie oben ausgeführt, konnte der Gesetzgeber bei immerwährenden Nutzungen oder Leistungen unter Berücksichtigung des dem BewG zugrunde liegenden Zinssatzes von 5,5 v. H. einen höheren Vervielfacher als 18 nicht festlegen. Denn der Bewertung immerwährender Nutzungen liegt der Gedanke zugrunde, der Inhaber einer immerwährenden Nutzung sei vermögensmäßig wie der Eigentümer des genutzten Kapitals zu betrachten. Der Bewertungsmaßstab für wiederkehrende Nutzungen von unbestimmter Dauer beruht auf der Halbierung dieses Vervielfachers 18. Beiden Bewertungsmaßstäben können jedoch keine konkreten Überlegungen über die mögliche Laufzeit im Einzelfall zugrunde liegen. Die Bewertung nach § 15 Abs. 2 BewG ist vielmehr eine pauschale Wertermittlung mangels besserer Erkenntnisse. Wenn nun die Laufzeit wiederkehrender Nutzungen oder Leistungen von unbestimmter Dauer außerdem von der Lebenszeit einer Person abhängt, so ergibt sich aber auf Grund der allgemeinen Lebenserwartung dieser Person eine konkretisierbare Vorstellung über die mögliche Laufzeit. Der Gesetzgeber hat hieraus die Folgerung gezogen, daß die an die Lebenszeit einer Person geknüpfte Laufzeit auf Grund einer unwiderlegbaren Vermutung als fest bestimmte Laufzeit behandelt werden solle. Das bedeutet, daß im Fall der Beendigung der Laufzeit wiederkehrender Nutzungen oder Leistungen mit dem Ableben einer Person oder mit dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses allgemeiner Art gesetzestechnisch eine Konkurrenz zwischen einer fest bestimmten Laufzeit und einer nicht bestimmbaren Laufzeit vorliegt. Der Senat versteht deshalb den Vorbehalt in § 15 Abs. 2 BewG zugunsten des § 16 BewG in dem Sinn, daß der Bewertung nach § 16 BewG immer der Vorrang gebühren soll, wenn wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen von unbestimmter Dauer neben der Begrenzung durch ungewisse Ereignisse allgemeiner Art auch mit dem Tod eines Menschen enden. Er gibt dieser Auslegung des § 15 Abs. 2 BewG den Vorzug vor der Auslegung dieser Vorschrift durch das FG, weil damit der Kapitalwert der wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen mit dem zunehmenden Alter der Person, von deren Lebenszeit die Dauer abhängt, abnimmt. Denn der Wortsinn des § 15 Abs. 2 BewG ermöglicht nach Auffassung des Senats keinesfalls eine dahingehende Anwendung, daß der jeweils niedrigere Vervielfacher der §§ 15 Abs. 2 und 16 Abs. 2 BewG anzuwenden wäre. Hätte der Gesetzgeber auch beim Zusammentreffen eines (auf Grund unwiderlegbarer gesetzlicher Vermutung) fest bestimmten Beendigungszeitpunkts mit einem zukünftigen ungewissen Beendigungszeitpunkt die Bewertung mit dem jeweils niedrigeren Vervielfacher gewollt, so hätte er das ebenso wie im Falle der Konkurrenz zweier fester Beendigungszeitpunkte klar zum Ausdruck bringen müssen und sicherlich auch gebracht. Auf die Frage, ob das ungewisse Ereignis allgemeiner Art durch den Berechtigten oder den Verpflichteten herbeigeführt werden kann, kommt es somit nicht an.

Das Argument des FG, daß die Laufzeit wiederkehrender Nutzungen oder Leistungen von unbestimmter Dauer, die sowohl durch die Lebenszeit einer Person als auch durch ein ungewisses Ereignis allgemeiner Art begrenzt ist, wegen der Begrenzung durch das Ereignis allgemeiner Art allenfalls kürzer sein könne als die voraussichtliche Lebensdauer der Person, würde aber auch dann noch durchgreifen, wenn sich auf Grund des Lebensalters ein Vervielfacher ergibt, der niedriger als neun ist. Wenn man mit dem FG allgemeinen Denkgesetzen folgt, dann müßte auch in diesem Fall die Bewertung nach § 15 Abs. 2 BewG mit dem Neunfachen des Jahreswerts den Vorrang haben, weil das ungewisse Ereignis allgemeiner Art allenfalls früher zu einer Beendigung des Rechts führen kann als der Tod. Das will nach Auffassung des Senats aber die Fassung des § 15 Abs. 2 BewG ausschließen.

Die Sache ist spruchreif. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA abgewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68866

BStBl II 1970, 171

BFHE 1970, 431

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