Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung trotz Aufteilung bei Zusammenveranlagung

 

Leitsatz (NV)

1. Da die Aufrechnung selbst kein Verwaltungsakt ist, bedarf es für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage gegen eine Aufrechnung des Finanzamts eines Abrechnungsbescheides.

2. Über einen Streit wegen der Wirksamkeit einer Aufrechnung durch das Finanzamt ist durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden.

3. Eine Umbuchungsmitteilung ist kein Verwaltungsakt.

 

Normenkette

FGO § 40 Abs. 1, § 96 Abs. 1 S. 3, § 100 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 126 Abs. 3 Nr. 2; AO 1977 §§ 118, 218 Abs. 2, § 226 Abs. 1, § 268; BGB §§ 388-389

 

Tatbestand

Das damals zuständige Finanzamt (FA) führte am 26. September 1978 eine Aufteilung der Steuerrückstände des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) und seiner Ehefrau aus der Einkommensteuerveranlagung 1971 (Zusammenveranlagung) durch. Auf den Kläger entfielen danach . . . DM und auf die Ehefrau . . . DM als Steuerrückstände. Nachdem nur der Kläger die auf ihn entfallenden Steuerschulden getilgt hatte, verrechnete das FA verschiedene Steuererstattungsansprüche des Klägers mit den Steuerrückständen der Ehefrau. Im einzelnen handelt es sich um folgende Verrechnungen:

Am 29. November 1979 verrechnete das FA die Vermögensteuererstattungsansprüche 1974 bis 1976 in Höhe von . . . DM. Am 29. Juli 1980 verrechnete das FA Unterschiedsbeträge aus den Einkommensteuerveranlagungen 1976 in Höhe von . . . DM und 1977 in Höhe von . . . DM.

Weiterhin verrechnete das FA am 29. Juli 1980 ein Umsatzsteuer-Guthaben aus der Veranlagung 1977 in Höhe von . . . DM. Schließlich verrechnete das FA Guthaben aus den Einkommensteuerveranlagungen 1972 und 1974 in Höhe von . . . DM.

Insgesamt hat das FA gegen Steuererstattungsansprüche des Klägers in Höhe von . . . DM mit den nach der Aufteilung auf die Ehefrau entfallenden Steuerrückständen aufgerechnet.

Die nach erfolgloser Beschwerde gegen die vom FA durchgeführten Umbuchungen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 164 veröffentlichten Urteil die Aufrechnungserklärungen des FA auf und verpflichtete das FA, die Beträge, gegen die es aufgerechnet hatte, zu erstatten. Es führte aus, daß der Erstattungsanspruch des Klägers nicht durch Aufrechnung erloschen sei, weil nach Stellung eines Antrags auf Aufteilung Vollstreckungsmaßnahmen und alle Maßnahmen, die in ihrer Wirkung der Vollstreckung gleichstehen, unterbleiben müßten. Anderenfalls würde der Sinn und Zweck der Aufteilung, die Personen, die zu einer Steuer zusammenveranlagt worden sind, im Vollstreckungsverfahren wie Teilschuldner zu behandeln, nicht erreicht.

Mit der Revision macht das FA geltend, die Vorentscheidung verletze die §§ 44, 226, 268 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) und §§ 271, 387, 389 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Das FA meint, das FG verkenne die rechtssystematischen Regelungen der AO 1977, wenn es die Aufrechnung als Vollstreckung im Sinne des § 278 Abs. 1 AO 1977 ansehe. In § 44 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 habe der Gesetzgeber entschieden, daß jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung schulde, soweit nichts anderes bestimmt sei. Etwas anderes sei aber nur in § 268 AO 1977 bestimmt, der im Sechsten Teil der AO 1977 unter der Überschrift ,,Vollstreckung" enthalten sei und auch selbst den Begriff Vollstreckung enthalte. Daß die Aufrechnung keine Vollstreckungs- oder Beitreibungsmaßnahme sei, habe der Bundesfinanzhof (BFH) auch in seinem Urteil vom 7. März 1967 VII 164/62 (BFHE 88, 311, BStBl III 1967, 381) ausgeführt. - Da es sich um eine Rechtsfrage der AO 1977 handle, dürfte auch nur die AO 1977 bei der Subsumtion beachtet werden, nicht hingegen ,,übergeordnetes Recht", wie etwa das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG). Deshalb sei es ohne Bedeutung, wenn der BFH (BFHE 88, 311, BStBl III 1967, 381) die Aufrechnung einer Vollstreckung im Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gleichgeachtet habe. Auch aus § 44 Abs. 2 AO 1977 sei ersichtlich, daß der Gesetzgeber bei der Aufrechnung weiterhin von einem Gesamtschuldverhältnis habe ausgehen wollen und dieses im Erhebungs- sowie Vollstreckungsverfahren unterschiedlich geregelt habe.

Schließlich trägt das FA vor, daß es ein Verstoß gegen Treu und Glauben wäre, die steuerlichen Vorteile der Zusammenveranlagung in Anspruch zu nehmen, andererseits aber die sich daraus ergebende Gesamtschuldnerschaft zu vermeiden. Außerdem seien wegen der Rückwirkung der Aufrechnung die Erstattungsansprüche des Klägers schon erloschen gewesen, bevor er einen Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld gestellt habe.

Das im Revisionsverfahren zuständig gewordene FA (Beklagter und Revisionskläger) beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht zu der Annahme aus, daß das FG zutreffend die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Anfechtungsklage bejaht hat.

Durch eine Anfechtungsklage kann die ,,Aufhebung . . . eines Verwaltungsaktes . . . begehrt werden" (§ 40 Abs. 1 FGO). Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 2. April 1987 VII R 148/83 (BFHE 149, 482) entschieden hat, stellt die Aufrechnung des Finanzamts keinen Verwaltungsakt dar, so daß es insoweit an den Vorausetzungen eines Verwaltungsaktes für eine Anfechtungsklage fehlt. Bei Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Aufrechnung ist nach dieser Entscheidung durch Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 und in dem sich daran anschließenden Einspruchsverfahren (§ 348 Abs. 1 Nr. 9 AO 1977) und Klageverfahren zu entscheiden.

Die Anfechtungsklage gegen die Aufrechnungserklärungen wäre ausnahmsweise dann gegeben, wenn das Finanzamt die Aufrechnungserklärungen zu Unrecht als Verwaltungsakte erlassen hätte, auch wenn es sie in dieser Rechtsform nicht hätte erlassen dürfen (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 1136).

Das FG hat die von ihm bejahte Zulässigkeit der Anfechtungsklage nicht hinreichend durch Tatsachen belegt. Der erkennende Senat kann nach den vom FG festgestellten Tatsachen nicht ersehen, ob Aufrechnungserklärungen in der Form eines Verwaltungsakts vorliegen oder ob durch Abrechnungsbescheide über die Wirksamkeit der Aufrechnungen entschieden worden ist und diese - wie in § 348 Abs. 1 Nr. 9 AO 1977 vorgeschrieben - mit dem Einspruch angefochten worden sind. Die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (Seite 4) deuten darauf hin, daß der Kläger die ihm vom Finanzamt mitgeteilten Umbuchungen mit der Beschwerde angefochten hat. Umbuchungsmitteilungen stellen aber für sich allein keine Verwaltungsakte (§ 118 AO 1977) dar, so daß die Beschwerde und die anschließend erhobene Anfechtungsklage unzulässig wäre. Nach § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO hat das FG die Gründe anzugeben, die für seine richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Den Urteilsgründen muß zu entnehmen sein, aufgrund welcher Unterlagen das Gericht vom Bestehen eines Verwaltungsakts ausgegangen ist. Da dies nicht geschehen ist, kann der Senat nicht prüfen, ob das FG zutreffend die Zulässigkeit einer Anfechtungklage bejaht hat. Die Vorentscheidung mußte deshalb aufgehoben werden. Die Sache ist nicht spruchreif.

2. Auch hinsichtlich der Verpflichtung des Finanzamts zur Auszahlung der Erstattungsbeträge, die der Kläger mit der von ihm erhobenen Leistungsklage begehrt, ist die Sache nicht spruchreif. Es steht nicht fest, ob die Erstattungsansprüche durch Bescheid im Sinne des § 218 AO 1977 festgesetzt worden sind (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 1986 VII R 103/83, BFHE 147, 1, 4, BStBl II 1986, 702). Denn unabhängig davon, ob die Aufrechnungen des Finanzamts in der Form eines Verwaltungsakts oder zutreffend als schuldrechtliches Gestaltungsrecht gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977, §§ 388, 389 BGB erklärt worden sind, ist als Voraussetzung für den Erfolg einer Leistungsklage, die im Streitfall allerdings weder auf eine Leistung nach § 100 Abs. 3 FGO noch auf eine Leistung nach § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO gerichtet sein kann, über die Wirksamkeit der Aufrechnungen bei Streit zwischen den Beteiligten durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977 zu entscheiden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 226 AO 1977 Tz. 22, 25). Auch ein Abrechnungsbescheid kann Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und damit für das vorliegend geltend gemachte Erstattungsbegehren sein (vgl. Senatsurteil in BFHE 147, 1, BStBl II 1986, 702). Daß ein solcher Abrechnungsbescheid erteilt und bestandskräftig geworden ist, läßt sich ebenfalls nicht aus den vom FG festgestellten Tatsachen ersehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415248

BFH/NV 1988, 213

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