Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Abzug von Nachlaßverbindlichkeiten, wenn die befreite Vorerbin Vermächtnisse erfüllt

 

Leitsatz (amtlich)

Erfüllt die befreite Vorerbin Vermächtnisse, die laut Testament des Erblassers bei Eintritt des Nacherbfalles zu erfüllen sind, so können diese bei der Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen von der Vorerbin nicht als Nachlaßverbindlichkeiten abgezogen werden.

 

Normenkette

ErbStG 1959 § 7 Abs. 4, § 3 Abs. 1 Nr. 6

 

Tatbestand

Auf Grund Testaments vom 3. November 1961 und der dazu ergangenen Nachträge vom 28. Mai 1962 (Nachtrag 1), 4. November 1963 (Nachtrag 2), 14. Februar 1964 (Nachtrag 3), 30. Dezember 1965 (Nachtrag 4) und 21. Juli 1967 (Nachtrag 5) ist der am 30. Mai 1968 verstorbene L, der Erblasser, von seiner im Jahre 1912 geborenen Ehefrau, der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), als befreiter Vorerbin beerbt worden. Zum Nacherben ist der Adoptivsohn des Erblassers berufen (Ziffer II des Testaments). Die Nacherbfolge soll beim Tode oder im Falle der Wiederverheiratung der Klägerin eintreten (Ziffer I des Nachtrages 1). Außerdem hat der Erblasser folgende hier interessierende letztwillige Verfügungen getroffen:

Ziffer IV des Testaments:

„Nach Eintritt des Nacherbfalles sollen nachstehende Vermächtnisse erfüllt werden:

  1. P. soll einen Betrag von 75.000 DM erhalten.
  2. Alle Angestellten und Arbeiter meiner Verwaltung, die länger als 15 Jahre in meinen Diensten sind oder in Diensten meines Vater waren, sollen eine angemessene Erinnerungsgabe erhalten. Die Bestimmung dieser Vermächtnisse überlasse ich den Testamentsvollstreckern. Ich denke an Geldbeträge oder geldwerte Gegenstände, die einem Jahresgehalt gleichkommen.
  3. Die Stiftung A. soll einen Betrag von 100.000 DM erhalten.

” Ziffer VI des Testaments:

„Die von meinem Vater beschaffte Familienbibel soll bei Eintritt des Nacherbfalles an die … fallen.”

Ziffer IV des Nachtrages 1:

„Als weiteres Vermächtnis, das nach Eintritt des Nacherbfalles zu erfüllen ist, wende ich dem G. 50.000 DM zu.”

Ziffer V des Nachtrages 1:

„Das im Vereinigten Königreich angelegte Vermögen an barem Gelde, Kapitalguthaben und Wertpapieren soll beim Nacherbfall den Angehörigen meiner Gemahlin zufallen, die, wenn sie ledig geblieben wäre, ihre gesetzlichen Erben geworden wären.”

Ziffer 2 des Nachtrages 5:

„B. soll nach meinem Tode einen Betrag von 50.000 DM erhalten.”

Ziffer 1 des Nachtrages 5:

„Die Stiftung A. hat von mir im Jahre 1967 ein Darlehen von 100.000 DM erhalten. Mit dem Zeitpunkt des Todes meiner Gemahlin falls sie mich überleben sollte, oder mit dem Zeitpunkt meines Todes, falls ich meine Gemahlin überleben sollte, erlischt der Anspruch auf Rückzahlung dieses Darlehens.”

In ihrer Erbschaftsteuererklärung machte die Klägerin folgende nach ihrer Auffassung den Wert des Nachlasses mindernde Vermächtnisse geltend:

1. A.

100.000 DM

2. P.

75.000 DM

3. B.

50.000 DM

4. G.

50.000 DM

5. H.

13.200 DM

6. J.

13.200 DM

7. S.

13.200 DM

8. St.

13.200 DM

9. F.

10.800 DM

10. D.

10.600 DM

11. K.

9.500 DM

358.700 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA–) setzte gegen die Klägerin mit gemäß § 100 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigem Bescheid vom 7. Dezember 1973 Erbschaftsteuer in Höhe von 1.393.616 DM fest. Bei der Steuerfestsetzung hat das FA die von der Klägerin geltend gemachten Vermächtnislasten – mit Ausnahme der nach Ziffer 2 des Nachtrages 5 – nicht berücksichtigt.

Mit der unmittelbar erhobenen Klage (§ 45 der Finanzgerichtsordnung – FGO–) begehrt die Klägerin, unter Änderung des angefochtenen Bescheides nach Berücksichtigung der Vermächtnisse in Höhe von 308.700 DM als Nachlaßverbindlichkeiten die Erbschaftsteuer auf vorläufig 1.350.407,90 DM herabzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin vertretene Auslegung der letztwilligen Verfügung, das Wort „erfüllt” bedeute, daß die Vermächtnisansprüche bereits vor der Erfüllung entstanden sein müßten, sei nicht zwingend in dem Sinne, daß nur sie in Betracht komme. Es sei zweifelhaft, ob der Erblasser das Wort „erfüllt” im juristischen Sinne gemeint habe. Ein Jurist würde erfahrungsgemäß seinen Willen, daß die Vermächtnisansprüche sofort entstehen, aber später erst fällig werden sollten, nicht allein mit der Wahl des Wortes „erfüllen” zum Ausdruck gebracht haben. Dazu komme, daß – bei Zugrundelegung der Auffassung der Klägerin – davon ausgegangen werden müsse, der Erblasser habe das Wort „erfüllt” für alle in Betracht kommenden Vermächtnisse im gleichen (juristischen) Sinne verwendet, was eindeutig für das Vermächtnis zugunsten der Stiftung A. nicht der Fall sei. Deutlich werde dagegen der Wille des Erblassers, die Klägerin vermögensrechtlich zu sichern. Für einen darüber hinausgehenden Willen des Erblassers, die Klägerin solle die Vermächtnisansprüche erfüllen, sobald sie finanziell dazu in der Lage sei, fehle in der letztwilligen Verfügung jeder Anhaltspunkt. Die weitest mögliche Sicherung der Klägerin habe der Erblasser durch Hinausschieben der Entstehung der Vermächtnisse auf den Nacherbfall erreichen können. § 5 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) ermögliche nicht, die Klägerin so zu stellen, als sei sie selbst mit den Vermächtnissen beschwert.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie hält die vom FG gefundene Auslegung für unrichtig und ihre eigene für zwingend. Im übrigen rügt sie Verletzung von § 5 StAnpG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Zutreffend hat das FG die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 3 StAnpG verneint. Nach dieser Vorschrift war die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes aus den dort angeführten Gründen für die Besteuerung insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäftes eintreten und bestehen lassen. Unter der Voraussetzung, daß die Klägerin noch nicht mit den Vermächtnissen beschwert war (siehe unten 2.), kann die Erfüllung der Vermächtnisse nicht dazu führen, daß sie bei der Besteuerung ihres Erwerbs von Todes wegen als Nachlaßverbindlichkeit abgezogen werden konnten. Die Rechtslage ist hier nicht anders als im Falle der Vor- und Nacherbschaft. Dort gilt als Schenkung unter Lebenden dasjenige, was ein Vorerbe dem Nacherben mit Rücksicht auf die angeordnete Nacherbschaft vor ihrem Eintritt herausgibt (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 des Erbschaftsteuergesetzes – ErbStG– 1959). Begrifflich wird damit schon der Abzug als Nachlaßverbindlichkeit des Vorerben ausgeschlossen.

2. Die Auslegung der letztwilligen Verfügungen des Erblassers durch das FG hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand. Nach § 133 i.V.m. § 2084 BGB ist für den Fall, daß der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zuläßt, im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann. Zutreffend hat das FG dem deutlich zum Ausdruck gelangten Willen des Erblassers, die Klägerin vermögensrechtlich zu sichern, zum Angelpunkt der Auslegung gemacht. Dem sicherlich nicht zu verkennenden Willen des Erblassers, die Vermächtnisnehmer in den Genuß der Vermächtnisse gelangen zu lassen, wird auch bei der vom FG vorgenommenen Auslegung in genügend erfolgversprechendem Umfang Rechnung getragen, weil die Vermächtnisnehmer durch Anwartschaften, die mit dem Tod des Erblassers erwachsen sind, geschützt werden (§§ 2177, 2179 BGB). Einen Anhaltspunkt für die von der Klägerin vertretene Auffassung, daß sie selbst bereits durch die Vermächtnisse beschwert sei insofern, als sie sie entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten erfüllen solle, läßt der Inhalt der letztwilligen Verfügungen nicht erkennen. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei Annahme bereits entstandener Vermächtnisse, die erst mit dem Tode der Vorerbin fällig werden, der Abzug derartiger „Nachlaßverbindlichkeiten” ohnehin im Hinblick auf die Regelung in § 7 Abs. 4 ErbStG 1959 ausgeschlossen ist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1170758

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